Bei einer Verurteilung drohen Ex-Tennisstar Boris Becker bis zu sieben Jahre Gefängnis.

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Boris Becker war schon an vielen Orten in der Welt zu Hause. Der gebürtige Leimener hatte in München eine Wohnung, war in Monaco gemeldet, besaß eine Immobilie in Miami und hatte in Zürich gewohnt. Aber der Ort, der dem Tennisstar am meisten zusagt, ist Londons Stadtteil Wimbledon, wo er heute wohnt. Jetzt droht ihm ausgerechnet in seiner Wahlheimat die größte Gefahr für seine Freiheit. Am Montag beginnt in London ein Strafprozess gegen Becker. Im Fall einer Verurteilung könnte er für bis zu sieben Jahre ins Gefängnis wandern.

Im Juni 2017 hatte ein britisches Gericht Becker für insolvent erklärt, weil er seine Schulden bei der Privatbank Arbuthnott Latham nicht bezahlen konnte. Das bedeutete, dass Becker fortan den vollen Umfang an Vorschriften und Auflagen für Bankrotteure zu erfüllen hatte. Er musste eine wahrheitsgemäße und vollständige Aufstellung all seiner Vermögenswerte und Verbindlichkeiten vorlegen, durfte nicht mehr als Direktor eines Unternehmens agieren und keinen Kredit über mehr als 500 Pfund aufnehmen, ohne zu enthüllen, dass er bankrott war. Die Insolvenzbehörde denkt, dass Becker diesen Pflichten nicht ordentlich nachgekommen ist.

24 Anklagepunkte

Vor Gericht werden ihm jetzt Verstöße in 24 Anklagepunkten vorgeworfen. Dazu gehören Fälle der Verschleierung von Besitz, der Verschiebung von Vermögenswerten und der Weigerung, Informationspflichten zu erfüllen. Unter anderem soll es um die unerlaubte Überweisung von Bargeld an seine früheren Ehefrauen Lilly und Barbara gehen, die jeweils rund 105.000 Euro beziehungsweise 33.000 Euro erhalten haben sollen. Außerdem soll er Siegestrophäen wie Daviscup-Pokale und Olympia-Medaillen nicht ausgehändigt haben. Becker besteht in allen Anklagepunkten auf seiner Unschuld. Der Prozess vor dem Southwark Crown Court dürfte drei Wochen dauern.

Eigentlich hätte Beckers Insolvenz schon nach wenigen Jahren beendet sein können. Im Vergleich zu Deutschland ist es in Großbritannien günstiger, sich für bankrott erklären zu lassen: In der Regel ist dort schon nach drei Jahren die Angelegenheit abgewickelt, und man darf sich wieder unternehmerisch betätigen. Allerdings kam im Fall Becker eine Reihe von Verschleppungen ins Spiel, sodass die britische Insolvenzbehörde die Auflagen bis Oktober 2031 verlängerte.

Besonders notorisch war ein Manöver, das der dreifache Wimbledon-Sieger im Juni 2018 versuchte. Er präsentierte einen Pass der Zentralafrikanischen Republik und behauptete, dass er als "Attaché für sportliche, kulturelle und humanitäre Angelegenheiten" Diplomatenstatus und Immunität genieße. Als allerdings der Außenminister der Zentralafrikanischen Republik abstritt, dass der Deutsche ein von ihm ernannter Diplomat sei, ließ Becker diese Argumentation schnell wieder fallen. In den Augen der Insolvenzbehörde hat das den 54-Jährigen allerdings verdächtig gemacht.

Persönliche Dinge

Immerhin konnte Beckers Anwalt Jonathan Laidlaw in einer Anhörung vor einer Woche erstreiten, dass sein Mandant einen deutschen Übersetzer an die Seite gestellt bekommt. Zwar kann Becker hervorragend Englisch, doch würden bei dem Verfahren, so Laidlaw, "eine ganze Menge persönlicher Dinge" zur Sprache kommen und sein Mandant sich auf Deutsch dazu äußern wollen: "Wenn er etwas zum Ausdruck bringt, könnte es besser sein, er tut das auf Deutsch, und es wird dann ins Englische übersetzt."

Es geht um viel für Boris Becker: um sein Ansehen, um seinen Restbesitz und nicht zuletzt darum, ob er in seiner Wahlheimat für lange Zeit ins Gefängnis gehen muss. Der Centre-Court in Wimbledon wurde ihm einst zu seinem "Wohnzimmer", und London bezeichnete er als die Stadt, "in der ich noch einmal geboren wurde". Die Liebesaffäre zwischen Becker und der britischen Hauptstadt datiert vom Juli 1985, seinem ersten Sieg dort. Und es funktionierte auch umgekehrt. Die Engländer schlossen den Rotschopf ins Herz. Die BBC brachte es in einer Doku über ihn auf den Punkt: Der Briten liebster Deutscher, lautete der Titel. Ob das nach einem Schuldspruch noch der Fall sein wird? (Jochen Wittmann aus London, 21.3.2022)