Daniel Wisser erhielt 2018 den Österreichischen Buchpreis.

Foto: Martin Rauchenwald

Da ist Roswitha, die mit einem Arbeitskollegen zweimal ausgegangen war. Als er zum Abschied keine Anstalten macht, sie zu küssen, ist die Sache für sie gelaufen. Dass er kein Geld dabei hatte, um die Rechnung in der Bar zu begleichen, hatte sie ihm durchgehen lassen. Monate später entdeckt sie ein Heft in seinem Schreibtisch, in dem geschrieben steht, dass er ihr kleinere Münzbeträge aus der Schublade gestohlen hätte. Auch Münzfunde im Supermarkt oder Kaffeeautomaten vermerkt er fein säuberlich.

Da ist Ilona, die ihren Mann so sehr mit dem Verdacht piesackt, er betrüge sie, dass er eine Geliebte erfindet. Von jener will Ilona erfragen, wie sie die Zuwendung Karls zurückgewinnen könnte.

Und da ist die krebskranke Linda, die ihren Mann, der sie jeden Tag im Krankenhaus besucht, auffordert, doch auch mal etwas für sich zu tun, woraufhin er ins Bordell geht.

Die erfundene Frau heißt Daniel Wissers neuer Band mit Erzählungen. Tatsächlich sind es 20 Frauenfiguren, die der Autor sich ausgedacht hat. In schlanken, nüchternen Sätzen tupft er die Szenen ohne großen Aufwand hin. "Die Hosen, die sie bestellt hatte, musste sie alle zurückschicken. Medium konnte sie vergessen" nimmt sich in der Formulierung vergleichsweise reißerisch aus. Kaum eine der Geschichten umfasst mehr als zehn Seiten, viele kommen mit fünf aus.

Hinter jeder Geschichte steht eine tragkräftige Idee, die sich oft erst am Ende in einer Pointe offenbart und ihren Witz entlädt.

Entspanntes Zwischenspiel

2018 erhielt Wisser für seinen Roman Königin der Berge über einen MS-Kranken, der sterben will, den Österreichischen Buchpreis. Vergangenes Jahr erschien die politische Gegenwartsdystopie Wir bleiben noch. In Die erfundene Frau dominieren thematisch Paarprobleme, und wo nicht, sind es seltsame Begegnungen. Hin und wieder geht es um eine alleinerziehende Mutter, zweimal um Karrierefragen. Vordergründig fehlt es all dem Erzählten an Dramatik. Der Band wirkt wie eine herrlich lockere Fingerübung, ein entspanntes Zwischenspiel.

Diese alltäglich anmutenden Szenen kennen weder tragische Weltuntergänge noch spektakuläre Highlights. Ein wenig erinnern sie, wenn sie sich schließlich aber in etwas leicht Abstruses drehen, an Xaver Bayers Erzählband Geschichten mit Marianne.

So weit ins Groteske gehen sie jedoch nicht. Ein Mann reist bloß mit seiner launischen Geliebte nach Paris, die über alles lästert. Eine junge Frau verliert beim ersten Date ihren Flipflop und beklagt sich deshalb am nächsten Abend per Nachricht bei ihrem Date, dass "alles" "blöd" gewesen sei. Kein Wort über ihn.

Wie der arme Kerl sich deshalb fühlt? Das führt Wisser nicht aus, aber Wisser gibt den Raum, es zu erahnen. Dass Details sich als Konstanten durch die Geschichten ziehen und sie quasi unterirdisch verbinden, gibt dem Band eigene Rätsel mit. Etwa lassen alle Männer immer die Türen offen. Ständig trinken die Frauen Wein, mehrmals wird ihnen geraten, nach Trennungen die Türschlösser zu wechseln.

Sanfte Offenlegung

In vielen Wohnungen steht ein Stuhl des getrennten oder verstorbenen Expartners, auf dem nie mehr jemand sitzt. Meist haben die Protagonistinnen schon lange nicht mehr geküsst, sind schon lange nicht mehr geküsst worden. Emanzipatorisch macht das einen Unterschied, auf Aussagen festnageln lassen sich diese Geschichten aber nicht. Jedes Mal wissen die paar Seiten mit ihrer sanften Offenlegung von Beziehungsdynamiken aber umso mehr zu bezaubern.

Ein sehr charmantes Buch, in dessen Erfindungen einem vieles sehr wahr vorkommt. (Michael Wurmitzer, 21.3.2022)