Russlands Darstellung der Situation in der Ukraine steht bei vielen Gegnern von Corona-Maßnahmen hoch im Kurs.

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Eine Verharmlosung des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine, Kritik an der Nato – dann geht es wieder um Verschwörungserzählungen über eine vermeintlich tödliche Corona-Impfung. Deutschsprachige Impfgegnerinnen beschränken sich schon lange nicht mehr auf nur einen Themenbereich. Während auf den Wiener Corona-Demonstrationen inzwischen Russland-Fahnen wehen, werden zigtausende Menschen auf Telegram mit der passenden Kreml-Propaganda überschwemmt.

Eine zentrale Rolle spielen dabei russische Staatsmedien wie RT DE, das bereits seit mehreren Jahren zu einer der wichtigsten Nachrichtenquellen für die Szene zählt. Kaum ein anderes Medium wurde vor dem EU-weiten Verbot in einschlägigen Kanälen so stark verbreitet wie der Propagandasender. Dieser hat es seit Beginn der Coronavirus-Pandemie geschafft, mit vor Desinformation strotzenden Narrativen ein treues Publikum aufzubauen, wie es auch von öffentlichen Stellen heißt: Ziel sei die "Diskreditierung der Bundesregierung, die polarisierende Zuspitzung des politischen Diskurses und das Untergraben des Vertrauens in staatliche Stellen", so steht es im deutschen Verfassungsschutzbericht aus dem Jahr 2020.

Neues Thema, gleiche Strategie

Diese Strategie scheint sich mit Ausbruch des Ukraine-Krieges nicht verändert zu haben, stattdessen wurde der inhaltliche Schwerpunkt kurzerhand von Covid-19 auf das aktuelle Geschehen verlegt. Zum Beispiel verbreitete Margarita Simonjan, Chefredakteurin von Russia Today, schon im Februar Fake News über einen vermeintlichen Genozid an den Menschen in der Region Donbass – eine Erzählung, die auch von zahlreichen Verschwörungsideologen in Deutschland und Österreich aufgegriffen wurde. Ein möglicher Grund dafür sei, dass das Milieu "tendenziell auf stigmatisierte Wissensbestände zurückgreift und deshalb eher nach Erzählungen sucht, die nicht der offiziellen Darstellung entsprechen", sagt Jan Rathje, Experte für Verschwörungsmythen beim Thinktank Cemas. Denn Anhänger der "Querdenken"-Bewegung würden sich gegen den Staat und dessen Maßnahmen positionieren, die Regierung als Teil einer Verschwörung wahrnehmen.

Diese Tatsache macht sich offenbar auch die Propagandamaschine des Kremls zunutze. Nach Ausbruch der Corona-Pandemie stand ebendiese gemeinsam mit der Zulassung des Sputnik-Impfstoffes im Fokus der Berichterstattung, schreibt der deutsche Bundesverfassungsschutz. Damit sei das Narrativ verstärkt worden, dass die deutsche Regierung die Pandemie "zur systematischen Einschränkung der Grundrechte" nutze.

Alles beim Alten

Neu ist das nicht. Schon 2014 rief der Ukraine-Konflikt "Mahnwachen für den Frieden" im deutschsprachigen Raum hervor. In Berlin hielt damals zum Beispiel der Verschwörungsideologe Ken Jebsen eine Rede. Schnell kam außerdem Kritik auf, dass die Bewegung ein Antisemitismus-Problem habe. Die Parallele zu heute: Neben rechtsextremen Zeitschriften wie dem Compact-Magazin unterstützte auch RT DE die Proteste, reichweitenstarke Akteure positionierten sich prorussisch und gegen den Westen.

Viele von ihnen sind auch heute noch aktiv. Dass sie sich nun auf die Seite Putins schlagen, überrascht die Expertinnen und Experten von Cemas deshalb nicht. Sie würden sogar dieselben Narrative aufgreifen, wie damals, sagt Rathje. Darunter jenes, dass man Russland nicht provozieren dürfe. Dass der Westen und die Nato das Land unter Druck setzen würden und es einen Gegenpol brauche. Ein ähnliches Bild zeichnet sich auch bei Akteuren ab, die erst seit Ausbruch der Pandemie aktiv sind.

Fast alle begannen umgehend damit, Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine auf Telegram zu thematisieren. In einigen Kanälen wirkte es, als würde das ohne spezifische Systematik passieren. Teilweise stehen Desinformation zur Impfpflicht und solche, die die Invasion rechtfertigen sollen, zusammenhangslos nebeneinander. An anderer Stelle wird jedoch behauptet, dass dieser bloß ein Ablenkungsmanöver sei, um neue Regierungsmaßnahmen durchzusetzen. Und dann gibt es noch sogenannte Weltverschwörungsideologien wie jene der New World Order (NWO) oder der "jüdischen Weltverschwörung", die eine Erklärung für alle Ereignisse auf der Welt parat haben – selbst dann, wenn keinerlei Zusammenhang besteht, sagt Rathje. Als Drahtzieher dieser Verschwörungen werden dabei westliche Regierungen und die Wirtschaft heraufbeschworen, während "das, was an russischer Information bereitgestellt wird, als eine Art Gegenpol wahrgenommen wird".

Reichsbürger und Selbstverwalter

Hinzu komme, dass die Szene von Menschen durchwachsen ist, die einem "souveränistischen Milieu" zuzuordnen sind. Vertreter streiten die Existenz des Staates ab, in dem sie leben. Verfassungsschutzbehörden im deutschsprachigen Raum bezeichnen diese als "Reichsbürger und Selbstverwalter". Diese behaupten zum Beispiel, Deutschland sei eine GmbH – oder auch, dass die Alliierten das Land noch immer besetzen würden.

In diesem Kontext spiele Russland eine ganz besondere Rolle. Das habe man schon vor zwei Jahren während der Großdemonstrationen in Berlin gesehen. "Da standen Menschen auch vor der russischen Botschaft und haben nach einem Friedensvertrag gerufen. Russland ist eine Projektionsfläche", sagt Rathje. Das Land werde als starker Staat wahrgenommen, das in seiner Souveränität nicht eingeschränkt ist.

Während eine unmittelbare Einflussnahme Russlands auf das deutschsprachige Verschwörungsmilieu nur schwer zu beweisen ist, liegt auf der Hand, welch wichtige Rolle die Propagandamaschinerie des Kremls als Informationsquelle der Szene einnimmt. Seit Jahren werden einschlägige Gruppen und Social-Media-Kanäle mit Beiträgen der staatlich kontrollierten Sender überschwemmt – die mit den aufgegriffenen Themen genau den richtigen Nerv treffen, um verschwörungsgläubige Menschen weiter aufzustacheln.

Seit zwei Jahren demonstrieren Impfgegner und Verschwörungsideologen gegen die Regierungsmaßnahmen. Seit Ausbruch des Ukraine-Krieges argumentieren reichweitenstarke Akteurinnen und Akteure meist prorussisch. (Mickey Manakas, 22.3.22)