Terrorkrieg mit "Z": Seit in der Ukraine Putins wegen die Waffen sprechen, bleibt der Wahrheitsgehalt von Aussagen oftmals auf der Strecke.

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Schließung des Himmels: Die Nötigung durch Putins Angriffskrieg entfaltet einen mehrdimensionalen Schrecken. Mit der Macht ihrer gepanzerten Kolonnen greift die russische Militärkampagne nicht nur weit auf ukrainisches Terrain aus. Längst dominiert der ballistische Terror den Luftraum. Was Flieger und konventionelle Marschkörper allein nicht zugrunde richten, sollen nunmehr "Hyperschallraketen" zur Zufriedenheit der Kreml-Krieger erledigen. Im Denken des Aufklärers Immanuel Kant weckte die Betrachtung des Himmels noch Ehrfurchtsgefühle: Die Ansicht der Sterne flößte ihm Zutrauen ein zu seiner Existenz als moralisch denkender Mensch.

Verbotszone: Als Transportfläche für Wladimir Putins Waffen hat der europäische Luftraum endgültig jede Unschuld verloren. Seit sich der Schrecken gegen zivile Opfer richtet, fordern Intellektuelle wie der Osteuropa-Historiker Karl Schlögel mit großer Vehemenz die "Schließung des Himmels" über der Ukraine: notfalls mit Waffengewalt. Die Weigerung der Nato, für die gewaltsame Durchsetzung eines Flugverbots zu sorgen, hat US-Präsident Joe Biden und dessen Verbündeten Vorwürfe der Zögerlichkeit eingetragen.

Autor Jury Andruchowytsch fordert im Umgang mit der russischen Hydra "Furchtlosigkeit". Schlögel ist, etwa in Anlehnung an Berlin 1948/49, an der Installation einer "Luftbrücke" nach Kiew gelegen. "Der Himmel ist bei uns auf Erden, / Im Glauben schauen wir ihn an …", so dichtete der fromme Frühromantiker Novalis vor rund 200 Jahren. Sphärische Gewissheiten wie diese sind tiefer Skepsis gewichen. Jeder Versuch einer Wiederaneignung des ukrainischen Himmels ist mit dem letztlich unkalkulierbaren Risiko verbunden, die Nato in ein atomares Kräftemessen mit der Russischen Föderation hineinzuziehen.

Legitime Sicherheitsinteressen: Die Formel von der russischen Bedürftigkeit nach Protektion belegt eindrucksvoll die bewusste Okkupation des völkerrechtlichen Diskurses. Putins Vorwand für sein militärisches Losschlagen soll als ein hohes Rechtsgut erscheinen. Eine veraltete, zum Blutvergießen wild entschlossene Macht- und Gewaltpolitik schneidert sich ihr Mäntelchen der Rechtfertigung zurecht. "Klassisches Völkerrecht" soll der eigenen, unentschuldbaren Aggressivität den Anschein von Rechtschaffenheit verleihen.

Dabei hat bereits Kant das vermeintliche Recht auf Krieg ("ius ad bellum") verurteilt und allein schon aus Vernunftgründen zu überwinden gewünscht. Der innerhalb staatlicher Grenzen etablierte Zustand von Frieden und Recht soll, um des "Ewigen Friedens" (Kant) willen, möglichst auf alle Staaten ausgedehnt werden.

Tanktok: Auch das Videoportal Tiktok, sonst eine Clipstation für die lippensynchrone Aneignung von musikalischem Fremdmaterial, steht wie so viele andere Kanäle auch im Bann des Ukraine-Krieges. Seit immer mehr Panzer durchs Bild rollen, wird von manchen Nutzern sogar von "Tanktok" gesprochen.

Abschaum und Verräter: Immer wieder lässt sich Wladimir Putin zur Verunglimpfung echter oder vermeintlicher Widersacher hinreißen. Mit Blick auf Russen, die Sympathien für den Westen hegen, spricht er dann von der "fünften Kolonne", von "Abschaum und Verrätern". Sein Volk spucke dergleichen missliebige Menschen aus "wie eine Mücke, die ihm zufällig in den Mund geflogen ist".

Mit solchen gezielten Proben verbaler Enthemmung provoziert Putin den Vergleich mit dem Rotwelsch gestandener Plutokraten: Solche Kraftlackeleien sollen nichts anderes beweisen als Putins unverbrüchliche Nähe zum Volk. Zugleich sucht der Diskurs des Kreml-Machthabers offenbar den Anschluss an den "Schädlings"-Diskurs der Nationalsozialisten. Der mündete bekanntlich in eine Politik der systematischen Ausrottung von missliebigen Leben. Nicht ganz zu Unrecht sprach Karl Schlögel mit Blick auf Putin bereits von "postmodernem Faschismus".

Die gemarterte Physis: In Leipzig verlas die ukrainische Autorin Tanja Maljartschuk einen Text über den Krieg in ihrem Heimatland. Der Terror dränge Autorinnen wie sie an den Rand des Schweigens: "Russische Panzer rücken vor und besetzen mein Herz, meinen Magen, meine Füße", so Maljartschuk. Imperialistische Aggressionen wie diejenige Putins setzen die Geltung eines rein symbolischen Ausdrucksvermögens außer Kraft. Okkupiert werden gleichermaßen Leib, Geist und Seele der vom Terror Betroffenen.

Russland canceln: Gelegentlich schüttet Putin am Telefon gegenüber westlichen Amtskollegen sein Herz aus. Zu erkennen gibt er zu solcher Gelegenheit eine bemerkenswerte Dünnhäutigkeit. Die Boykottmaßnahmen des Westens würden die Absicht belegen, "Russland zu canceln". Ausgerechnet der Aggressor beklagt mangelnde Teilhabe. (Ronald Pohl, 22.3.2022)