Auch wenn auf Corona-Demos zuweilen die Liebe betont wird, so erhalten Experten und Expertinnen Morddrohungen.

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Wie viele Epidemiologen kannte die Durchschnittsösterreicherin vor drei Jahren beim Namen? Wie viele Virologinnen hatte ein österreichischer Journalist damals im Telefonbuch? Rhetorische Fragen, doch allein darüber nachzudenken zeigt, wie massiv der Stellenwert von Menschen mit bestimmter Fachexpertise seit Beginn der Pandemie gestiegen ist. Nun sind Virologinnen und Public-Health-Experten, Modellrechner und Epidemiologinnen, Medizinjuristinnen und Simulationsforscher live im Fernsehen zu sehen, sie sitzen in Gremien der Regierung und sind zentrale Ansprechpartner, wenn Medien nach Einschätzungen in einer komplizierten Zeit suchen.

Eine Studie der Uni Wien gibt nun einen Einblick, wie es den Fachleuten bei alledem eigentlich geht. 24 Personen aus den Bereichen der Virologie, Epidemiologie und Komplexitätsforschung wurden anonym interviewt und die Kernergebnisse von Daniel Nölleke, Folker Hanusch und Birte Leonhardt vom Institut für Publizistik und Kommunikationswissenschaften zusammengetragen. Dabei tritt mitunter Kritik an der Politik, aber auch an Medien zutage, und da ist auch die Rede von Hassbotschaften und Morddrohungen.

Kritik an der Politik

Aktuell, nach dem Austritt eines Gecko-Mitglieds und nachdem die Politik offensichtlich entgegen Expertenmeinungen entschied, hat die Debatte über den Umgang der Regierung mit ihren Beratungspersonen neue Fahrt aufgenommen. Die Studie zeigt allerdings, wie lang dieser Konflikt schon schwelt. Befragt wurden die Expertinnen und Experten im Frühsommer 2021, und schon da war die Rede von einem Zickzackkurs der Regierung und von vorgeschobenen Fachleuten.

"Vieles, was wir in den Beraterstabssitzungen besprochen haben, wurde zwar vom Gesundheitsminister als wichtig und sinnvoll erkannt, wurde aber dann, auf dem Weg durch die politischen Ebenen, entweder verwässert, oder es wurde überhaupt fallen gelassen", heißt es da etwa von einem Experten, ein anderer sagt: "Andererseits hat man schon auch ein bisschen das Gefühl, dass sich natürlich auch die Politik die Experten so aussucht, dass sie das vertreten, was sie hören wollen." Von "politischem Opportunismus" ist da die Rede und davon, dass Expertinnen vorgeschoben werden würden, "um politische Entscheidungen im Nachhinein zu legitimieren und ihnen den Anstrich von Wissenschaftlichkeit zu geben".

Ein anderer Befragter merkt aber auch an, dass es nun einmal eine politische Aufgabe sei, auch andere Entscheidungsgrundlagen als Expertenmeinungen in die eigenen Überlegungen einzubeziehen. Und: Die Befragten geben an, dass sie trotz aller Kritik weiter mit der Politik zusammenarbeiten wollten: "Schließlich habe man sich mit der Bekämpfung der Pandemie ja der gleichen Sache verschrieben", heißt es in der Studie.

Der Umgang mit Medien

Klassischen Medien schreiben die Experten und Expertinnen eine "zentrale Rolle als wichtigste Informationsquelle für eine verunsicherte Bevölkerung" zu, man sei grundsätzlich auch gerne bereit, ihnen für Interviews zur Verfügung zu stehen. Der Berichterstattung wird ein "gutes Zeugnis" ausgestellt, die Expertinnen und Experten sahen eine "Lernbereitschaft" bei Journalistinnen und Journalisten und das Bemühen, komplexe Sachverhalte adäquat darzustellen.

Wobei es auch da Kritik gibt. "Also, egal welche Sau durchs Dorf getrieben wird, die Medien rennen hinterher", sagt da ein Experte zum Beispiel, "Journalisten brauchen einfache Wahrheiten. Ja/nein, links/rechts, hoch/runter, mehr oder weniger", sagt ein anderer. Außerdem sei schnell einmal jemand zum Experten oder zur Expertin geworden, ohne wirklich Expertise zu haben, oder Personen zu eigentlich fachfremden Themen befragt worden: "Man hat den Eindruck [...], dass manche Experten dann zu Aussagen gedrängt werden, wo sie gar nicht mehr Experten sind", formuliert das eine Befragte.

Auch am zwischenmenschlichen Umgang wird Kritik geübt: So berichtet ein Experte, dass er auch mitten in der Nacht oder sonntags um 7.45 Uhr Anrufe bekommen habe, ein anderer spricht von einem enormen Zeitaufwand, davon, dass er "eine Stunde in ein Studio fahre, dort eine Stunde blöd herumsitze und wieder eine Stunde zurückfahren muss".

Morddrohungen und Hassbotschaften

"Alle Expert:innen sind überrascht und besorgt über die Wucht der negativen und feindseligen Reaktionen, die sie selbst und ihre Kolleg:innen auf Medienauftritte erhalten haben", heißt es außerdem in der Studie. Da habe es eine "unglaubliche Flut von Morddrohungen, von Nachrichten, in denen man ihnen den Strick und die Henkersmahlzeit schickt", gegeben. Ein Experte sagt: "Einmal habe ich dann sogar persönliche Post zu mir nach Hause bekommen, was mich doch beunruhigt hat – nachdem meine Adresse an sich nicht bekannt ist."

Befragte geben an, sie würden den Blick in soziale Medien oder Onlineforen daher mittlerweile meiden, andere entschieden sich dazu, ihre beruflichen Kontaktdaten aus dem Internet zu nehmen. Weitermachen wollen die befragten Expertinnen und Experten dennoch. "Sie streben damit an, ihren Teil zur Bekämpfung der Pandemie beizutragen", heißt es in der Studie. (elas, 22.3.2022)