Die Haushalte mit den niedrigsten Einkommen jetzt als Argument für Spritpreisbremsen unreflektiert aus dem Schrank zu holen ist heuchlerisch, sagt der Momentum-Ökonom Joel Tölgyes im Gastkommentar.

Die Spritpreise sind stark gestiegen. Für den grünen Vizekanzler Werner Kogler ist das ein Fall für die Bundeswettbewerbsbehörde.
Foto: APA / Helmut Fohringer

Österreichs Verkehrssektor ist und bleibt das große Sorgenkind der Klimapolitik. Seit 1990 ist der Treibhausgasausstoß in diesem Sektor um 75 Prozent gestiegen. Diese Entwicklung hat damit die Fortschritte in allen anderen Sektoren, wie Gebäude, Abfallwirtschaft oder Industrie, zunichtegemacht. Der private Autoverkehr hat einen erheblichen Anteil daran. Heute stammen rund zwei Drittel der Verkehrsemissionen von Pkws. Diese Tatsache ist keineswegs Naturgesetz. Sie ist das Ergebnis einer Politik, die uns konsequent vom Autofahren abhängig gemacht hat.

Zersiedeltes Land

Das Grundproblem liegt bereits darin, dass Österreich ein sehr stark zersiedeltes Land ist. Jeden Tag wird hektarweise landwirtschaftliche Fläche zubetoniert, Gewerbeparks und Einfamilienhaussiedlungen sprießen aus dem Boden. Für die Infrastruktur bedeutet das eine große Herausforderung. Je zersiedelter ein Land, desto schwieriger ist es, den Menschen Bahn- und Buslinien zur Verfügung zu stellen. Ohne innovativere Mobilitätskonzepte, wie moderne Sammeltaxisysteme, sind die Menschen von vornherein auf ihr Auto angewiesen.

Das schlägt sich dann auch in den öffentlichen Verkehrsverbindungen nieder. Im Jahr 2016 brauchte fast die Hälfte der Bevölkerung öffentlich mehr als 50 Minuten zum nächsten überregionalen Zentrum. Im Schnitt ist das in allen Bundesländern, außer Wien, deutlich länger als mit dem Auto. Der öffentliche Verkehr wurde und wird großteils noch immer als die Alternative zum Auto gesehen. Aus klimapolitischer Sicht sollte es aber umgekehrt sein: Das Autofahren sollte zur Alternative zu den Öffis werden, wenn es nicht anders geht. Dazu braucht es Geld und politischen Willen. Beim Straßenbau war beides da. Österreich gehört zu den EU-Ländern mit den meisten Autobahn- und Schnellstraßenkilometern pro Kopf, während Regionalbahnen schrittweise rückgebaut wurden.

Kurze Strecken

Dabei passt diese autozentrierte Politik gar nicht zu unserem Nutzerverhalten. In Österreich sind zwei von fünf Autofahrten kürzer als fünf Kilometer. Das wären eigentlich Strecken, die man gut mit einem (Elektro-)Fahrrad zurücklegen könnte – sofern es überall sichere Radwege geben würde. Immerhin sieben Prozent aller Fahrten sind unter einem Kilometer weit, entsprechen also einem mittleren Fußweg. Dazu kommt, dass in einem Auto im Schnitt nur 1,13 Personen sitzen. In den meisten Fällen sind Menschen also allein im Auto unterwegs, und das mit immer größeren Autos. Zwei von fünf neu zugelassenen Autos waren letztes Jahr SUVs und Geländewagen. Den Trend gibt es dabei nicht nur auf dem Land. In Wien ist jedes dritte neue Auto ein Geländewagen.

Unehrliche Spritdebatte

Dass wir angesichts von immer mehr Kilometern von immer mehr immer größeren, schwereren Autos nun über soziale Auswirkungen der hohen Spritpreise diskutieren, ist etwas unehrlich. Natürlich gibt es Fälle, wo Leute mit niedrigem Einkommen pendeln müssen und nun mehr zahlen müssen.

Man muss aber auch sehen, dass viele Menschen mit niedrigem Einkommen gar kein Auto besitzen. Unter den 20 Prozent der Haushalte mit den niedrigsten Einkommen hat nur jeder zweite Haushalt überhaupt ein Auto zur Verfügung. Für diese Haushalte brachte die autozentrierte Politik der letzten Jahrzehnte nichts. Sie jetzt für allgemeine Spritpreisbremsen unreflektiert aus dem Schrank zu holen ist heuchlerisch. Soziale Mobilitätspolitik bedeutet eben nicht mehr Autos, sondern mehr leistbare öffentliche Verkehrsmittel.

"In Zukunft muss es zur Regel werden, dass wir unsere alltäglichen Wege zu Fuß, mit dem Fahrrad oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurücklegen."

Was wir also brauchen, ist eine echte Mobilitätswende, die uns vor allem weg von Autos bringt. In Zukunft muss es zur Regel werden, dass wir unsere alltäglichen Wege zu Fuß, mit dem Fahrrad oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurücklegen. Dort, wo dies nicht möglich ist, sollen Elektroautos zum Einsatz kommen. Diese Umstellung ist langwierig. Bis es so weit ist, ist es wichtig, gerade auch Menschen mit niedrigem Einkommen zu unterstützen.

Zielgerichtete Transferzahlungen

Analysen zeigen, dass Transferzahlungen hier ein guter Ansatzpunkt sind, weil sie zielgerichteter funktionieren als allgemeine Steuersenkungen und hohen Verbrauch nicht subventionieren. Auch eine Umstellung des Pendlerpauschale wäre eine kurzfristige Möglichkeit. Hier sollte man auf Absetzbeträge umstellen, um Menschen mit niedrigem Einkommen stärker zu unterstützen, und bei Zumutbarkeit die Öffi-Nutzung zur Pflicht machen. Bei all diesen Maßnahmen muss aber klar sein, dass es sich hier lediglich um Übergangsmaßnahmen handelt. Aus klimapolitischer wie auch aus sozialer Sicht muss eine schnelle Mobilitätswende das oberste Ziel bleiben. (Joel Tölgyes, 19.3.2022)