Sie kämpfen an vorderster Front gegen die Pandemie – und doch sind Wissenschafterinnen und Wissenschafter Anfeindungen und offenen Drohungen ausgesetzt.

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Durch die Corona-Pandemie sind Wissenschafter ins Scheinwerferlicht von Politik, Medien und Öffentlichkeit gerückt. Diese ungewohnte Prominenz ist für sie ein zweischneidiges Schwert: Sie sahen sich einerseits in der Pflicht, ihren Teil zur Bekämpfung der Pandemie beizutragen, empfanden aber andererseits das oft feindselige Feedback von Teilen des Publikums als emotional belastend und Instrumentalisierungsversuche durch die Politik als frustrierend. Das zeigt eine Befragung von 24 Experten durch Kommunikationswissenschafter der Uni Wien.

Forschende in öffentlicher Rolle

In der Studie des Journalism Center am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien über Wissenschaftskommunikation in der Covid-19-Pandemie hat ein Forscherteam um Daniel Nölleke 24 Wissenschafterinnen und Wissenschafter an österreichischen Forschungseinrichtungen vor allem aus den Bereichen der Virologie und Epidemiologie interviewt. Ziel der Arbeit war es herauszufinden, wie die Experten ihre öffentliche Rolle während der Pandemie erlebt haben, welche Erfahrungen sie in der Interaktion mit Medien und der Öffentlichkeit gemacht und wie sie den Umgang der Politik mit wissenschaftlicher Expertise erlebt haben.

Für Nölleke zeigt die Studie, "wie sensibel das Verhältnis zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit in Zeiten der Pandemie (und möglicherweise darüber hinaus) ist: Einerseits sehen sich die Befragten in der Pflicht, durch die öffentliche Verbreitung ihrer Expertise Hilfestellung für Entscheidungen in unsicheren Zeiten anzubieten. Andererseits haben sie erlebt, wie sie dabei missverstanden, instrumentalisiert und zu Opfern gröbster Anfeindungen von Teilen der Öffentlichkeit werden", so der Kommunikationswissenschafter.

"Inkonsistenter Kurs" der Politik

Die befragten Experten werfen der Politik einen "inkonsistenten Kurs" in der Pandemie vor und kritisieren die Regierung für die "mangelhafte Kommunikation ihrer Politik während der Pandemie". Ihre wissenschaftliche Expertise sei im politischen Entscheidungsprozess oft verwässert worden und sei vor allem dazu genutzt worden, bereits getroffene Entscheidungen nachträglich zu legitimieren. Es gebe bei den Wissenschaftern durchaus Verständnis dafür, dass Politiker verschiedene Interessen abwägen müssten, nicht jedoch dafür, sich nur dann auf wissenschaftliche Expertise zu berufen, wenn es gerade opportun ist.

Die Berichterstattung über Covid-19 in den Medien bewerteten die Befragten als "grundsätzlich positiv". Die meisten Journalistinnen und Journalisten hätten zumindest versucht, dem komplexen Thema gerecht zu werden. Es bestehe aber der Eindruck, dass der Begriff "Experte" in österreichischen Medien inflationär verwendet werde und es damit zu einer Entwertung tatsächlicher Fachkompetenz komme. Kritik kam auch daran, dass einige Medien Fachleute dazu instrumentalisieren würden, die Dramaturgie der Berichterstattung zu stützen sowie an "Polarisierung und False Balancing durch den Einsatz von (Pseudo-)Experten".

Beleidigungen und offene Drohungen

Die befragten Wissenschafter haben der Studie zufolge auch erlebt, wie sie bei der öffentlichen Kommunikation ihrer Expertise missverstanden und instrumentalisiert wurden. Insbesondere in Social Media, per E-Mail, aber auch per Post hätten sie grobe Beleidigungen und offene Drohungen erhalten. Diese Erfahrungen würden sie als emotional enorm belastend empfinden. Sie reagieren darauf, indem sie Kontaktdaten im Internet löschen, einige traten als Folge von Drohungen medial weniger in Erscheinung.

"Das hätte allerdings negative Konsequenzen für die Qualität des öffentlichen Diskurses", betonte Nölleke. Denn so würde man das Feld und damit die Deutungshoheit anderen überlassen, deren Einschätzungen nicht auf vergleichbarer wissenschaftlicher Expertise beruhen. Daher würden die befragten Wissenschafter trotz negativer Erfahrungen dazu tendieren, sich weiter im öffentlichen Diskurs einzubringen und der Politik Unterstützung anzubieten, auch wenn dieses Bekenntnis bei vielen brüchig sei.

Besseres Medientraining

Insgesamt sahen sich die Befragten für solche Herausforderungen unzureichend vorbereitet. Sie wünschen sich daher eine stärkere Institutionalisierung der Vermittlung von Kommunikationskompetenzen in der wissenschaftlichen Aus- und Weiterbildung. "Unsere Ergebnisse zeigen klar, dass in solchen Medientrainings auch die Antizipation öffentlicher Resonanz sowie der Umgang mit negativem Publikumsfeedback eine größere Rolle spielen müssen als bisher", sagt Nölleke. (red, APA, 22.3.2022)