Besonders auf Telegram kursiert diese Falschmeldung.

Screenshot: Telegram

Seit Ende der vergangenen Woche kursiert auf sozialen Medien und Messengern – insbesondere Telegram – ein Video mit brisanter Botschaft. Unter Tränen berichtet eine Frau in russischer Sprache, dass ukrainische Flüchtlinge im deutschen Euskirchen einen Teenager ("Daniel") erschlagen hätten. Der 16-Jährige sei ein Flüchtlingshelfer gewesen und zum Ziel eines "Mobs" geworden, weil er die Täter auf Russisch angesprochen habe.

Der Clip sorgt für Aufregung, insbesondere auf Propagandakanälen des Kreml und in pro-russischen und rechtsextremen Channels. Der große Haken daran: Der Vorfall ist frei erfunden.

Sowohl bei der Polizei in Euskirchen selbst als auch bei der übergeordneten Stelle in Bonn ist nichts über eine solche Tat im Ort oder der näheren Umgebung bekannt, schreibt T-Online. Die Polizei warnt auch via Twitter vor dem Video. Dazu untersucht nun der Staatsschutz die Causa, da die Ermittler davon ausgehen, dass der Clip ein Fake zum Zwecke der Stimmungsmache gegen ukrainische Flüchtlinge ist.

Kreml-Narrativ

Die in dem Clip gelieferte Erzählung passt freilich genau ins Kreml-Narrativ. Dieses begründet die Invasion in der Ukraine unter anderem mit einem angeblichen Genozid an Russen im Donbass, für den man bis heute keine Belege geliefert hat. Überhaupt würden Russen in der Ukraine aufgrund zunehmender "Russophobie" verfolgt, daher strebe man eine "Denazifizierung" der Ukraine an. Während es im Azow-Regiment des Heeres, dessen Größe laut Al-Jazeera zuletzt auf etwa 900 Mann geschätzt wird, tatsächlich Rechtsextreme gibt, haben Rechtsaußen-Parteien politisch kaum Einfluss. Die letzten Vertreter, etwa das Rechtsaußen-Parteienbündnis Swoboda und Prawnyj Sektor, scheiterten bei den Parlamentswahlen 2019 an der Wahlhürde.

Maßgeblich zur Verbreitung des Videos beigetragen haben soll Alina Lipp, eine im Donbass lebende Deutsche, die als Sprachrohr des Kreml fungiert. Ebenso fand T-Online heraus, dass schon kurz vor Auftauchen des Clips auf der Seite "RIAfan" ein quellenloser Artikel über den angeblichen Mord online gegangen war. Hinter diesem Portal wird der Putin-Vertraute Jewgeni Prigoschin vermutet, der auch die berühmt-berüchtigte "Trollfabrik" in St. Petersburg (Internet Research Agency) aufgebaut hat.

Altes Muster

Das Muster der Stimmungsmache gegen Geflohene aus der Ukraine erinnert an die Situation 2015 und 2016, als zahlreiche Menschen infolge des syrischen Bürgerkriegs nach Europa kamen. Damals wurden vor allem im rechtsextremen Umfeld immer wieder Falschmeldungen über Flüchtlinge lanciert, reichend von Zerstörungen und Plünderungen bis hin zu sexuellen Übergriffen und Mord.

Generell empfiehlt es sich, skeptisch gegenüber Behauptungen ohne seriöse Quellenbelege zu sein. Gerade bei Meldungen, die besonders emotional präsentiert werden – etwas, das besonders Videos eine starke Zugkraft verleiht –, sollten auch die behaupteten Quellen nachgeprüft werden. In der Vergangenheit stützten sich manipulative Videos und Berichte immer wieder auf seriöse Medien, die in Wahrheit das Behauptete aber nie berichtet hatten. In der Causa Euskirchen handelt es sich überhaupt nur um Hörensagen.

Wer sich unsicher ist, kann auch Faktencheckportale wie Mimikama, Correctiv oder Snopes (Englisch) aufrufen. Diese greifen häufig auch virale Inhalte auf und überprüfen sie auf ihren Wahrheitsgehalt. (gpi, 22.3.22)