Ende dieser Woche hatten die geopolitischen Küchenstrategen der Welt wieder einmal Hochkonjunktur: Bis Mitte der Woche befanden sich die chinesischen Aktienmärkte im Sinkflug. Von strengeren Buchhaltungsvorschriften in den USA war die Rede, die dazu führten, dass amerikanisches Kapital aus China abfließt. Am Mittwoch aber drehten die Märkte plötzlich rasant in die Gegenrichtung. Die chinesischen Indizes meldeten das größte Tagesplus in ihrer Geschichte.

Zeitgleich hatte noch etwas anderes gedreht: Eine Maschine mit dem russischen Außenminister Sergej Lawrow an Bord war auf dem Weg nach Peking, als sie über Sibirien plötzlich kehrtmachte. War es also den Amerikanern vielleicht gelungen, Peking auf ihre Seite zu ziehen? Ein weiteres Indiz kam hinzu: Kurz danach schien sich in den chinesischen sozialen Medien die Zensur etwas zu lockern. Mehr Beiträge, die auf zivile Opfer in der Ukraine hinwiesen, tauchten nun auf.

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Anfang Februar verabschiedeten Wladimir Putin und Xi Jinping eine gemeinsame Erklärung, in der sie ihre "grenzenlose Freundschaft" beschworen.
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Beweise gibt es für all das nicht. Im "Fog of War", im Nebel des Krieges, an gesicherte Informationen zu gelangen ist ein schwieriges Unterfangen. Eines aber sollte sich "der Westen", zumindest der Teil der internationalen Allianz, der für Freiheit, Menschenrechte und Marktwirtschaft einsteht, klarmachen: Sich im Kampf gegen Russland Hilfe von China zu erwarten ist ein absurdes Unterfangen.

Pekings Haltung gegenüber Putin ist und war immer klar. Noch Anfang Februar verabschiedeten Putin und Xi Jinping eine gemeinsame Erklärung, in der sie ihre "grenzenlose Freundschaft" beschworen und jegliche Form von "Nato-Aggression" verurteilten. Die chinesische Staatspresse ist seit Jahren gefüllt mit antiamerikanistischen, antiwestlichen Artikeln. Die sozialen Medien werden mit Algorithmen und Zensur auf Linie gebracht. Das demokratische Taiwan zu annektieren ist seit Jahren definiertes Ziel der Kommunistischen Partei.

Knallharte Machtpolitik

Alles, was derzeit mit Verve an Putins Russland kritisiert wird – der Umgang mit Kritikern, die Zensur, die knallharte Machtpolitik fernab universeller Werte, der Zynismus hinsichtlich Menschenleben –, existiert in der Volksrepublik China konkret wie strukturell ebenso wie in Russland. Die Kommunistische Partei Chinas geht mit Vehemenz und voller Härte gegen Dissidenten vor. Die Zensur im Land ist allumfassend, und gegen die Uiguren in Xinjiang sowie gegen die Tibeter betreibt Peking einen kulturellen Genozid.

Politiker und Unternehmen sahen über Putins Verbrechen und Kriege bald zwei Jahrzehnte lang hinweg, weil man gut Geschäfte machte. Genau das tun sie bis heute in China.

Sich jetzt von Peking Unterstützung zu erhoffen mag macht- und realpolitisch Sinn ergeben, ist aber moralisch genauso verlogen, wie russisches Öl jetzt mit Lieferungen aus dem Iran und Venezuela zu ersetzen – Staaten, die man gerade noch aus denselben Gründen sanktionierte wie Russland.

Chinas Neutralität in diesem Konflikt ist wichtig, weil sie akut einen Dritten Weltkrieg verhindert. Wenn der Krieg um die Ukraine aber einmal zu Ende gegangen ist, muss sich der Westen seiner Werte besinnen. Sonst wird die Welt zu genau jenem multipolaren, amoralischen Platz werden, den Potentaten wie Xi und Putin seit Jahren anstreben. (Philipp Mattheis, 18.3.2022)