Eduard Müller ist am Montag im parlamentarischen U-Ausschuss befragt worden.

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Die Empörung war groß. "Ja bist du denn wahnsinnig geworden, seids ihr alle deppert, da müsst ihr zuerst ermitteln", soll der damalige Finanzminister Eduard Müller "ziemlich wortwörtlich" ins Telefon geschrien haben. Am anderen Ende der Leitung saß eine hohe Beamtin, die während Müllers Ministerzeit von diesem die Leitung der Präsidialsektion übernommen hatte.

Die Information, mit der sie das Blut des vormaligen Sektionschefs an diesem Tag im Juni 2019 so in Wallung brachte: Sie habe zuvor Strafanzeige wegen des Verdachts auf Amtsmissbrauch eingebracht, der Vorwurf richtete sich quasi gegen eigene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Finanz.

Nachzahlung und Nachsicht

Es ging um eine Sache, die heute als Steuercausa Siegfried Wolf bekannt ist. Deren Eckpunkte: Wolf hatte für die Jahre 2006 bis 2011 zu wenig Steuern bezahlt, weil seine Berater eine Änderung im Doppelbesteuerungsabkommen mit der Schweiz nicht beachtet hatten. Das zuständige Finanzamt monierte das nicht, erst bei einer späteren Prüfung im Jahr 2012 fielen die falsch berechneten Abgaben auf. Daraufhin wurde die Großbetriebsprüfung der Finanz eingeschaltet, die nach jahrelanger Untersuchung 2016 eine Nachzahlung in der Höhe von elf Millionen Euro veranschlagte.

Dagegen haben sich Wolf und seine Berater mit aller Kraft gewehrt, und zwar erfolgreich. Die Nachzahlung wurde auf sieben Millionen Euro reduziert. Damit aber nicht genug: Danach wurden Wolf weitere 630.000 Euro nachgesehen. Er wollte ursprünglich Anspruchszinsen wegverhandeln, letztlich ist ihm aber ein weiterer Teil an Steuern erspart geblieben – zufälligerweise ähnlich viel, wie die Anspruchszinsen ausgemacht hätten. All das ist durch Chats zwischen dem damaligen Generalsekretär im Finanzministerium, Thomas Schmid, und Wolf aufgekommen. Die zwischen den beiden ausgetauschten Nachrichten legen massive Interventionen nahe und haben außerdem den Verdacht auf Bestechung der zuständigen Finanzamtschefin ausgelöst. Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) ermittelt, es gilt die Unschuldsvermutung.

Damals, im Sommer 2019, waren diese Chats freilich noch nicht bekannt. Allerdings waren einem internen Kontrollor, der Finanzämter prüft, Ungereimtheiten aufgefallen. Es ging um die 630.000 Euro Nachsicht, die Wolf erhalten hatte. Der Knackpunkt an der Sache: Nachsichten von mehr als 50.000 Euro muss das Finanzministerium (BMF) zustimmen, erklärte der Beamte bei seiner Einvernahme vor der WKStA. Geschehen sei das im konkreten Fall aber nicht. "Es kommt extrem selten vor, dass so große Beträge nachgesehen werden und so die Genehmigung des BMF erforderlich ist. An einen Betrag von 630.000 Euro oder ähnlicher Höhe, kann ich mich nicht erinnern", gab dieser Beamte in seiner Einvernahme vor den Ermittlern an.

Schon während seiner Prüfung habe er die Fachabteilung im Ministerium alarmiert, damit eine etwaige Aufhebung der Nachsicht nicht verjähre. Vereinfacht nacherzählt wurde der Nachsichtsbescheid gekippt, dieser Teil von Wolfs Steuerverfahren ist immer noch anhängig. Im Ministerium hatte sich in der Zwischenzeit einiges verändert: Thomas Schmid hatte das Haus in Richtung Verstaatlichtenholding Öbag verlassen, das Ibiza-Video hatte gerade die türkis-blaue Regierung gesprengt und Sektionschef Eduard Müller eben zum Interimsminister befördert.

"Laut geworden"

Nachdem der Prüfer die Fachabteilung über die gemäß seiner Rechtsansicht rechtswidrige Steuernachsicht für Wolf informiert hatte, ging alles Schlag auf Schlag: Die oben erwähnte Sektionschefin wurde eingeschaltet, besprach sich mit dem Büro für Interne Angelegenheiten (BIA; ist für interne Ermittlungen zuständig), und man kam zum Schluss, dass sofort Anzeige erstattet werden müsse. Das tat die Sektionschefin noch am selben Tag, danach informierte sie Finanzminister Müller. Seine Reaktion sei für sie "sehr überraschend" gewesen. Er sei nicht erfreut gewesen und "laut geworden" mit den oben erwähnten Ausrufen. Sie selbst habe ihm ruhig erklärt, dass sie sich strafbar machen würde, wenn sie nicht angezeigt hätte. Erinnern kann sie sich laut Einvernahmeprotokoll an Müllers Satz: "Da steckt ja der Thomas drin."

Wie der damit gemeinte Thomas Schmid ins Spiel kam: Die Finanzbeamten, die Wolfs Nachsicht gewährt hatten, beriefen sich darauf, dass sie dies im Einvernehmen mit ihm, dem Generalsekretär im Finanzministerium, getan hätten. Das Arbeitsverhältnis zu Müller hat sich für die Sektionschefin dann abgekühlt, es wurde "deutlich distanzierter", wie sie sagte. Druck oder sonstige Interventionen habe es aber nicht gegeben. Müller sagt auf Anfrage, er unterliege nach wie vor "der Amtsverschwiegenheit und der abgabenrechtlichen Geheimhaltungspflicht", aber: In Gesprächen mit Kolleginnen und Kollegen schreie er nicht, und er glaube nicht, dass eine Anzeige falsch war.

Die zeitigte wenig Folgen, das Verfahren wurde von der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt eingestellt. Bei den Eurofighter-Ermittlungen, in denen Wolf als Beschuldigter geführt wird, ist die WKStA aber auf Chats rund um seine Steuersache gestoßen. Kurz nachdem Wolfs Nachsicht aufgehoben wurde, schrieb der Unternehmer an Schmid, "Edi (Müller, Anm.) soll sich das anschauen" und sich "dringend einbringen".

Aus den Chats erschließt sich auch, dass Wolf zu diesem Thema engen Kontakt mit der zuständigen Finanzamtschefin und mit Thomas Schmid hatte. Davon erfuhr die damalige Sektionschefin erst, als die Sache kurz vor Weihnachten 2021 medial bekannt wurde. Ihre Reaktion: "Für mich ist das ein katastrophales Bild, und ich hätte das nicht für möglich gehalten." (Renate Graber, Fabian Schmid, 18.3.2022)