Bild nicht mehr verfügbar.

Die Flucht aus dem zerstörten Krankenhaus wurde von Fotografen begleitet.

Foto: AP/Evgeniy Maloletka

Eine blutverschmierte Schwangere kämpft sich durch das Stiegenhaus eines zerbombten Krankenhauses. Sie flieht, bevor möglicherweise erneut Geschoße auf das Haus fliegen. Eine andere schwangere Frau wird auf einer Trage abtransportiert. Sie wird, so weiß man heute, den nächsten Tag nicht mehr erleben.

Die Fotos, die in vielen Medien gezeigt wurden, sorgten weltweit für Bestürzung. Zu sehen sind die Überreste des Kinderspitals in Mariupol, das von der russischen Armee am 9. März angegriffen wurde – dutzende Menschen wurden dabei verletzt, drei getötet. Als wäre das nicht genug, griff die russische Propagandamaschinerie die Fotos kurz darauf auf und behauptete, diese seien inszeniert.

Zu Unrecht beschuldigt

Die auf den Fotos zu sehende Frau sei eine "Krisenschauspielerin", ist in einer russischen Telegram-Gruppe zu lesen, die immerhin rund 500.000 Teilnehmer hat. Wie "Mashable" am Donnerstag berichtete, scheint dies der Ursprung der gezielten Desinformationen zu sein, die sich danach rasend verbreitete. "Wir haben die auf den Fotos zu sehende Frau identifiziert, die aus den Trümmern des Krankenhauses in Mariupol geht", wird die Gruppe zitiert. Sie sei ein Model und eine populäre Beauty-Bloggerin mit dem Namen Marianna Podgurskaja.

"Dieses Model ist auf all diesen Fotos zu sehen", behauptet der Autor und bildet dazu die mittlerweile verstorbene Frau auf der Trage ab, das Foto, auf dem Podgurskaja aus dem Krankenhaus flüchtet, und ihren Instagram-Account.

Das dort zu sehende Krankenhaus, so die Propaganda, sei vor den Angriffen längst geräumt gewesen. Das Modell habe sich mehrfach umgezogen und die Bilder nach Vorgaben der ukrainischen Regierung inszeniert.

Diese Falschmeldung wurde kurz darauf vom Twitter-Account der russischen Botschaft in London aufgegriffen. Sie habe "sehr realistisches Make-up" auf den Fotos, ist in dem offiziellen Posting zu lesen. Und das Krankenhaus sei schon lange ein "Unterschlupf für das Neonazi-Regiment Asow" gewesen. Auch die aus der Luft gegriffene Behauptung, auf beiden Fotos sei dieselbe Frau zu sehen, wurde übernommen. Prorussische Accounts auf Twitter teilten die Meldung, um sie schneller verbreiten zu können.

Woher die Botschaft ihre Informationen bezogen hat, ist nachvollziehbar, weil die Frau nur in der oben genannten Telegram-Gruppe mit ihrem Mädchennamen genannt wird. In allen anderen Berichten, etwa in jenem der Nachrichtenagentur Associated Press, die die Frau im zerbombten Krankenhaus fotografiert hatte, wurde ihr aktueller Name genannt, Wischegirskaja.

Der Tweet der russischen Botschaft und all jene, die die Information weiterverbreitet hatten, wurden erst nach mehreren Beschwerden, darunter auch eine von der britischen Regierung, von Twitter gelöscht.

Schaden angerichtet

Der Schaden war allerdings bereits angerichtet. Auf Instagram wurde die junge Frau mit hunderten herabwürdigenden Kommentaren überflutet – wohl ein Grund, warum Wischegirskaja seither nichts mehr auf ihrem Profil gepostet hat. Dafür ist zumindest ihr Kind vor wenigen Tagen gesund auf die Welt gekommen. Mehrere Medien zeigten Fotos von ihrer Familie, die sich über den Nachwuchs freuen kann. Auch Wischegirskaja ist auf den Bildern zu sehen. Sie trägt noch immer den gepunkteten Pyjama, den sie beim Verlassen von Mariupol anhatte.

Jedes Mittel recht

In den letzten Wochen wurden mehrere derartige Propagandaaktionen der russischen Regierung aufgedeckt. So wurde etwa nachgewiesen, dass reichweitenstarke Jugendliche auf Tiktok angeworben wurden, um die Regierungspropaganda unter ihre Follower zu bringen. Kontakt zu den jungen Influencern wurde meist über die Plattform Telegram hergestellt, auf der sich zahlreiche prorussische Gruppen befinden. Schon lange steht der Messenger in der Kritik, eine beliebte Plattform für Desinformation und Verschwörungserzählungen zu sein. In Kriegszeiten sind die fehlende Inhaltsmoderation und das Nichtlöschen von nachgewiesen falschen Beiträgen zu einem großen Problem angewachsen. (red, 18.3.2022)