Tina nahm Ende Februar ihr Schülervisum entgegen.

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Die Abschiebung von Tina, ihrer damals fünfjährigen Schwester sowie ihrer Mutter am 28. Jänner 2021 war rechtswidrig. Das habe das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) aufgrund der gegen die Abschiebungen eingebrachten Maßnahmenbeschwerden entschieden, berichtete Tinas Anwalt Wilfried Embacher Montagfrüh auf Twitter.

Im Jänner 2021 wurde die damals Zwölfjährige mit ihrer Familie unter heftigen Protesten nach Georgien abgeschoben. Inzwischen ist sie wieder in Wien: Im Dezember 2021 kehrte sie, vorerst vorübergehend, zurück, Ende Februar 2022 erhielt sie ein Schülervisum.

Damit kann Tina nach Angaben ihres Anwalts für ein Jahr, also für die normale Dauer eines Schülervisums, in Österreich zur Schule gehen. Im Büro des für die MA 35 zuständigen Stadtrats Christoph Wiederkehr (Neos) hingegen wollte man sich nicht auf eine konkrete Visumsdauer festlegen. Es handle sich um eine Einzelfallentscheidung, die in der Verantwortung der MA 35 liege, sagte eine Sprecherin damals.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) kündigte in einer Stellungnahme an, dass es "aus heutiger Sicht vermutlich eine Revision einlegen" werde. Den Vorwurf, ohne erneute Abwägung die Abschiebung vollzogen zu haben, wies das BFA zurück und betonte, dass die letzte Prüfung über die Zulässigkeit unmittelbar vor der Abschiebung stattgefunden habe.

Gernot Maier, der Chef des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, nahm in der "ZiB 2" zur rechtswidrigen Abschiebung Stellung.
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Man habe drei Tage vor der Abschiebung die Maßnahme geprüft und sei zum Schluss gekommen, dass diese "zulässig" sei, betonte BFA-Chef Gernot Maier in der "ZiB 2" am Montag. Diese sei auch im elektronischen Akt, warum das Gericht diese Prüfung nicht kenne, sei ihm unerklärlich. Dieser Darstellung widersprach Anwalt Embacher: "Elektronischer Akt und Papierakt sind ident. Diese Prüfung gab es schlicht nicht", schrieb er auf Twitter.

Durch die Amtsrevision wolle Maiers Behörde auch Klarheit, wie lange Kinder als "anpassungsfähig" gelten und somit abschiebbar wären. Maier argumentierte zudem, dass das rechtswidrige Verhalten der Mutter der Tochter nicht vorwerfbar, aber zurechenbar sei, denn die Mutter sei Obsorgeberechtigte. Und diese habe sich mehrmals der Abschiebung entzogen.

Protest und Debatten ausgelöst

Seit ihrer Rückkehr lebt Tina bei einer Gastfamilie. Ihre Schwester und die Mutter mussten in Georgien bleiben. Vor der Abschiebung hatten Unterstützerinnen und Unterstützer, darunter viele Kinder aus ihrer Klasse, tagelang protestiert. Auch einige Politikerinnen und Politiker kritisierten das Vorgehen.

Das Bundesverwaltungsgericht hat der Familie nun recht gegeben und hebt in seiner Entscheidung vor allem des Kindeswohl hervor. Bei einer Rückkehrentscheidung seien stets "die besten Interessen und das Wohlergehen der Kinder" sowie deren "soziale, kulturelle und familiäre Bindungen zum Aufenthaltsstaat" zu berücksichtigen.

Sozialisierung in Österreich

Tina wurde in Österreich geboren. Tinas Mutter war 2006 nach Österreich eingereist. Sie und stellte einen Asylantrag, der in sämtlichen Berufungen abgelehnt wurde. 2012 kehrte die Familie nach Georgien zurück – um 2014 erneut in Österreich einzureisen. Tina hatte bis zur ihrer Abschiebung zehn Jahre ihres Lebens in Österreich verbracht und damit ihre "grundsätzliche Sozialisierung" in Österreich erfahren. Daher sei von einem "sehr ausgeprägten Bezug" zu Österreich auszugehen. Alles deute darauf hin, dass Tina in ihrer Klasse integriert gewesen sei und ihre Zukunft geplant habe. Sie habe die "überwiegende und sozial prägende Lebenszeit" in Österreich verbracht.

Das Gericht gab zwar zu Bedenken, dass der Mutter "Fehlverhalten" vorzuhalten sei, weil sie mehrfach versucht habe, Abschiebungen zu verhindern. Diesem Umstand komme aber im Vergleich zu anderen Kriterien "weniger Gewicht" zu. Die Abschiebung von Tina war laut Gericht also rechtswidrig, was sich aufgrund der "Familieneinheit" auch auf deren Mutter und Schwester durchschlage.

Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ist nicht rechtskräftig. Dass das BFA mit einer außerordentlichen Revision beim Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Erfolg haben könnte, gilt aber eher als unwahrscheinlich.

Symbolischer Fall

Tinas Fall geriet zum Symbol der türkisen Migrationspolitik. Er stieß eine Debatte über ein Recht auf Staatsbürgerschaft für in Österreich geborene Kinder an. Zudem wurde das Vorgehen der Polizei bei den Abschiebungen lautstark kritisiert, die Rede war von "unverhältnismäßiger Polizeigewalt": Tina wurde mitten in der Nacht von maskierten Wega-Beamten mit Hunden geholt. Anschließend richtete das Justizministerium eine Kindeswohlkommission unter der Leitung der ehemaligen Präsidentin des Obersten Gerichtshofs, Irmgard Griss, ein.

Karl Nehammer (ÖVP), damals Innenminister, heute Kanzler, hat das Vorgehen verteidigt und stets betont, dass die Gerichte in diesen Fällen die Möglichkeit der Gewährung eines humanitären Bleiberechts geprüft hätten. Als Minister habe er hier keinen Spielraum und hätte Amtsmissbrauch begangen, hätte er die Abschiebung gestoppt, sagte Nehammer damals.

Die Maßnahmen der Kindeswohlkommission sollen aber auf nicht besonders starke Resonanz gestoßen sein, sagen die ehemaligen Kommissionsmitglieder. Erst Ende Februar traten die ehemaligen Mitglieder an die Presse und drückten ihre Enttäuschung aus. Anders stellte es BFA-Direktor Maier in der "ZiB 2" da: "Wir haben viel umgesetzt", sagte er. Ob sich seine Behörde bei Tinas Familie entschuldigen werde, beantwortete er nicht. (red, APA, 21.3.2022)