Prorussische Propaganda auf dem Balkan: Die regierungsnahe serbische Boulevardzeitung "Informer" meldete am 22. Februar auf dem Cover, dass die Ukraine Russland angegriffen habe.

Foto: Screenshot "Informer"

Nicht einmal der Kreml erfindet eine derart schwindelerregende Propaganda wie die Blattmacher der serbischen Boulevardzeitung "Informer". "Die Ukraine greift Russland an", war da etwa auf dem Cover zu lesen. Anderntags werden die Amerikaner verdächtigt, mit China einen "Pakt gegen Russland" zu schmieden. Dunklen Mächten – etwa dem türkischen Präsidenten (Recep Tayyip Erdoğan) und dem montenegrinischen (Milo Đukanović) – wird nachgesagt, Serbien ein Messer in den Rücken rammen zu wollen. Gleichzeitig kämpften "Kriegshunde" aus dem Ausland laut "Informer" gegen die Russen.

"Am Anfang des Krieges war die ausgeprägte prorussische Haltung sehr deutlich, etwa die schlichte Wiederholung russischer Propaganda", sagt der Osteuropa-Historiker Christian Axboe Nielsen von der Aarhus-Universität in Dänemark, der die Medien in Serbien beobachtet. Die Nato sei als Aggressor dargestellt worden, übernommen wurde auch das russische Narrativ, wonach man die Ukraine von Faschisten reinigen müsste.

An der Berichterstattung der Boulevardmedien in Serbien über den Krieg gegen die Ukraine kann man einerseits sehr gut ablesen, wie sehr die Regierung, die praktisch unter der Kontrolle von Präsident Aleksandar Vučić steht, die Medien im Griff hat, deutlich wird aber auch die Nähe der politischen Elite in Belgrad zum Regime in Moskau.

Fortsetzung des Krieges

Die Berichterstattung in jenen Staaten, die in den 1990er-Jahren in Kriege involviert waren, ist grundsätzlich anders als in Mittel- und Westeuropa, weil die Parallelen in den Diskursen und Szenarien sofort an die eigenen Erfahrungen erinnern und weil die historische Verantwortung für die Kriege gegen Kroatien, gegen Bosnien-Herzegowina und im Kosovo politisch nicht aufgearbeitet sind.

Im Gegenteil: Der Krieg gegen die Ukraine dient zuweilen als Schablone, um die nicht beendeten Konflikte in der Region auf rhetorischer Ebene fortzuführen. Die Spaltung in prorussische und prowestliche politische Kräfte geht mitten durch einige Staaten wie Montenegro und Bosnien-Herzegowina.

Nielsen verweist darauf, dass der Krieg Russlands gegen die Ukraine in Serbien "als eine Art Fortsetzung des Kosovokrieges gesehen" werde. Man unterstützte klar die russische Seite. Nach den ersten Kriegstagen sei aber offensichtlich geworden, dass Russland keinen schnellen Sieg erreichen würde. "Als die Folgen des Krieges für die serbische Wirtschaft klarer wurden, wurde der Tonfall in den Medien objektiver und kritischer", analysiert Nielsen.

Auch jetzt noch gebe es serbische Medien, die von russischen Erfolgen sprechen und russische Begriffe wie "Sondermilitäroperation" übernehmen. Viele Medien in Serbien berichten aber nun offen von "russischer Aggression" und zeigen ukrainische Opfer und die Zerstörung. "Der Schwerpunkt liegt aber nach wie vor auf dem angeblich unfairen Druck der EU auf Serbien und der angeblichen Ausnutzung des Krieges durch den Kosovo und Bosnien-Herzegowina", so Nielsen.

"Opfer der Nato"

So durfte auf dem Titelblatt von "Politika" der verurteilte Kriegsverbrecher Vladimir Lazarević verkünden: "Wir dürfen die Opfer der Nato-Aggression nicht vergessen." Insgesamt werde aber vor allem Vučić von den regierungsnahen Medien wieder einmal als Garant des Friedens und Stabilität dargestellt. "Zum zigsten Mal kann nur er Serbien retten", so Nielsen.

Ganz anders wird in Bosnien-Herzegowina über den Krieg gegen die Ukraine berichtet. Hier wird vor allem auf die erstaunlich vielen Parallelen zu dem Krieg gegen das unabhängige Bosnien-Herzegowina (1992–1995) und die Ähnlichkeiten der Diskurse von Slobodan Milošević und Wladimir Putin verwiesen. Weil viele Bosnier das Gefühl haben, dass den Ukrainern dasselbe Leid widerfährt, das sie vor 30 Jahren erlitten haben, ist das auch in den Medien ein zentrales Thema.

Geteilt werden etwa die Videos von Christiane Amanpour von CNN, die die dreieinhalbjährige Belagerung von Sarajevo miterlebte und nun darauf hinwies, dass die bosnische Hauptstadt trotz der Tatsache, dass sie keine Hilfe oder Waffen hatte und unter einem UN-Waffenhandelsembargo stand, nie gefallen ist oder kapituliert hat. (Adelheid Wölfl, 22.3.2022)