PRO: Kein Mikro für Kritiker
von Markus Rohrhofer
Noch fehlen offizielle Berichte, wie viele Menschen am vergangenen Samstag genötigt wurden, sich ins Wiener Ernst-Happel-Stadion zu begeben. Es ist aber davon auszugehen, dass sich der Großteil der rund 40.000 Besucher freiwillig dem Benefiz-Line-up hingab.
Über der mehrstündigen Klingelbeutelbefüllung mit musikalischer Begleitung, immerhin mehr als 800.000 Euro, steht ein Wort, das nach mehr als zwei Jahren Pandemie in den Untiefen des Maßnahmendschungels ein einsames Dasein fristet: die Eigenverantwortung. Es obliegt jedem Einzelnen, ob er im Schutz der eigenen vier Wände eine Spende lockermacht oder als Teil eines Benefizkonzertes ein deutliches Zeichen der Solidarität setzt. Und sich bei solch einem Freiluftevent mit Maske an die empfohlene 3G-Regel hält – oder eben nicht. Zur Erinnerung: Rein rechtlich war angesichts der aktuellen, wenn auch kurzen maßnahmenfreien Zeit alles sauber.
Ja, das Virus macht auch vor Menschen mit den hehrsten Gedanken nicht halt. Und doch ist so ein Konzert vor allem für junge Menschen eine einzigartige Möglichkeit, sich klar gegen Krieg, Hass und Leid zu positionieren. Und ja, es ist auch Balsam für die leidgeprüfte Jugend-Seele, nach Monaten der Isolation wieder gemeinsam zu feiern. Ein Hoffnungsschimmer für wenige Stunden, dass es noch so etwas wie Normalität gibt. Die Disharmonie aus den Reihen der Dauerempörer sollte daher jetzt pianopianissimo ausfallen. (Markus Rohrhofer, 20.3.2022)
KONTRA: Zu riskant, zu selbstverliebt
von Thomas Mayer
Den Vertriebenen aus und in der Ukraine zu helfen ist Pflicht. Jeder, der Herz, Seele und Verstand hat, sieht das so. Dazu gehört, dass viel Geld gesammelt wird, von vielen Spendern. Aber auch um jeden Preis?
Laut UN sind zehn Millionen Menschen auf der Flucht, fast vier Millionen in EU-Staaten angekommen. Hilfsaktionen wie "We stand for Ukraine" sind also in doppelter Hinsicht gefordert, wenn sie ihre Finanzen in Pandemiezeiten boostern. 500.000 Leute sind aktuell infiziert oder in Quarantäne. Umso irritierender waren daher Livebilder vom Benefizkonzert im Wiener Stadion Samstag auf Puls 24 und ORF. 40.000 begeisterte Fans feierten die Größen der Austro-Musikszene ab, dicht an dicht, zehn Stunden lang – fast alle ohne Schutzmasken.
Solche (in Blau-Gelb!) auszuteilen, hatte der Veranstalter angekündigt. Kaum wer verwendete sie, auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen nicht. Er kam ohne FFP2 auf die Bühne. Kein Vorbild. Auch ORF-Moderator Andi Knoll traf nicht den Ton. Das Comeback der Stars nach zwei Jahren ("toller Event") beschäftigte ihn mehr als die Ukraine.
Fazit: Benefiz ist gut, aber bitte nicht so. Das Finale? Kitsch. Imagine , Give Peace a Chance, Lichter. 40.000 "Helden im Stadion" (Seiler & Speer) kann man es nicht verdenken. Für 19,91 Euro bekamen sie ein Schnäppchen. Helden sehen anders aus. Und morgen treiben wir wieder Corona-Rekorde durchs Dorf. (Thomas Mayer, 20.3.2022)