Installationsansicht zu "27 Male Molds" ("27 männliche Formen", 2021) von Dora Budor im Kunsthaus Bregenz.
Foto: Markus Tretter

Von außen sieht der sanft schimmernde Monolith am Bodensee so aus wie immer, doch es rumort in seinen Eingeweiden. Vor fünfundzwanzig Jahren wurde der Zumthor-Bau des Kunsthauses Bregenz (KUB) eröffnet und hat Zeit seines Bestehens zahlreiche Künstlerinnen und Künstler zur Auseinandersetzung mit seiner Architektur angeregt. So tief wie Dora Budor ist aber noch niemand in den inneren Organismus des Gebäudes eingedrungen.

Die 1984 in Kroatien geborene und seit Jahren in New York lebende Künstlerin hat ferngesteuerte Sexspielzeuge in das in die Wände verlegte, weitläufige System aus Belüftungsrohren eingeschleust. Aus den schmalen Schlitzen zwischen Boden und Wänden strömt nun nebst Luft auch ein rätselhaftes Vibrieren in den Ausstellungsraum und versetzt ihn in einen permanenten Erregungszustand. So zumindest die charmant klingende Idee, in der Praxis erzeugt der eher rasselnde als frivole Kunsthaus-Atem aber eine seltsam kühle Atmosphäre.

Zementierte Latexabdrücke des unterirdischen Kollektorgangs.

Latex, Kaffeesatz und Hockey-Pucks

Ein anderer Weg, um der Architektur den Puls zu fühlen, führt durch eine kanaldeckelgroße Einstiegsluke neben der nordöstlichen Fassade hinunter in die Tiefe, wo sich ein sogenannter Kollektorgang rund um das gesamte Fundament zieht und unter anderem die Wasserversickerung reguliert. Budor hat Latexabdrücke dieser Konstruktion genommen und sie mithilfe von geschreddertem Papier aus dem KUB-Büro in die Ausstellung zementiert. Unmengen von Kaffeesatz aus dem KUB-Café wurden wiederum zu Hockey-Pucks gepresst und liegen nun als verpuffte Energie auf einem verlassenen Spielfeld herum.

Continent nennt Budor ihre Bregenzer Schau und meint damit laut eigenen Angaben nicht nur eine Landmasse, sondern auch eine Art bewahrendes Gefäß. Was sich aus dem Verdauungs- und Verwaltungstrakt einer Kunstinstitution alles herauslesen lässt, interessiert die Künstlerin nicht von ungefähr: Sie kommt ursprünglich aus der Architektur und kreist auch künstlerisch um gebaute Strukturen und ihre gesellschaftlichen Aufladungen.

Ihr analytischer Blick darauf fördert immer wieder auch Genderaspekte zutage, etwa wenn sie in dem gemeinsam mit Noah Barker realisierten Video Chase Manhattan den per Lkw abtransportierten Bauschutt eines abgerissenen Wolkenkratzers durch New York verfolgt: Es handelt sich um die Überreste des JP Morgan Chase Towers in der Park Avenue, der 1957 bis 1961 nach Plänen der Architektin Natalie de Blois erbaut wurde.

Unmengen von Kaffeesatz aus dem KUB-Café wurden zu Hockey-Pucks gepresst und liegen nun als verpuffte Energie auf einem verlassenen Spielfeld herum.
Foto: Markus Tretter

Pulverisierte Antidepressiva

Dieses Jahr wird Budor in der von Cecilia Alemani kuratierten Ausstellung The Milk of Dreams der Venedig-Biennale vertreten sein, in Bregenz erinnert sie mit Something to Remind Me schon jetzt augenzwinkernd auch an die wilden Träume einer weitgehend in Vergessenheit geratenen Avantgardistin: Das auf einem Sockel im Foyer präsentierte Objekt, das Budor aus einem eingeschmolzenen Berliner Leihfahrrad gießen ließ, referiert auf eine Arbeit der deutschen Performance-Künstlerin Elsa von Freytag-Loringhoven, die manchen als die Mutter des Readymade und eigentliche Urheberin hinter dem Schlüsselwerk der Konzeptkunst, nämlich Marcel Duchamps berühmtem Urinal, gilt.

Hinweise auf derlei kunsthistorische Zusammenhänge bleiben freilich ebenso subtil wie das Sex-Toy-Raunen, das aus den Lüftungsschlitzen dringt. Oder wie die von der Künstlerin auf Sandpapier zerriebenen Antidepressiva, die, als Bilder an die Wand gehängt, dann doch unter die Haut gehen. (Ivona Jelcic, 19.3.2022)