Blümchentapete, karierte Vorhänge, Hirschgeweih an der Wand. Ein klassischer Dachbodenfund, ein süßes Puppenhaus, wie es in der Kindheit unserer Mütter und Väter, sofern als Weihnachtsgeschenk überhaupt leistbar, in keinem Kinderzimmer fehlen durfte. Man muss schon genau hinschauen, um die dreiste Hinterfotzigkeit in diesem scheinbaren Idyll zu entdecken. Die leeren Bierdosen unterm Fauteuil, die Missionarsstellung im Schlafzimmer, den Feinkostladen mit Sperma, Knorr Blut Gruppe A und Dr. Oetker Hirnmasse extra-arrogant.

Foto: Sabine Bloch Photokünstlerin

Die mächtig großen Fotomontagen unter dem Titel MärchenHaft der deutschen Fotokünstlerin Sabine Bloch ziehen die bigotte Harmonie der Fünfzigerjahre durch den Kakao. Gleich ein Dutzend Mal steigt die Verwandlungsmeisterin selbst in die Collage hinein, um darin Abgründe menschlichen Daseins oder auch dramatische Episoden aus ihrem eigenen Leben darzustellen. Je mehr man sich vom subversiven Bann ihrer Fotoarbeiten faszinieren lässt, je näher man sich an das Kleingedruckte heranwagt, desto größer wird das darin vorgefundene Spektrum an Gräueltaten und sozialen Unappetitlichkeiten.

Ein paar Schritte weiter steht ein hölzernes Puppenhaus, diesmal in echt, so richtig zum Hineinkriechen und Platznehmen. Ein winziger Sessel, ein kleines Tischchen mit Filmprojektion, eine als Plüschlöwe getarnte Mouse zum Spielen und Hin- und Herbewegen des Cursors. Mit unschuldigen Kullerschaugen schaut einen das hübsche Puppenmädchen an. Doch auch Play with me von Isobel Knowles und Van Sowerwine hat’s in sich, denn nach ein paar Minuten hat man gecheckt, dass das interaktive Spiel bloß ein Ziel verfolgt: Suizid. Mit der Mouse bestimmt man lediglich die Tötungsart. Zur Wahl stehen Gifttrunk, Handverstümmelung mit anschließendem Verbluten sowie Auskratzen der Augen mit den Scherben einer zerschlagenen Teekanne.

Spiegelbild der Architekturgeschichte

"Schon seit langer Zeit fasziniert mich, welche Rolle die Architektur, die gebaute Umwelt in der Welt der Spiele einnimmt", sagt Mélanie van der Hoorn, Kuratorin und Kulturanthropologin an den Universitäten in Leiden und Amsterdam. "Ganz gleich, ob das nun Brettspiele, Bausteine, Puppenhäuser oder Computerspiele sind. Meist ist man mit Genderklischees und einer auffällig konservativen Auffassung von Architektur konfrontiert. Und das Spannende ist: In jeder Epoche waren Spiele stets Spiegelbild der Architekturgeschichte und der aktuell geltenden sozialen Norm."

2012 analysierte van der Hoorn die Architektur in Comics (Buchpublikation Bricks & Balloons), 2018 folgte die Architekturanalyse im Film (Spots in Shots), nun setzte sie sich mit der interaktiven Komponente des Spiels auseinander. "Comics liest man, Filme schaut man, in einem Spiel aber taucht man ein, gestaltet mit, wird selbst zum Erbauer und Protagonisten. Und diese Welt ist grenzenlos." Wie schier unendlich dieses Forschungsgebiet ist, beweist die neue Ausstellung Serious Fun. Architektur & Spiele, die am Mittwoch im Architekturzentrum Wien eröffnet wurde.

Brettspiele, Strategiespiele, Klötzchenvarianten aus aller Welt, manche davon Serienprodukte am Markt, manche Unikate und selbst entwickelte Gaming-Designs von Künstlern und Architektinnen, teils zum Ausprobieren und Kennenlernen, teils – wie im Fall des sympathischen Selbstmordmädchens – als kritischer Kommentar auf die Klischeebilder und vorgefassten Meinungen in unseren Köpfen. Maykel Roovers hat festgestellt, dass in den meisten Modellbaukästen gewisse Architekturtypologien und Elemente unserer gebauten Urbanität komplett fehlen. Sein 2012 erstellter Holzbausatz Critical Blocks füllt diese Lücke mit Autobahnen, Megafarmen, Fabriken, Elektrizitätswerken und Atomkraftwerken. Jon Haddock war vom weltberühmten Computerspiel The Sims und der darin zelebrierten Bürgerlichkeit amerikanischer Vorstädte so enttäuscht, dass er die Ästhetik des Spiels aufgriff und es mit etwas weniger weltfremden, globalpolitischen Alltagsszenen in die Realität holte. Zu sehen sind Mord, Krieg, Unfall, Amoklauf und Geschworenengericht.

Bitte bauen! "LDT London Developers Toolkit".
Foto: Serious Fun

Und im LDT London Developers Toolkit von Sandra Youkhana und Luke Caspar Pearson, die gemeinsam das Architekturbüro You+Pea leiten, wird der Londoner Immobilienmarkt aufs Korn genommen. Mit insgesamt 84 zur Auswahl stehenden Modulen kann man einen luxuriösen Wohn- oder Büroturm bauen. Anschließend lässt man ihn von fiktiven Investoren auf Luxus und Extravaganz überprüfen. Wird der Entwurf genehmigt, kann man sogar ein Werbeplakat gestalten und es in den sozialen Medien teilen.

Hat man all die Schocks und geschmacklosen Überraschungen überwunden, offenbaren sich im hintersten Teil der Ausstellung schließlich die wahren Potenziale von Serious Fun. Nicht nur in Schulen und Workshops mit Kindern und Jugendlichen eignet sich das eine oder andere Spiel zur altersgerechten Sensibilisierung von Themen wie Bauen, Abbruch, Leerstand, ökologischer Fußabdruck und Umgang mit materiellen und energetischen Ressourcen. Zum Teil heißt es: Schuhe ausziehen, Exponat besteigen und die Parquette-Stadt von Hans Venhuizen weiterbauen und weiterentwickeln.

Nein, noch mehr: Seit rund zehn Jahren kommen Spiele in Bürgerbeteiligungsprozessen und diffizilen Stadtentwicklungsfragen zum Einsatz, wenn die bisher genutzten Werkzeuge wie Plan, Modell und Sprache nicht mehr ausreichen. Seit 2010 ist das Play the City Game in Umlauf, in 20 Städten konnten mit den Kartonklötzchen bereits urbane Konflikte gelöst werden. In Kalobeyei, Kenia, wird auf diese Weise ein Camp für Geflüchtete geplant – und in Lima, Peru, baut UN-Habitat mithilfe des Computerspiels Minecraft einen öffentlichen Platz für Jugendliche. Alles ist möglich.

"Spiele können viel bewirken", sagt Kuratorin Mélanie van der Hoorn. "Sie bringen Menschen zusammen, lösen Hierarchien auf und sorgen dafür, dass man auch einmal den Standpunkt eines Andersdenkenden einnimmt. Wenn das gelingt, dann haben wir in der Architektur und Stadtplanung schon viel erreicht, oder?" Das ist der seriöse Faktor in dieser Fun machenden Schau. (Wojciech Czaja, 20.03.2022)