Deutschland will im ersten Jahr rund 5.000 Soldatinnen und Soldaten für die neue EU-Armee stellen.

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Brüssel/Kiew/Moskau – Die EU bekommt eine neue militärische Eingreiftruppe, die bis zum Jahr 2025 einsatzfähig sein soll. Sie ist Teil eines sicherheitspolitischen Konzepts, das die Außen- und Verteidigungsminister der 27 Mitgliedsstaaten am Montag nach Angaben von Diplomaten in Brüssel beschlossen haben. Auch Österreich macht bei der Eingreiftruppe mit, sagte Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) im Vorfeld des Beschlusses. Im ersten Jahr will Deutschland die 5.000 Soldaten der Truppe stellen.

Die Neutralität Österreichs stehe der schnellen Eingreiftruppe nicht im Weg, so Tanner. "Selbstverständlich sind wir dabei", antwortete sie am Montag in Brüssel auf die Frage nach einer österreichischen Beteiligung. Dabei verwies sie auch auf die Teilnahme an den bisher nie eingesetzten Battle Groups.

Berlin will erste Soldaten stellen

Berlin will indes die neue EU-Eingreiftruppe mit bis zu 5.000 Soldaten im ersten Einsatzjahr 2025 stellen. Damit sende die deutsche Bundesregierung angesichts des Ukraine-Kriegs ein "klares Signal": "Wir stehen füreinander ein", betonte die deutsche Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) vor dem Treffen. Sie wolle ihren Kolleginnen und Kollegen anbieten, dass "das militärische Herzstück" der neuen EU-Sicherheitsstrategie, also die schnelle Eingreiftruppe, "im Jahr 2025 dann für ein Jahr von Deutschland gestellt werden kann".

Lambrecht sagte weiter, dass Deutschland mit 26 Prozent auch den Großteil der zusätzlichen EU-Militärhilfe für das ukrainische Militär finanzieren werde. Die weiteren 500 Millionen Euro sollten bei der Sitzung am Montag bewilligt werden. Österreich ermöglicht den Beschluss, indem es sich konstruktiv enthält.

Gemeinsame Militärbeschaffungen

Der nun beschlossene Strategische Kompass ist eine Art sicherheits- und verteidigungspolitische Doktrin für die EU. Damit soll unter anderem festgelegt werden, welche Fähigkeiten die EU künftig im Bereich des Krisenmanagements haben muss. Die schnelle Eingreiftruppe sowie gemeinsame Beschaffungen von Verteidigungsfähigkeiten sind Teil davon.

Erste Entwürfe für das von Deutschland initiierte sicherheitspolitische Konzept hatten schon lange vor dem Angriff Russlands auf die Ukraine vorgelegen. Sie wurden nach Angaben von Diplomaten nun aber noch einmal mit Blick auf die jüngsten Entwicklungen überarbeitet.

Zusammenarbeit mit Moskau aus Entwurf gestrichen

So wird in der jüngsten Version deutlicher gemacht, dass sich die EU auch mit nuklearen Bedrohungen auseinandersetzen muss, und es wird festgehalten, dass die Mobilität der europäischen Streitkräfte "dringend" verbessert werden muss. Ein Satz, der die Zusammenarbeit mit Moskau in ausgewählten Themenbereichen ermöglichen sollte, wurde hingegen ersatzlos gestrichen.

"Als wir mit der Arbeit begonnen haben, konnten wir uns nicht vorstellen, dass die Lage im Augenblick der Annahme so schlecht sein würde", sagte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell. Man müsse sich nun Gedanken über die europäische Fähigkeit machen, mit Herausforderungen wie einem Krieg umzugehen.

Lange Diskussionen

Zur neuen Truppe sollen je nach Bedarf neben Bodentruppen auch Luft-und Seestreitkräfte gehören. Es gehe darum, unterschiedliche miteinander kombinierbare "Module" zu haben, erklärte Borrell Ende vergangenen Jahres zu dem Projekt. Unterschiedliche Einsatzszenarien könnten beispielsweise das Eingreifen in einen bewaffneten Konflikt, die Evakuierung von Menschen oder das Sichern eines Flughafens sein.

Diskussionen über den Aufbau einer solchen Eingreiftruppe gibt es in der EU bereits seit längerem. Sie wurden durch die militärische Abhängigkeit von den USA beim Evakuierungseinsatz in Afghanistan im Sommer vergangenen Jahres noch einmal befeuert.

Danach legte Deutschland gemeinsam mit anderen EU-Staaten einen Vorschlag zum Aufbau einer Eingreiftruppe vor. Er beabsichtigte, die bereits existierenden EU-Battlegroups zu schlagkräftigen und kurzfristig einsetzbaren Krisenreaktionskräften weiterzuentwickeln. Dazu sollen auch Weltraum- und Cyberfähigkeiten sowie Spezialeinsatzkräfte und strategische Lufttransportkapazitäten bereitgestellt werden.

EU-Battlegroup-Konzept

Diese Idee wird nun im Strategischen Kompass aufgenommen. Die neue Truppe soll demnach aus substanziell veränderten EU-Battlegroups und anderen Streitkräften der Mitgliedsstaaten bestehen. Das bisherige EU-Battlegroup-Konzept sieht vor, dass ständig zwei Einheiten mit im Kern jeweils rund 1.500 Soldaten bereitgehalten werden, die alle sechs Monate wechselnd von unterschiedlichen EU-Staaten zur Verfügung gestellt werden. Zuletzt hatte es allerdings immer wieder Probleme gegeben, genügend Truppen zusammenzubekommen. Zum Einsatz kamen die EU-Kräfte noch nie.

Erklärtes Ziel ist auch, militärisches Handeln im EU-Kontext flexibler und unkomplizierter zu machen. So soll zum Beispiel der Gebrauch des bisher noch nie genutzten Artikels 44 des EU-Vertrags erleichtert werden. Über diesen könnten für einen Militäreinsatz Koalitionen von Willigen gebildet werden.

Tanner hatte sich im Vorfeld zuversichtlich zu einer Einigung gezeigt. Die EU-Staats- und Regierungschef werden es ihrer Einschätzung nach Ende der Woche bei ihrem Gipfeltreffen absegnen. "Wir müssen schneller werden, angesichts dieser herausfordernden Situation", sagte Tanner. Es gehe auch darum, "mit einer Stimme zu sprechen, wirklich glaubwürdig zu sein, uns robuster aufzustellen. Dass wir da Aufholbedarf haben, steht wohl außer Frage." Beim Strategischen Kompass hätten auch viele Anregungen Österreichs Eingang gefunden, so die Verteidigungsministerin mit Blick auf den Westbalkan und die Zusammenarbeit mit der Organisation für Sicherheit- und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). (APA, 21.3.2022)