Beim Beschuss eines Wohnhauses in Kiew wurde auch ein Jesus-Porträt freigelegt.

Foto: IMAGO/Daniel Ceng Shou-Yi

Noch bevor einer der beiden Staatschefs vor der Webcam Platz genommen hatte, wurde in den Medien von Philadelphia bis Peking über die Symbolik diskutiert: US-Präsident Joe Biden und Chinas Präsident Xi Jinping sprachen zum ersten Mal seit dem russischen Einmarsch in der Ukraine per Videoschaltung miteinander. Offiziell war der Konflikt nur ein Punkt unter mehreren auf der Tagesordnung, doch schlussendlich der wichtigste. Nachdem sich Xi und Russlands Präsident Wladimir Putin Anfang Februar noch "grenzenlose Freundschaft" geschworen hatten, wurden Berichte über die Zerstörung von ukrainischen Städten durch russische Bombardements in chinesischen Medien als Zeichen gewertet, dass Peking von Moskau abrücken könnte. Als Krieg oder gar Einmarsch bezeichnete aber natürlich niemand im Reich der Mitte die russische Aggression. Chinas Botschafter in der Ukraine versicherte jedoch seinen Gastgebern: "Wir werden immer euren Staat respektieren."

Leitung zwischen USA und China

Zuerst war von der chinesischen Seite etwas zum Telefonat zwischen Biden und Xi zu hören. "Konflikt ist in niemandes Interesse", sagte Chinas Präsident laut staatlichen Medien. "Zwischenstaatliche Beziehungen können nicht auf die Ebene der militärischen Konfrontation getragen werden." China und die USA hätten eine gemeinsame Verantwortung als Weltmächte, um sich für Weltfrieden einzusetzen, sagte Xi. Ob das bedeutet, dass China eine mögliche Anfrage aus Russland nach wirtschaftlichen und militärischen Hilfen abschlägig behandelt, ist offen. Peking dementiert zumindest offiziell jede Unterstützung für Putins Krieg, Biden stellte Xi bereits im Vorfeld des Telefonats die Rute ins Fenster: Für solche Hilfen werde China bezahlen.

Biden stellte Xi während des Telefonats jedenfalls die Rute ins Fenster: Materielle Hilfe für Russlands Angriffskrieg werde "Auswirkungen und Konsequenzen" nach sich ziehen, meldete das Weiße Haus am Freitagabend. Was Taiwan betrifft, das von Peking als abtrünnige Provinz betrachtet wird, betonte Biden gegenüber Xi, dass die USA die Insel gegen jede Aggression verteidigen würden.

Grafik: STANDARD

Putin beschwert sich bei Scholz

Auch zwischen Moskau und Berlin wurde am Freitag eine Verbindung hergestellt. Eine Stunde lang telefonierten Wladimir Putin und Olaf Scholz. Dabei soll der deutsche Kanzler den russischen Präsidenten zu einem Waffenstillstand gedrängt haben, damit es zu einer "Verbesserung der humanitären Lage und zu Fortschritten bei der Suche nach einer diplomatischen Lösung des Konflikts kommt", hieß es danach aus dem Kanzleramt in Berlin. Der Kreml beteuerte, dass Putin in dem Gespräch versichert habe, zivile Opfer zu vermeiden – und beklagte sich gleichzeitig über die ukrainische Seite, die "den Prozess durch immer neue unrealistische Vorschläge" hinauszögere. Der russische Unterhändler bei den Gesprächen in Belarus, Wladimir Medinski, erklärte am Freitagabend, in der Frage einer Neutralität und eines Verzichts der Ukraine auf eine Nato-Mitgliedschaft habe man sich zuletzt angenähert. Beim Kapitel "Entmilitarisierung" sei man auf halbem Weg. Kiew dagegen beklagte, dass Russland mit derartigen Äußerungen nur Spannungen schüre. Der ukrainische Unterhändler Mychailo Podoljak bekräftigte Kiews Forderungen nach einer Waffenruhe, den Abzug russischer Truppen sowie Sicherheitsgarantien. Von einem EU-Beitritt nimmt Kiew jedenfalls keinen Abstand, wie Präsident Wolodymyr Selenskyj am Freitag bekräftigte.

Blockierte Fluchtwege

Die ukrainischen Behörden hofften, dass am Freitag neun humanitäre Korridore aus stark umkämpften Städten geöffnet werden können, doch die Hoffnung war offenbar mancherorts vergeblich. Aus dem stark bombardierten Mariupol konnten auch diesmal keine Zivilisten sicher fliehen. Der Wirtschaftswissenschafter Roman Sheremeta beschrieb in der Nacht auf Freitag in einem Twitter-Thread, wie er mit seiner Familie unter starkem Beschuss Mitte der Woche entkommen konnte. "Niemand rettete uns, wir retteten uns selbst", schrieb Sheremeta. In Mariupol sei die Lage dramatisch. Es gebe kein Wasser, kein Gas, keine Ambulanzen. Er habe mit seiner Familie Schnee geschmolzen, um etwas trinken zu können. "Alles ist entweder ausgeraubt oder niedergebrannt", schreibt er. "Die Toten werden nicht bestattet." Das russische Verteidigungsministerium berichtet von Kämpfen im Stadtzentrum. Zudem befanden sich noch mehr als 1000 Menschen in dem bombardierten Theater. 130 konnten gerettet werden.

In Charkiw brannte auch noch am Tag nach dem Luftangriff einer der größten Märkte Osteuropas. Dicke schwarze Rauchwolken stiegen über dem mehrere Hektar großen Marktgebiet auf. Berichte über Tote oder Verletzte gab es zunächst weiterhin keine.

In Kiew wurden weitere zivile Gebiete bombardiert, sagte Bürgermeister Witali Klitschko am Freitag. Insgesamt starben dort seit dem Einmarsch mehr als 220 Menschen.

Mehr Sanktionen gegen Russland

Indessen sollen die wirtschaftlichen Daumenschrauben gegen Russland fester angezogen werden: Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba hat am Freitag mit dem EU-Außenbeauftragten Josep Borrell über ein fünftes Sanktionspaket des Blocks gesprochen. Früher in der Woche hatten sich die EU-Spitzen auf die vierte Runde geeinigt, mit der Investitionen in den russischen Energiesektor, der Export von Luxusgütern nach Russland sowie der Import von russischem Stahl verboten wurden. Und auch in den USA nahm ein Gesetz Fahrt auf, das hohe Strafzölle auf russische Produkte ermöglichen würde. Mit großer Mehrheit passierte am Donnerstag der Vorschlag das Repräsentantenhaus, Russland den Status als "meistbegünstigte Nation" zu entziehen. Der Senat will "schnell" nachziehen, wie dort der demokratische Mehrheitsführer Chuck Schumer ankündigte. (red, Bianca Blei, 19.3.2022)