Über die wirtschaftlichen Auswirkungen des Krieges in Europa schreibt Anlageberater Bernhard Führer im Gastblog.

Man blickt dieser Tage traurig und mit Sorge auf die Ereignisse in der Ukraine und hofft, dass die Diplomatie und der Verstand am Ende gewinnen werden. Dabei fällt es schwer, über wirtschaftliche Zusammenhänge zu schreiben. Die Gedanken sind bei den Menschen in der Ukraine.

Viele fragen sich, wie man am besten vorgeht angesichts des vorherrschenden Krieges in Europa. Dabei sind nicht nur Anleger betroffen, sondern die Unwägbarkeiten des Krieges bergen das Risiko der Inflation für alle von uns.

Geopolitisches Risiko und Rechtsstaatlichkeit

Es ist mehr als drei Wochen her, seit Russland mit der Invasion in die Ukraine begonnen hat – dem größten konventionellen Militärangriff in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg. Klar ist, dass dies eine äußerst komplexe Situation ist, die nicht schnell oder einfach gelöst werden kann. Kommentatoren versuchen immer noch zu verstehen, welche Auswirkungen dies auf unser Leben haben wird.

Viele sagen, der Krieg in der Ukraine sei ein Wendepunkt in der Weltgeschichte. Wie bei vielen Wendepunkten ist die Krise vielschichtig und voller Widersprüche. Die Märkte stürzen ab, die Öl- und Gaspreise steigen auf beispiellose Höhen, und auch Gold steigt im Wert. Wie lange das dauern wird, weiß niemand.

Eine Möglichkeit zur Einschätzung besteht darin, Risiken von Investitionen in Autokratien zu berücksichtigen: geopolitische Risiken und die der Rechtsstaatlichkeit. Russlands Angriff auf die Ukraine ist ein extremes Beispiel für die geopolitischen und rechtsstaatlichen Risiken, die mit Investitionen in autokratischen Ländern verbunden sind.

Der russische Rubel hat seit der Invasion enorm an Wert verloren.
Foto: APA/AFP

Anleger, die in russische Aktien und Anleihen investiert haben, haben mit dem Feuer gespielt und sich verbrannt. Nach der russischen Invasion in der Ukraine werden Anlageklassen aus Russland als im Wesentlichen wertlos abgeschrieben, was den Anlegern in dieser geografischen Region Verluste zufügt. Aber es gibt eine umfassendere Lehre für Anleger: Wenn es um Investitionen in autokratischen Ländern wie Russland geht, können die normalen Regeln für die Auswahl von Aktien und Anleihen, wie Bewertungen oder die fundamentalen Aussichten eines Unternehmens oder Landes, über Nacht irrelevant werden. Sicher, Investoren können für eine Weile Geld verdienen, aber am Ende zählen nur die Regeln, die von der Person festgelegt werden, die das Land führt. Und oft bedeutet das, dass sie die Regeln festlegen, um an der Macht zu bleiben, sich selbst und ihre Entourage zu bereichern – oder beides.

Es war eine Sache, die Risiken einer Investition in Russland nicht zu beachten. Es ist ein Land, in dem die meisten diversifizierten Anleger nur einen kleinen Prozentsatz ihres Portfolios halten. Für ein Land wie China sieht es da schon wieder ganz anders aus. Viele Investmentfonds und Aktien haben ein starkes direktes oder indirektes Engagement in dem Land. So wie einige wachsame Kommentatoren vor Russland gewarnt hatten, können ebenso ähnliche Fragen zu China gestellt werden. Die Frage ist, ob es langfristig wirklich nachhaltig ist, in diese Länder zu investieren – und welchen systemischen Risiken mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte.

Wie lange wird Russland den Sanktionen trotzen?

Russlands Wirtschaft bröckelt, die Währung ist zusammengebrochen, und die Schulden des Landes sind in allen namhaften Ratings auf Ramschniveau abgerutscht. Und wäre das nicht schon genug, so steht ein potenzieller Zahlungsausfall im Raum, der Anleger Milliarden kosten und das Land von den meisten Finanzierungsmärkten ausschließen könnte. Die Regierung ist nach wie vor der Auffassung, alle Schulden bedienen zu können, und will eine Zahlung von Zinsen in Höhe von über 110 Millionen US-Dollar für Dollaranleihen durchführen. Die Schuldner warten dabei angespannt, da der Wert ihrer Investitionen bereits massiv gesunken ist, seit Russland im vergangenen Monat in die Ukraine einmarschiert ist.

Die Regierung sagt, dass alle Schulden bedient werden, obwohl dies in Rubel geschehen wird, solange die wegen des Krieges verhängten Sanktionen keine Abfindungen in Dollar zulassen. Nichtzahlung würde eine Kettenreaktion anstoßen, da eine potenzielle Welle von Zahlungsausfällen bei Fremdwährungsschulden auf staatlicher und unternehmerischer Seite in Höhe von über 100 Milliarden US-Dollar zu befürchten wäre. Ein solches Ereignis wird Erinnerungen an frühere Krisen wecken, einschließlich Russlands 1998, als es mit einigen auf Rubel lautenden Schulden in Verzug war, und Argentiniens drei Jahre später.

Die Wirtschaftssanktionen werden die Wirtschaftsleistung und damit die Unternehmens- und Staatseinnahmen dramatisch reduzieren. Die Russische Föderation hatte im vergangenen Jahr zum Wechselkurs von Ende 2021 Gesamtausgaben in Höhe von über 300 Milliarden US-Dollar. Das derzeitige Embargo wird das russische BIP jährlich um über neun Prozent reduzieren, vorausgesetzt, die Öl- und Gasexporte bleiben auf dem Niveau von 2021. Dies bedeutet, dass die Steuereinnahmen um etwa 18 Milliarden Dollar sinken werden – was im Vergleich zu den verfügbaren Reserven keine große Summe ist. Aber wenn Russland sein Öl und Gas nicht exportieren kann, muss es einen zusätzlichen Einnahmeausfall von an die 120 Milliarden Dollar ausgleichen.

Wie weiter vorgehen?

Das Fazit der wirtschaftlichen Sanktionen ist, dass solange Russland weiterhin Öl und Gas exportieren kann, das Land die durch westliche Sanktionen verursachten Einnahmeausfälle noch lange ausgleichen kann. Aber der wirtschaftliche Schaden wird dabei enorm sein, da das BIP allein innerhalb des nächsten Jahres um annähernd zehn Prozent sinken wird. Aber wenn Russland seine Öl- und Gaseinnahmen verliert, wird Putin innerhalb von ein bis zwei Jahren das Geld ausgehen – und der ohnehin enorme gesellschaftliche Schaden und das Leid der Menschen in der Ukraine könnte mitunter gemindert werden.

Dennoch dürften die längerfristigen Auswirkungen auf die Weltwirtschaft (nach derzeitiger Situation) geringfügiger als gedacht sein. Europa wird vor allem aufgrund der Abhängigkeit von russischen Öl- und Gasvorkommen immens höhere Energiekosten tragen müssen. Das inflationäre Risiko wird durch den Krieg in Europa folglich noch größer als zuvor. Dies liegt an den Ausfällen der russischen Energielieferungen, aber auch an der nicht normalisierten Zinspolitik der Zentralbanken. Daran wird sich so schnell nichts ändern, da die Staatsschulden durch gesteigerte Rüstungsausgaben steigen werden. Eine steigende Inflation bei den vorherrschenden niedrigen Nominalzinsen führt zu negativen Realzinsen und zu immensen Kaufkraftverlusten für die Sparer.

War in der Vergangenheit die Inflation hoch, so gab es höhere Zinsen. Dieses Mal und auch zukünftig wird dies anders sein – darauf sollte man vorbereitet sein. Dies wird mittelfristig zu einer Emanzipation von Russland als Kornquelle der Energieressourcen führen. Es gilt das, was schon für vergangene und auch zukünftige Abschwünge an den Finanz- und Kapitalmärkten galt: Im geschichtlichen Verlauf hat sich der Markt immer wieder erholt, und wer in der Folge lange genug investiert war oder gar günstig nachgekauft hat, konnte Preissteigerungen besser verkraften und an folgenden Aufschwüngen partizipieren. (Bernhard Führer, 24.3.2022)