Dass unser Gehirn auf negative Nachrichten anspringt, macht auf evolutionärer Ebene Sinn. Heutzutage ist das aber anders.

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Der Mord geschieht ohne Vorwarnung. Habe ich eben noch einen lustigen Sketch gesehen, wird mir gleich darauf in meinem Tiktok-Feed ein Clip gezeigt, bei dem ein Mensch in eine Wohnung stürmt und drei Menschen erschießt. Aus der Ich-Perspektive. Verstört schließe ich die bei Teenagern so beliebte App und wende mich dem Internetauftritt des STANDARD zu. Hier vermeiden wir zwar Sensationalismus, aber die Präsenz negativer Schlagzeilen lässt sich nicht leugnen: Krieg in der Ukraine hier, Rekord-Corona-Zahlen dort – und zwischendurch ein von mir als Game-Test getarnter Artikel über das Artensterben. Zurück auf Social Media: Auf Facebook werden mir von Bekannten geteilte Fake News zum Coronavirus in die Timeline gespült, selbst auf Instagram erreichen mich inzwischen mehr Bilder aus dem aktuellen Weltgeschehen als Schnappschüsse schmackhafter Desserts. Und von Twitter, diesem Pool politischer Polarisierung, möchte ich gar nicht anfangen.

Doomscrolling: Das neue "Gemeine-Welt-Syndrom"

Negative Nachrichten sind in unserer Zeit omnipräsent. Und natürlich sind sie wichtig, damit wir uns über das Weltgeschehen informieren und darauf basierend Entscheidungen treffen können. Sie können aber auch, exzessiv konsumiert, unter anderem Depressionen und Angstzustände auslösen. Hierzu hat sich der Begriff des "Doomscrolling" etabliert. Es handelt sich um die moderne Version dessen, was zuvor als das "Gemeine-Welt-Syndrom" bekannt war: Durch den übermäßigen Konsum schlechter Nachrichten entsteht der Eindruck, dass die Welt generell schlecht sei; in Zeiten von Social Media mit ihrem Endless Scrolling und digitalen Echokammern wird dieser Effekt noch um ein Vielfaches potenziert.

Dass unser Gehirn auf negative Nachrichten anspringt, macht auf evolutionärer Ebene Sinn. Denn in der Frühzeit der Menschheit mussten wir wissen, welche Tiere uns fressen wollen, sodass wir diese Tiere meiden konnten. Doch seitdem hat sich viel getan. So manche vermeintliche Bedrohung hat auf unsere eigene Sicherheit vielleicht gar keinen Einfluss – und wenn doch, dann reicht es, dass man es einmal und nicht fünfzigmal erfährt.

Was gegen Doomscrolling hilft

Entsprechend simpel ist auch die Antwort auf die Frage, was gegen Doomscrolling getan werden kann: sich des Problems bewusst werden, dann den Medienkonsum reduzieren. Nur ausgewählt Nachrichten aus seriösen Quellen konsumieren und sich dafür ein zeitliches Limit setzen. Danach abschalten und den Ausgleich suchen. Durch ein Gespräch mit Freunden, Zeit mit der Familie oder einen Spaziergang im Wald. Und zwar ohne Smartphone und ohne unkontrollierbaren Tiktok-Feed. (Stefan Mey, 22.3.2022)