Das Corona-Beratungsgremium Gecko mit Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) bei einer Pressekonferenz.

Foto: imago images/SEPA Media/Martin Juen

Wien – Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) ist offenbar unzufrieden mit den unterschiedlichen Expertengremien in Sachen Corona. In der "Kleinen Zeitung" meint der Ressortchef, es sei eine große Zahl an Beraterstäben eingesetzt worden, die noch nicht immer gut vernetzt seien und nicht deckungsgleich agierten: "Es ist meine Aufgabe, das zu straffen."

Ob es doch noch zu einer Verschärfung der Maßnahmen kommen könnte, ließ Rauch in dem Interview offen. Seine Strategie sei es, noch einmal alle Experten zu befragen, sich die Prognoserechnung anzuschauen und zu prüfen, welche Maßnahme wann greifen würde – und ob man damit die Welle früher knicken kann. So möchte der Minister auch wissen, wie lange es dauert, bis eine Maskenpflicht ihre Wirkung entfaltet. Zu einem späteren Zeitpunkt würden wohl auch weitere Absonderungsmaßnahmen aufgehoben werden – "aber nicht jetzt".

Gerüchte über Abgänge

Indes berichtet die "Wiener Zeitung", dass es bei der freitägigen Sitzung des Beratungsgremiums Gecko zu Rücktritten kommen könnte. Die Fachleute sind offenbar unzufrieden, bei wichtigen Fragen wie der Einschränkung der Gratistests nicht konsultiert worden zu sein und dass Lockerungsschritte getroffen wurden, die zumindest etliche Experten der Gruppe nicht geteilt haben. Zitiert wird in dem Bericht nur der Virologe Andreas Bergthaler, der meint: "Der Unmut ist bei manchen in Gecko groß."

In Wien, wo nach wie vor strengere Corona-Maßnahmen gelten, herrscht Unverständnis, was den Lockerungskurs des Bundes anbelangt. Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) forderte bereits am Donnerstag, dass die Regierung angesichts der steigenden Belegungszahlen in den Spitälern sowie der anhaltend hohen Neuinfektionen einen "konsequenteren Weg" einschlagen sollte.

Wiens Gesundheitsstadtrat warnt vor Kollaps der Spitäler

Deutliche Kritik am Vorgehen der Bundesregierung kam am Freitag von Wiens Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) im Ö1-"Morgenjournal". Er könne die Argumentation des Gesundheitsministers, wonach die Bevölkerung eine erneute Verschärfung der Maßnahmen nicht mehr mittragen würde, "überhaupt nicht nachvollziehen". Hacker verwies auf die dramatische Situation in den Spitälern, wo durch Krankenstände die Patientenversorgung immer schwieriger wird. In Wien seien bis zu 15 Prozent der Spitalsbediensteten derzeit krank und nicht einsatzfähig.

Das deckt sich mit Hilferufen aus den Bundesländern. In Tirol gingen Mitte der Woche die Pflegebediensteten auf die Straße, um auf die völlige Überlastung des Systems hinzuweisen. Auch aus der Steiermark, wo derzeit jede vierte Pflegekraft wegen der Omikron-Welle ausfällt, kommen Hilferufe. Die Versorgung sei wegen der Personalengpässe sowohl im mobilen wie auch im stationären Bereich gefährdet. Schon jetzt sei nur mehr ein Basisprogramm möglich, wie Marianne Raiger, Landesvorsitzende des Österreichischen Gesundheits- und Krankenpflegeverbandes, gegenüber dem ORF Steiermark erklärte: "Wir müssen schauen, dass wir grobe Pflegefehler verhindern, aber es geht nicht mehr, dass wir auf Qualität schauen, dass die Qualität aufrechterhalten werden kann."

Betrieb in Spitälern am Limit

Die Pflegeexpertin forderte, dass die Politik bei Entscheidungen über Verschärfungen oder Lockerungen endlich auch auf Stimmen aus der Praxis hören müsse. Denn nicht nur die Intensivbelegung sei ein Faktor, sondern auch die Frage, ob das Personal ausreicht. Die Personalengpässe gehen mittlerweile so weit, dass selbst bei den Reinigungskräften auf sogenannten Wochenendbetrieb, der nur mehr die nötigsten Aufgaben umfasst, umgestellt werden musste, wie dem STANDARD aus einem steirischen Spital zugetragen wurde.

Wiens Gesundheitsstadtrat erklärte, dass die Öffnungsschritte im Februar zu früh kamen und die Warnungen aus Wien ungehört verhallt sind. Nun kämpfe man mit den Folgen dieser Fehlentscheidung der Regierung. Er vertraut indes auf die Kooperation der Bevölkerung und ist überzeugt, dass der Mehrheit klar sei, dass es weiterhin Schutzmaßnahmen brauche. Er schließt nicht aus, dass es auch in den Schulen wieder zu Verschärfungen kommt – dahingehende Überlegungen würden derzeit vom Gesundheits- und Bildungsministerium geprüft, habe man ihm mitgeteilt.

Pandemiebekämpfung als Aufgabe des Bundes

Hacker fordert die Regierung unmissverständlich dazu auf, die Situation und die Rücknahme der Maßnahmen zu überdenken. Vor allem, was das geplante Ende der Gratistests ab April anbelangt. Der Gesundheitsstadtrat verwies darauf, dass in Wien pro Woche 1,2 Millionen Menschen die Möglichkeit der Tests nutzen. Das zeige zugleich, dass die Behauptung, es wären immer nur dieselben Gruppen, die vom Angebot Gebrauch machen, nicht stimmt.

Weil die Pandemiebekämpfung Aufgabe des Bundes ist – Hacker verwies in dem Zusammenhang auf die verfassungsrechtliche Vorgabe zur mittelbaren Bundesverwaltung, an der nicht zu rütteln sei –, müsse die Regierung diese Entscheidungen treffen und durchsetzen. Wien dürfe die Tests gar nicht auf eigene Faust weiterführen, erklärte Hacker. Man sei auf die Vorgaben des Bundes angewiesen: "Der Bund nimmt das Steuergeld ein und muss das daher auch finanzieren."

AK Wien plädiert für Verlängerung der Risikogruppenverordnung

Nicht nur die Gratistests, auch die Regelung zum Schutz von Risikogruppen läuft Ende März aus. Die Freistellungsregelung für Risikogruppen wurde im Mai 2020 zum Schutz von Erwerbstätigen beschlossen, die bedingt durch die Pandemie einem erhöhten Gesundheitsrisiko ausgesetzt sind. Aufgrund der virologisch stabilen Lage während der Sommermonate kam es zu einem Aussetzen der Risikogruppenregelung, die jedoch zuletzt reaktiviert und an den Impffortschritt angepasst wurde. Personen mit Vorerkrankungen erhalten durch die Verordnung die Möglichkeit, ins Homeoffice zu wechseln oder – sollte weder das noch eine Adaptierung der Schutzmaßnahmen am Arbeitsplatz möglich sein – bezahlt freigestellt zu werden.

Angesichts der hohen Infektionszahlen fordert Wiens Arbeiterkammer-Präsidentin Renate Anderl (SPÖ) eine Verlängerung der Maßnahme: "Der Schutz von Risikogruppen muss jetzt Vorrang haben. Betroffene dürfen nicht in der Luft hängen. Sie brauchen Planungssicherheit, gerade angesichts der All-time-high-Corona-Neuinfektionen und der geplanten Abschaffung der Quarantäne für ungeimpfte und nicht genesene K-Personen."(ars, APA, 18.3.2022)