Im Gastblog beleuchtet der Politikwissenschafter Florian Trauner die interparlamentarische Zusammenarbeit.

Man hört immer wieder, dass bis zu 80 Prozent aller nationalen Gesetze ihren Ursprung in Brüssel und der EU hätten. Auch wenn man diese Einschätzung kritisch hinterfragen kann, steht außer Zweifel, dass der EU-Gesetzgebungsprozess einen starken Einfluss auf unser Leben hat. Welche Rolle spielen daher das österreichische und andere nationale Parlamente bei der Kontrolle von EU-Prozessen?

Interparlamentarische Treffen

In einem frei zugänglichen Forschungsprojekt haben wir uns mit der interparlamentarischen Zusammenarbeit im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts befasst. Dieser Bereich regelt sensible Themen wie innere Sicherheit, Datenschutz, Migration und Asyl. Lange Zeit wollten die EU-Mitgliedstaaten diese Themenfelder nur unter sich regeln. Jedoch hat seit den 1990er-Jahren das Europäische Parlament mehr und mehr gesetzliche Mitbestimmungsrechte erhalten. Auch den nationalen Parlamenten der Mitgliedsstaaten wurden bestimmte Befugnisse zugesprochen. So sollten sie die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips kontrollieren und EU-Agenturen wie Europol gemeinsam mit dem Europäischen Parlament kontrollieren. Die nationalen und europäischen Parlamentarierinnen und Parlamentarier fingen tatsächlich an, sich öfters zu treffen und eigene interparlamentarischen Ausschüsse und Formate ins Leben zu rufen. Doch inwieweit führt diese interparlamentarische Zusammenarbeit zu mehr parlamentarischer Kontrolle der EU-Regierungen und EU-Agenturen?

Wir haben uns im Detail den Gesetzgebungsprozess für die Datenschutz-Grundverordnung angesehen. Dieses Gesetz regelt die Verarbeitung und den freien Verkehr personenbezogener Daten in Europa. Während des Gesetzgebungsverfahrens trafen sich die nationalen und europäischen Abgeordnete mehrmals. Allerdings waren die Sitzungen zeitlich nicht mit den Abstimmungen auf EU-Ebene angeglichen. Die nationalen Parlamentarierinnen und Parlamentarier wechselten sich von einem Treffen zum anderen ab. Im Endeffekt hatten diese interparlamentarischen Treffen recht wenig Einfluss auf das Endergebnis der Verordnung. Der Fall veranschaulicht, dass die jeweiligen Parlamente die Kontrolle weiterhin eher individuell ausüben. Nationale Parlamente schauen auf die Aktivitäten ihrer jeweiligen Regierungen. Das Europäische Parlament verhandelt zuallererst mit den anderen EU-Institutionen. Das soll nicht heißen, dass die interparlamentarischen Treffen gar keinen Zweck erfüllt hätten. Sie waren eine gute Quelle für Informationen, was in den Hauptstädten oder in Brüssel gerade passierte – aber nicht sehr viel mehr.

Das Europäische Parlament in Straßburg.
Foto: APA/AFP/FREDERICK FLORIN

Mehr Rechte, neue Regeln?

Der Gemeinsame Parlamentarische Kontrollausschuss für Europol ist ein anderes Format, in dem sich nationale und europäische Abgeordnete zweimal im Jahr treffen. Gemeinsam sollen sie die Aktivitäten von Europol politisch überwachen. Wenn man mit Teilnehmern spricht, erkennt man jedoch, dass nationale Parlamente und das Europäische Parlament nicht gleichwertige Kontrolleure sind. Das Europäische Parlament hat im Vergleich zum interparlamentarischen Kontrollausschuss einige zusätzliche Rechte. Es kann vor allem das Budget und das Management von Europol mitentscheiden. Die EU-Ebene ist nicht nur aufgrund dieser rechtlichen Kompetenzen in einer vorteilhaften Position. Die nationalen Parlamentarierinnen und Parlamentarier haben in diesen interparlamentarischen Treffen mehr fluktuiert. Zwischen dem Start des Kontrollausschusses im Jahr 2017 und der Europawahl von Mai 2019 hat Österreich zum Beispiel niemals dieselben nationalen Abgeordneten zu dem Europol-Kontrollausschuss geschickt. Nationale Parlamente koordinieren sich auch wenig vor oder nach den Treffen. Der Ausschuss hat zwar erreicht, dass sich nationale Abgeordnete nun mehr mit Europol beschäftigen – aber dies ist noch weit davon entfernt, eine echte interparlamentarische Kontrolle auszuüben.

Wie könnte dies erreicht werden? Man könnte natürlich die bestehenden Regeln ändern und den interparlamentarischen Formaten mehr Rechte einräumen. Das ist zurzeit jedoch wenig realistisch. Allerdings würden schon prozedurale Veränderungen die Zusammenarbeit effizienter machen. So könnten diese interparlamentarischen Treffen enger mit dem EU-Politikzyklus abgestimmt werden. Nationale Parlamentarier:innen sollten weniger oft wechseln und nach Fachkenntnis ausgewählt werden. Die Parlamente der EU-Mitgliedstaaten sollten sich besser und länderübergreifend auf die Treffen vorbereiten und nachbearbeiten. Diese Maßnahmen können ein erster Schritt sein, um die Schlagkraft von nationalen Parlamenten gegenüber dem Europäischen Parlament zu erhöhen – sowie die aller Parlamentarierinnen und Parlamentarier gegenüber den Regierungen der EU-Mitgliedstaaten.

Symbolische Zwecke

Kurzum, nationale Parlamente kontrollieren weiterhin ihre jeweiligen Regierungen. Das Europäische Parlament konzentriert sich auf die EU-Agenturen und die Verhandlungen mit anderen EU-Institutionen. Die beiden Ebenen treffen sich, aber gegenwärtig erfüllt die interparlamentarische Zusammenarbeit eher symbolische beziehungsweise informative Zwecke. Dies kann geändert werden, aber es erfordert politischen Fokus und Willen. (Florian Trauner, 11.4.2022)