Dieser Typ ist uns nicht wohlgesonnen.

Foto: Bethesda

Ghostwire Tokyo hat im Vorfeld seines Releases am 25. März 2022 ein wenig für Verwirrung gesorgt. Denn hinter dem neuen von Tango Gameworks entwickelten und von Bethesda Softworks für Playstation 5 und PC publizierten Game steht niemand Geringerer als Shinji Mikami – also jener Mann, der schon hinter dem allerersten Resident Evil-Game (1996) und dem Horrorspiel The Evil Within (2014) steckte. Sollte Ghostwire Tokyo also ein Horrorgame werden? Mitnichten, statt Grusel gibt es hier viel Action und obendrein in der deutschen Fassung auch noch die Stimme von Tommy Morgenstern, der unter anderem den Son Goku in "Dragonball Z" gesprochen hat.

GameSpot

Ich habe Ghostwire Tokyo auf der Playstation 5 getestet, nach rund 14 Stunden Spielzeit hatte ich die Hauptstory und ein paar Nebenmissionen durch. Erschreckt habe ich mich dabei so gut wie nie, aber Spaß hatte ich recht viel. Das liegt vor allem daran, dass Ghostwire Tokyo auch eine Liebeserklärung an die japanische Mythologie ist.

Die Story von "Ghostwire Tokyo"

Aber eines nach dem anderen: Worum geht es in Ghostwire Tokyo eigentlich? Gleich zu Beginn finden wir uns an der weltberühmten Kreuzung von Shibuya wieder und kriegen mit, wie auf einen Schlag 99 Prozent der Bevölkerung verschwinden. Wir selbst sind noch da, aber wir sind nicht alleine: Erstens streifen grausliche Geister in den Straßen umher und machen Jagd auf die letzten verbleibenden Menschen, zweitens lebt ein anderer Mensch plötzlich in unserem Kopf. Dieser Mensch heißt KK, er war zu Lebzeiten ein Geisterjäger und hat sich nun in unserem Körper eingenistet. Und er ist auch der Grund dafür, dass wir magische Kräfte haben.

Shibuya, zur Abwechslung mal leer.
Foto: Bethesda

Unter diesen etwas ungewöhnlichen Vorzeichen machen wir uns gemeinsam mit unserem neuen Freund auf den Weg, um die eigene Schwester zu retten. Dabei erfahren wir immer mehr über die Beweggründe unseres Antagonisten, zu unserer eigenen Familiengeschichte und zu KKs bewegter Vergangenheit. Gerade am Anfang des Spiels reiht sich hier scheinbar eine Cutscene an die andere, um die Handlung voranzutreiben, später können wir öfter selbst Hand anlegen.

Abwechslungsreiche Nebengeschichten

Ohne hier zu viel von der Story zu spoilern, sei gesagt: Sie ist okay, aber sie haut einen auch nicht vom Hocker. Viele vermeintliche Wendungen sind im Grunde ein wenig vorhersehbar, die Dialoge sind in vielen Situation übertrieben pathetisch. Kompensiert wird dieser Malus aber durch die Nebenmissionen. Hierbei handelt es sich um Aufträge, die wir von friedlichen Geistern erhalten; meist plagt sie etwas im Diesseits, weshalb sie noch nicht ins Jenseits verschwinden können. Und dieses Problem müssen wir lösen.

Diese Aufgaben sind äußerst abwechslungsreich gestaltet. Mal müssen wir herausfinden, warum aus einer Klavierschule kakophone Klänge erschallen, ein anderes Mal müssen wir ein japanisches Onsen besuchen – und in einer anderen Situation müssen wir ein Phantom mit Klopapier versorgen, das auf einer öffentlichen Toilette festsitzt. Man merkt, dass hier viel Arbeit in die Erstellung möglichst unterschiedlicher Geschichten gesteckt wurde, die oft auf urbanen Legenden und Geistergeschichten beruhen. Zugleich sind die Missionen angenehm kurzweilig.

Das Setting: Bedient am großen Mythologie-Bauchladen

Was für die Geistergeschichten gilt, das zeichnet sich auch im allgemeinen Setting von Ghostwire Tokyo ab: Das Game ist eine wahre Wundertüte für alle, die auf Japan allgemein und vor allem auf die dortige Mythologie stehen. So finden sich diverse Landmarks Tokios im Spiel wieder, wie etwa die bereits erwähnte Kreuzung, der Bahnhof von Shibuya und der Tokyo Tower. Und auch auf die Details wurde geachtet: Die omnipräsenten Getränkeautomaten gibt es auch im Spiel an jeder Straßenecke, ebenso wie die Mini-Supermärkte.

Die Supermärkte werden wiederum nicht mehr von Menschen bewirtschaftet, sondern von Geisterkatzen, den sogenannten Nekomata. Sie gehören zu den zahlreichen Yokai, welche die Macher der japanischen Mythologie entnommen haben. In anderen Fällen streicheln und füttern wir Shiba-Inu-Hunde aus Fleisch und Blut, die uns als Dankeschön den Kontakt zu einem Oni herstellen. Und in einer der Nebenmissionen verfolgen wir ein Rokurokubi – einen Geist mit äußerst langem Hals – durch die Nachbarschaft.

Die Shiba-Inu-Hunde im Spiel kann man streicheln.
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Doch wie die friedlichen Geister, so sind auch die Widersacher dem japanischen Alltag und der Shinto-Mythologie entlehnt. Etwa Amewarashi – Geisterkinder in gelben Regenmänteln, die von ihren Eltern getrennt wurden und nun auf Rache sinnen. Puppen, die den "Teru teru bozu" ähneln, fliegen wie an unsichtbaren Fäden durch die Luft und schießen von weitem Feuer. Kopflose Schulmädchen, die zu Lebzeiten schikaniert wurden, prügeln auf uns ein. Männer und Frauen im Business-Outfit, die dem Erfolgsdruck im Arbeitsalltag nicht gewachsen waren, lassen nun als Geister ihrer Wut freien Lauf ... Es muss an dieser Stelle betont werden, dass ich das Glossar eines Spiels normalerweise ignoriere, bei Ghostwire Tokyo dort aber immer wieder neue spannende Sachen gelesen habe.

Und wie kämpft man nun in "Ghostwire Tokyo"?

Im Grunde ist Ghostwire Tokyo ein First-Person-Shooter, bei dem man das Spiel aus der Ich-Perspektive steuert. Allerdings ist "Shooter" nicht ganz das passende Wort, weil man bis auf einen Pfeil und Bogen nicht wirklich Zugriff auf herkömmliche Waffen hat. Stattdessen zaubert man mit Hilfe von Handbewegungen, die an Bewegungen traditioneller Kuji-Kiri-Handgesten angelehnt sind.

Im echten Leben ein Office-Loser, als Geist ein gemeiner Killer.
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Erzeugt werden damit Feuer-, Wasser- oder Windstöße, die auf die Gegner einprasseln. Wie in Spielen dieser Art üblich, können die Attacken außerdem aufgeladen werden, sodass sie dann stärker sind. Und über einen Skilltree können wir die einzelnen Angriffe noch weiter verbessern.

Zudem ist anzumerken, dass die Geister mit jedem Kill bunt schimmernde Energieknubbel verlieren, die wiederum als "Munition" für unsere Mini-Kamehamehas fungieren. Wollen wir in Kämpfen nicht wehrlos dastehen, so müssen wir diese Munition freilich einsammeln. Zusätzliche Munition gibt es für geschicktes Blocken, Nahkampf-Gekloppe und das Zerschlagen von Gegenständen.

Bei den Kämpfen können wir den Geistern auch ihre Herzen herausreißen.
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Und schließlich gibt es die Möglichkeit, bösen Geistern den "Kern" – also quasi das Herz – herauszureißen. Und auch Angriffe aus dem Hinterhalt sind möglich. Dass die dazugehörigen Animationen ein wenig aussehen wir die "Glory Kills" aus Doom (2016), ist kein Zufall: In beiden Fällen war Combat Director Shinichiro Hara am Werk.

Viel zu tun im leeren Tokio

Auch sonst wurden diverse Aspekte der japanischen Kultur in das Gameplay integriert – leider macht aber nicht alles davon Spaß. So sind es etwa noch recht nette Gimmicks, dass man durch das Beten an Schreinen bessere Fähigkeiten erhält und Lebenspunkte generiert, indem man sich durch diverse japanische Drinks und Speisen kostet, die man bei den bereits erwähnten Getränkeautomaten und Geisterkatzen erhält.

Das Reinigen der Torii wird irgendwann zur eintönigen Tätigkeit.
Foto: Bethesda

An anderer Stelle nerven die Spielelemente eher. So soll man etwa die Seelen der verschwundenen Einwohner Tokios über kleine Papierfiguren, Katashiros, einsammeln, was sich aber eher einfach wie ein uninspiriertes Grinden anfühlt. Das Gleiche gilt für die Torii (die wohl jeder kennt, der während eines Japans im Fushimi Inari-Taisha war). Als stilistisches Element recht schön anzusehen, nerven sie im Spiel eher. Denn sie verströmen einen Geisternebel, der uns am Erkunden der Open World hindert. Um diesen Nebel zu entfernen, müssen die Tore "gereinigt" werden. Das ist ein recht eintöniges Unterfangen, das mich während des Tests mal einen halben Abend beschäftigt hat – mit sich relativ wiederholenden Abläufen.

Grafik und Sound passen manchmal nicht

Apropos Open World: Etwas unschlüssig ist auch die Navigation im Spiel gestaltet. So war ich mir oft nicht sicher, wohin ich mich bewegen soll, und die Minimap zeigte teils vollkommen unsinnige Wege an. Das kann frustrieren. An einer Stelle gegen Ende des Spiels arbeitet man wiederum lange darauf hin, ein Motorrad herzurichten, das durch den verfluchten Nebel fahren kann – nur um dann festzustellen, dass man es nicht selber fahren, sondern nur in einer Cutscene bestaunen kann.

Ebenso ist negativ anzumerken, dass die Grafik teilweise nicht so wirkt, als sei sie auf dem neusten Stand – viele Texturen wirken einfach zu glatt und poliert, um die passende Stimmung zu vermitteln. Die Charaktere wirken nicht selten etwas hölzern animiert. Während der sich in ihren Abläufen irgendwann auch wiederholenden Kämpfe wird außerdem manchmal eine Musik abgespielt, die schlichtweg eher einen Grusel- als einen Actionfaktor beisteuert. Das wirkt irgendwie unfertig und mindert die eigentlich sonst so liebevoll gestaltete Atmosphäre.

Fazit: Ein Fest für Japan-Fans – aber kein Must-have

Das Urteil zu Ghostwire Tokyo fällt somit sehr klar aus. Wer Japan allgemein liebt, dem Charme der dortigen Alltagskultur verfallen ist und ein Faible für japanische Mythologie hat, der wird auch an diesem Spiel Freude haben. Das liegt vor allem an all den netten Details und Referenzen, die das Team zusammengestellt hat.

Auf der anderen Seite ist die Hauptstory eher halbgar, das Gameplay nervt an verschiedenen Stellen oder wiederholt sich, die Grafik kann mit diversen AAA-Titeln dieses Jahres nicht wirklich mithalten. An vielen Stellen wirkt es schlichtweg so, als hätte man in das Spiel einfach noch ein bisschen mehr Zeit stecken müssen. So hätte man auch mehr Menschen begeistern können. Und nicht nur jene, die jeden in diesem Test verlinkten Wikipedia-Beitrag mit Begeisterung verschlingen werden. (Stefan Mey, 21.3.2022)

Disclaimer: Ghostwire Tokyo erscheint am 25. März für Playstation 5 und PC, die Version für Xbox Series X/S soll in einem Jahr folgen. Ein Exemplar des Spiels wurde dem STANDARD zu Testzwecken zur Verfügung gestellt.