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Joe Biden steigt ins Flugzeug nach Europa. Erst vergangenen Juni hatte er in Großbritannien und Brüssel mit EU- und Nato-Partnern beraten. Nun zwingt der Ukraine-Krieg Europa zu intensivem Krisenmanagement.

Foto: AP / Andrew Harnik

Kein US-Präsident hat Europa so oft besucht wie Joe Biden. Schon als Senator war er in den 1990er-Jahren beim Krisenmanagement in Ex-Jugoslawien involviert. Als Barack Obamas Vizepräsident bereiste er den Kontinent von 2008 bis 2016 oft. Nun schickt er sich an, diese intensive Zuwendung weiter auszubauen. Am Mittwoch wird Biden in die Air Force One einsteigen und nach Brüssel fliegen, wo er binnen 24 Stunden gleich drei Gipfeltreffen absolvieren wird: Europäische Union, Nato und G7.

Schaut man zurück, wie frostig die transatlantischen Beziehungen unter Vorgänger Donald Trump noch bis Jänner 2021 waren, lässt sich ermessen, welch Renaissance jener Staaten, die für die Demokratie in der Welt kämpfen wollen, sich gerade vollzieht.

Einen Schulterschluss von USA und EU wie seit Jahrzehnten nicht mehr, das hat erst der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine möglich gemacht bzw. erzwungen. Der Ausbau der Sanktionen, das weitere Vorgehen gegen Moskau, alle militärischen Optionen – das werden die dominierenden Themen sein. Denn es herrscht Alarmstimmung.

Nato stärkt die Ostflanke

Weil die Gefahr eines nuklearen Krieges nicht auszuschließen sei, wurde bisher jede militärische Konfrontation der Nato bzw. der USA mit Russland kategorisch ausgeschlossen. Waffenlieferungen an Kiew und Truppenentsendungen zur Absicherung der Ostflanke der Nato gab es aber sehr wohl. Experten gehen davon aus, dass die Staats- und Regierungschefs die Sanktionen gegen Moskau noch deutlich verstärken wollen. Die USA drängen auf einen totalen Öl- und Gasboykott. Sie versuchen seit Wochen, China dazu zu bewegen, beim Druck auf Putin mitzumachen; unterstützt von den Europäern, die gute Wirtschaftsbeziehungen zu Peking weiterpflegen.

Was konkret am Donnerstag beschlossen werden wird, ist offen. In der Nato gibt es Überlegungen, wie man europäischen Staaten, die nicht dem Bündnis angehören, einen gewissen Schutz vor möglichen russischen Aggressionen anbieten könnte. So haben die europäischen Mitglieder der Nato vor zwei Wochen in Versailles deutlich gemacht, dass sie sich durch den Beistandspassus in Artikel 42 (7) des EU-Vertrages zum Schutz aller EU-Länder gefordert sehen. Vor dem Besuch des US -Präsidenten überlegte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg nicht zufällig öffentlich, ob es für Finnland und Schweden beschleunigte Beitrittsverfahren geben könnte.

Warnung an Putin

Am Freitag wird Biden weiter nach Warschau fliegen, nicht aber in die Ukraine. Einem Besuch des US-Präsidenten in Polen kommt hohe symbolische Bedeutung zu, um der Nato in Osteuropa den Rücken zu stärken. Es ist eine Warnung an den russischen Präsidenten Wladimir Putin, diese rote Linie zur Verteidigungsallianz nicht zu überschreiten.

Vergangenen Juni war Biden physisch zum G7-Treffen nach Großbritannien gekommen, dann auch zur Nato und EU in Brüssel. Anschließend traf er sich in Genf mit Putin: ein erster direkter Kontakt, inhaltlich aber ohne Ergebnisse. Es folgte im Herbst der russische Truppenaufmarsch an der Grenze zur Ukraine, diskretes US-Krisenmanagement im Hintergrund, um die Europäer und die Nato -Partner zusammenzuhalten. Aber bereits vor Beginn des Angriffs hatte Biden klargestellt, dass sein Land militärisch in der Ukraine nicht eingreifen werde. Ein zweites Treffen mit Putin in Genf im November scheiterte.

EU-Truppe mit Österreich

Kurzzeitig für Verwirrung sorgte derweil am Montagabend Deutschland im Rahmen des Vorbereitungstreffens der Außen- und Verteidigungsminister für den EU-Gipfel mit Sondergast Biden: Schon für 2025 wolle Berlin den "Kern" der geplanten "schnellen Eingreiftruppe" der EU bereitstellen, bot Verteidigungsministerin Christine Lambrecht an. Damit präzisierte sie eine missverständliche Formulierung, der zufolge Deutschland die ganze Truppenstärke von 5000 Soldaten und Soldatinnen – statt 1500 – stellen könnte.

Wie geplant wurde am Montag der "Strategische Kompass", ein neues Konzept zum Aufbau einer EU-Militärunion bis 2025, formell beschlossen. Schon bisher gab und gibt es zwei EU-Battlegroups für friedenssichernde Kriseninterventionen mit jeweils 1500 Soldaten, die nach dem Rotationsprinzip besetzt werden. Wegen ständiger Schwierigkeiten, diese Stärke überhaupt zu erreichen, bot Deutschland nun an, sich verstärkt daran zu beteiligen. Indirekt ist das als politisches Folgesignal der massiven Erhöhung des Verteidigungsbudgets der Deutschen auf 100 Milliarden Euro zu verstehen.

"Der Angriff auf die Ukraine hat klar zum Ausdruck gebracht, dass der Krieg wieder nach Europa zurückgekehrt ist", sagte Österreichs Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) in Brüssel, "daher müssen wir uns intensiv mit der Weiterentwicklung der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik auseinandersetzen."

Die Neutralität Österreichs stehe der EU-Eingreiftruppe jedenfalls nicht im Weg, versicherte sie: "Selbstverständlich sind wir dabei." Wie schon bei den Battlegroups. (Thomas Mayer, 22.3.2022)