Die Wohngruppe Kolokation mit 17 Bewohnern im Alter ab 50 Jahren lebt im Sonnwendviertel.

Foto: EGW Erste gemeinnützige Wohnungsgesellschaft mbH.

Ob die Entscheidung ein großer Blödsinn war, hat sich Freya Brandl bisher nicht gefragt. Sie sitzt im Gemeinschaftsraum ihrer Wohngruppe im Sonnwendviertel hinter dem Wiener Hauptbahnhof. Ihre Zweizimmerwohnung mit 54 Quadratmetern ist nur wenige Schritte entfernt.

Vor gut zwei Jahren hat die pensionierte Architektin noch in einem Haus mit Garten im 23. Wiener Gemeindebezirk gewohnt. Nachdem die Kinder ausgezogen waren und ihr Mann verstorben war, wurden die vielen Quadratmeter zur Belastung. Um nicht zu vereinsamen, hat sie sich mit ihrem Kollegen Peter Bleier auf die Suche nach Gleichgesinnten gemacht und 2013 den Verein Kolokation – gemeinsam urban wohnen gegründet.

Eigene Wohnung, geteiltes Stockwerk

Ihre Vision: Wohnraum für Menschen ab 50 Jahren schaffen, in dem sie gemeinsam und trotzdem allein leben können; jeder in einer eigenen Wohnung, aber in einem gemeinsamen Bauteil, der auch Gemeinschaftsräume und Gästezimmer umfasst.

Als Brandl und Bleier begannen, ins Café Resselpark zum Kolokation-Stammtisch zu laden, "war der Ansturm enorm". Kein Wunder, immerhin seien 50 Prozent der Wienerinnen und Wiener alleinstehend. Wiederum die Hälfte davon ältere Singles – "viele auf der Suche nach Gemeinschaft".

Als es schließlich ernst wurde und die Suche nach einem Bauprojekt begann, sprangen zwar einige der Interessierten wieder ab. Schlussendlich haben sich aber 17 Personen, darunter zwei Paare, dazu entschieden, "das Wagnis" einzugehen und ins zweite Geschoß des zehnstöckigen Baus der Wohnbaugenossenschaft EGW Heimstätte einzuziehen.

Diskutieren statt streiten

"Das Neubaugebiet Sonnwendviertel war nicht sehr verlockend", sagt Brandl. Trotzdem ist sie froh, den Schritt gegangen zu sein. Eine Glastür trennt die 15 Kolokation-Wohnungen vom restlichen Bau. "Wir leben gemeinsam mit Abstand. Man hilft und unterhält sich gegenseitig", sagt sie. Ihre Nachbarinnen und Nachbarn sind zwischen 50 und "70 plus".

Sie selbst zählt zur Altersgruppe 70 plus. Damit das Zusammenleben funktioniert, haben sie sich auf einen soziokratischen Entscheidungsprozess geeinigt. "Wir streiten nicht. Alles – jedes noch so kleine Fitzelchen – wird ausdiskutiert. Dann fassen wir einen Beschluss", sagt die Architektin.

Expansion in die Seestadt

Brandls Bilanz nach zwei Jahren: Es braucht mehr solcher Projekte. Eines davon, "Kolokation am Seebogen", haben Brandl und Bleier zusammen mit einem Team bereits entwickelt. Im Gegensatz zum Sonnwendviertel bezieht das Konzept in der Seestadt Aspern auch Alleinerziehende und Studierende mit ein.

Insgesamt sind 41 Wohneinheiten entstanden, 24 davon für Kolokation, die restlichen 17 werden vom Wohnservice Wien vergeben. "In der Seestadt war die Kennenlernphase mehr ein Gehen als ein Kommen, weil einige doch nicht so weit draußen wohnen wollten." Schlussendlich habe sich aber eine gute Gruppe gefunden, die bereits eingezogen ist.

Kolokation im Village

Währenddessen hat der Entwicklungsprozess für ein weiteres Projekt namens "Kolokation im Village" im dritten Bezirk bereits begonnen. Die Wohngruppen "Kolokation" und "Freundeskreis" haben sich zusammengetan und ein Konzept erarbeitet, in dem die Bedürfnisse junger und alter Bewohner ineinandergreifen. Sieger des Architekturwettbewerbs ist das Büro Nonconform. Der Baubeginn ist für 2023 geplant. (Julia Beirer, 25.03.2022)