Experten empfehlen, privaten Wohnraum nicht selbst an Geflüchtete zu vermieten, sondern Vereine damit zu betrauen.

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Michael Müller hat täglich neue To-dos, und damit wächst auch seine Überforderung täglich. Die aktuelle Aufgabe: einen Internetanbieter finden, der einen Router zur Verfügung stellt und im Gegenzug keine 24-monatige Vertragsbindung verlangt. Seit einigen Tagen haben er und seine Frau ihre 30 Quadratmeter große Zweitwohnung in Klosterneuburg an eine Mutter und ihre beiden Kinder – 14 und zwei Jahre alt – aus der Ukraine übergeben.

Die Küche war schnell eingebaut, Töpfe und Tassen vorhanden, und sobald der Wasserhahn in der Küche funktioniert, muss die Mutter auch nicht mehr im Badezimmer abspülen. Währenddessen hangeln sie sich von Meldeamt zu Antragsformular und durchsuchen das Internet nach Informationen. Die Halbwahrheiten herauszufiltern koste Zeit und Nerven. Müller sehnt sich nach einer zentralen Anlaufstelle für private Quartiergeber. Die existiert in der Form allerdings nicht.

Von der Registrierung zur Unterkunft

Das Innenministerium gibt auf seiner Website Auskunft, auch die Gemeinden und NGOs wie Caritas helfen. Doch die Prozesse verlaufen derzeit generell schleppend. Dem Vernehmen nach herrscht an Registrierungsstellen wie dem Austria Center Vienna (ACV) in Wien-Donaustadt Chaos. Dort können sich Geflüchtete auch für die Grundversorgung anmelden.

Aktuell seien viele Anträge zu bearbeiten, heißt es von der Stadt Wien. Rund 9.000 Menschen waren bereits im ACV, um sich registrieren zu lassen und sich für die Grundversorgung anzumelden.

Für 1.600 hat der Fonds Soziales Wien Leistungen wie Arbeitsmarktzugang und Krankenversicherung bereits aktiviert. Bis Ende der Woche sollen jene Menschen aktiv eingeladen werden, die bereits da waren. Personal werde derzeit aufgestockt, darunter auch Personen, die ukrainisch-deutsch dolmetschen können.

Schriftliche Vereinbarung

Mit der Grundversorgung stehen Geflüchteten Mietzuschüsse zu, sofern sie etwa einen Mietvertrag nachweisen können. Den konkreten Betrag setzt der Bund fest. Er liegt bei bis zu 150 Euro für Einzelpersonen und 300 Euro für Familien.

Walter Rosifka, Wohnrechtsexperte der Arbeiterkammer, empfiehlt privaten Quartiergebern jedenfalls, einen schriftlichen Vertrag aufzusetzen. Für Mietverträge gilt eine Mindestlaufzeit von drei Jahren.

Eigentümer wie Michael Müller, die keine Miete verlangen wollen, halten am besten in einem sogenannten Prekariumsvertrag fest, dass die Wohnung oder einzelne Zimmer bis auf jederzeitigen Widerruf kostenfrei genutzt werden können. Lediglich Betriebskosten wie Strom, Gas und Müllgebühren sind zu zahlen. Bis maximal 150 Euro können diese von der Grundversorgung übernommen werden.

Entscheiden sich Mieter dazu, einen Teil ihrer Wohnung unterzuvermieten oder kostenfrei zu vergeben, müssen Vermieter nicht informiert werden. Aber Achtung: Die Wohnung darf nicht zur Gänze weitergegeben werden, sagt Rosifka. Das wäre ein Kündigungsgrund, genauso wie die Nichtnutzung der Wohnung.

Peter Schernthaner, Vorstand der EFM Versicherungsmakler AG, empfiehlt zudem, Gäste, die nicht nur übers Wochenende bleiben, dem Haushaltsversicherer zu melden. Es könnte als Änderung der Risikosituation gesehen werden und eine Nichtmeldung zum Deckungsverlust führen.

Wohnung an Verein übergeben

In der aktuellen Situation ist die Hilfsbereitschaft groß. Michael Müller und seine Frau sind nur zwei von vielen Privatpersonen, die Wohnraum zur Verfügung stellen wollen. Zudem rufen Initiativen wie Immo hilft Immobilienunternehmen dazu auf, Wohnungen bereitzustellen. Über 500 Wohnungen wurden bereits an die Caritas weitergeleitet. Das Ziel sei aber noch lange nicht erreicht: Man wolle das Zehnfache, nämlich 5.000 Wohnungen, vermitteln.

Einer, der darin viel Erfahrung hat, ist Hans Jörg Ulreich. Der Wiener Bauträger stellt gemeinnützigen Vereinen wie Purple Sheep oder der Diakonie schon seit Jahren kostenfrei Wohnungen zur Verfügung – und genau diese Vorgehensweise empfiehlt er auch jedem anderen. So habe alles einen geregelten Rahmen, und Schutzbedürftige bekämen rasch die Unterstützung, die sie brauchen.

In dieselbe Kerbe schlagen die Tipps von Anna Parr, Generalsekretärin der Caritas. Auf STANDARD-Nachfrage empfiehlt sie, die Verfügbarkeit privaten Wohnraums der Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU) zu melden. Dort werden sämtliche Quartiere gesammelt und an die Bundesländer weitergeleitet, die wiederum mit NGOs wie der Caritas zusammenarbeiten. Das System erleichtere die Unterbringung der Menschen, und gleichzeitig könne erfasst werden, wie viel Wohnraum überhaupt zur Verfügung steht.

Laut Train of Hope, einer gemeinnützigen Organisation, die Geflüchtete derzeit im Aufnahmezentrum in Wien-Brigittenau mit Akuthilfe erstversorgt, verläuft die Zuteilung privater Wohnräume über die BBU schleppend. Etliche Privatpersonen hätten sich gemeldet und berichtet, dass sie seit Wochen Wohnraum anbieten und auf Rückmeldung der BBU warten würden. Die Organisation empfiehlt Privatpersonen daher, den verfügbaren Wohnraum an die jeweilige Gemeinde zu melden. Diese wiederum können sich direkt an Train of Hope wenden und werden vermittelt.

Wichtig ist laut Caritas, dass die Wohnungen möbliert sind und sich private Vermieter darüber im Klaren sind, dass eine Weitergabe unter zwei bis drei Monaten kaum Sinn mache. "Die Menschen wollen ankommen", sagt sie.

Die Caritas unterstütze auch bei etwaigen Anmeldeprozessen. Neben den bereits genannten steht nach der Schlüsselübergabe nämlich noch der Gang zur Meldebehörde an. (Julia Beirer, 23.3.2022)