Tiny Tina leitet die durchgeknallte Pen&Paper-Spielrunde.

Foto: Gearbox/2K

Nachdem ich der bäuerlichen Bäuerin ihren Arsch gerettet habe, muss ich weiter zum Palast von Königen Arschgaul, um ihr beim Kampf gegen den Dragon Lord zu helfen – kann dafür bitte jemand das beschissene Tor aufmachen? Sie merken es schon: In Tiny Tina's Wonderlands, dem neuesten Werk der Borderlands-Macher Gearbox, wird wieder ordentlich geflucht, der Humor ist derb wie eh und je. Das kann man fürchterlich finden, oder man macht sich eine Limonade auf und genießt das primitive Festspiel. Ich jedenfalls gestehe, dass ich während des Tests (PC) einige Male laut gelacht habe. Sorry.

"Borderland" goes Fantasy

Die Borderlands-Spiele sind in der Gamingszene eine Marke für sich. Es handelt sich dabei um sogenannte "Loot Shooter", bei denen man sich alleine oder mit Freunden durch eine Story ballert und nach jedem Scharmützel mächtig viel Beute einsammelt. Im Gegensatz zu anderen Spielen dieser Art setzen die Borderlands-Games allerdings nicht auf möchtegern-realistische Hochglanzgrafik, sondern sind im visuellen Stil eines Comics gehalten. Dazu gibt es schräge Charaktere mit noch schrägeren Sprüchen. Kurz gesagt: Die Borderlands-Spiele sind jene Games, die man mit Freunden gemeinsam spielt, wenn man schon alle Folgen von "Rick and Morty" gesehen hat.

Borderlands

Tiny Tina's Wonderlands ist nun eine Art Fortsetzung der bisherigen Borderlands-Spiele – und dann auch wieder nicht. Denn schoss man sich in den anderen Spielen durch ein Science-Fiction-Setting, so sitzt in diesem Fall Tiny Tina – eine der Figuren aus den bisherigen Games – mit ihren Freunden fest und vertreibt sich die Zeit mit einem Pen&Paper-Fantasyrollenspiel namens "Bunkers & Badasses".

Das ist natürlich eine Anspielung auf das beliebte Pen&Paper-Rollenspielsystem "Dungeons & Dragons", und dementsprechend ist auch das aktuelle Spiel nicht in einer Sci-Fi-, sondern in einer Fantasywelt angesiedelt. Statt Raumschiffen gibt es Drachen, statt Robotern gibt es Kobolde. Und freilich spart man nicht damit, auch dieses Genre ordentlich durch den Kakao zu ziehen.

Ich bin ein non-binärer orkischer Dorftrottel

Das beginnt schon bei der Charaktererstellung. Denn war man bei den Borderlands-Games noch auf das Auswählen fertiger Charaktere limitiert, so darf man im aktuellen Spiel aus mehreren Klassen – vom Magier bis zum Nahkämpfer – auswählen und diese noch weiter verfeinern.

Zu diesen Verfeinerungen gehört auch, dass ein non-binäres Geschlecht ausgewählt werden kann. Außerdem stehen mehre Stimmen zur Auswahl, das Aussehen kann in vielen Aspekten adaptiert werden – etwa mit orkischer Haut, extralangen Ohren, schrägen Frisuren und natürlich Tätowierungen.

Borderlands

Weiters kann eine Hintergrundgeschichte zum Helden ausgewählt werden, die sich – wie bei klassischen Pen&Paper-RPGs – auf die Charaktereigenschaften auswirkt. Ich entscheide mich dafür, ein Dorftrottel zu sein. Und somit bin ich zwar kräftig, aber nicht sonderlich schlau.

Level-up!

Die Klasse und die Charaktereigenschaften können natürlich mit jedem Levelaufstieg weiter entwickelt werden. Dazu erhält man meist einen Punkt, um neue Fähigkeiten im Skilltree zu verbessern, und einen, um die Charaktereigenschaften zu verbessern.

Anders als bei dem jüngsten Borderlands-Spiel steht hier zwar pro Klasse nur ein Skilltree zur Verfügung; dafür kann man im späteren Verlauf des Spiels aber eine weitere Klasse auswählen lassen, deren Fähigkeiten man ebenfalls nutzen kann. Das schafft durchaus Potenzial für lustige Kombination, da unter anderem diverse Klassen auf Begleittiere zurückgreifen können – mein non-binärer orkischer Dorftrottel wird somit von einem kleinen Drachen und einem watschelnden Giftpilz begleitet.

Wer hat das Cola verschüttet?

Wie es sich für einen First-Person-Shooter gehört, so wird auch Tiny Tina's Wonderlands großteils aus der Ich-Perspektive gespielt. Allerdings nicht immer: Bewegt man sich über längere Strecken zwischen zwei Handlungsorten, so sieht man den eigenen Charakter aus der Vogelperspektive über die Karte spazieren.

Bier auf dem Spielplan – wer kennt das nicht?
Foto: Gearbox/2K

Das erinnert einerseits an japanische Computerrollenspiele (JRPGs) der ersten Stunde, andererseits aber eben auch an jene Pen&Paper-RPGs, bei denen Spielleiter und Teilnehmende motiviert genug waren, bemalte Zinnfiguren über eine Modelllandschaft zu schieben.

Was dabei schiefgehen kann, wird hier auch gekonnt parodiert: Figuren werden mit Heftzwecken aufgespießt, die Spielfigur bewegt sich an Flüssen verschütteter Cola vorbei ... He, liegt da ein Erdnussflip auf dem Weg? Nein, beteuert die Dungeonmasterin: Das ist natürlich ein Meteor aus dem All, der sich nur mit einem magischen Schlüssel entfernen lässt. Und schon haben wir wieder eine neue Mission, die wir erledigen müssen.

Eine generische Story?

Die Story von Tiny Tina's Wonderlands ist so platt, dass es sich dabei eigentlich per se schon um eine Parodie handeln muss: Der böse Dragon Lord ist von den Toten zurückgekehrt und befehligt eine Armee aus Skeletten und Zombies, wir müssen ihm das Handwerk legen. Klingt fad? Nur auf den ersten Blick.

Denn zwar möchten wir aus Spoiler-Gründen nicht allzu viel verraten, es darf aber gesagt sein: Im typischen Borderlands-Stil nimmt die Story wieder mal skurrile Wendungen an, mit denen man eher nicht rechnen würde. Wer Bohnen pflanzt, der darf sich nicht über die Konsequenzen wundern. Und wer will schon ein Meer befahren, wenn es auch anders geht? Außerdem profitiert auch dieses Spiel von obskuren Nebenquests und abgefahrenen Charakteren.

Was zum Teufel ist hier passiert?
Foto: Gearbox/2K

So muss man an einer Stelle einer Bäuerin helfen, die sich in eine Alchemistin verliebt hat, indem man einen Kobold beschwört und ihm das Gedichteschreiben beibringt –nur um am Ende zu erleben, dass sich die Bäuerin doch in den besagten Kobold verliebt. An anderer Stelle feiert der aus den Borderlands-Spielen bekannte Roboter Claptrap einen Gastauftritt, der im kommenden Borderlands-Film ja von keinem Geringeren als Jack Black gesprochen werden soll.

"Wonderlands" ist wie "Borderlands" ...

Abgesehen von dem neuen Setting ist Wonderlands in vielen Punkten auch wie Borderlands. Das beginnt natürlich bei der auch in diesem Spiel eingesetzten Comicgrafik und den derben Witzen, spiegelt sich aber auch im Gameplay wieder.

So besteht auch dieses Spiel hauptsächlich aus Schießereien und dem anschließenden Einsammeln von Beute. Auch hier können die Objekte an Automaten verkauft und dort auch neue Waffen und andere Objekte gekauft werden. Es gibt wieder Automaten zum Sammeln verpasster Beute und welche zum Anpassen des eigenen Aussehens. Die Verwaltung der Inventars ist dabei genauso mühsam und zeitraubend wie schon in den Vorgängern, auch diesmal ist der Beutel so gut wie immer voll – lässt sich aber auch diesmal wieder erweitern, das dafür nötige Kleingeld findet sich wieder in Safes und Truhen.

... und zwar auch bei den Waffen

Seltsam ist in diesem Kontext, dass es auch in Tiny Tina's Wonderlands futuristische Schusswaffen gibt, obwohl wir uns in einem Fantasysetting bewegen. Das wird zwar am Anfang des Spiels mit einem Witz erklärt, in Wahrheit ist es aber eine verpasste Chance. Statt der üblichen Scharfschützengewehre und Maschinenpistolen hätte man mehr auf Armbrüste und Schleudern in allerlei Kombinationen setzen können.

Nicht nur das Inventory weckt Erinnerungen an die "Borderlands"-Spiele.
Foto: Gearbox/2K

Wenigstens gibt es ein breites Portfolio an Nahkampfwaffen – mit denen man aber nur zuschlagen und nicht parieren kann. Außerdem wird das Portfolio der Mordwerkzeuge um Zaubersprüche erweitert, die unterschiedliche Effekte haben und deren Wirkung wiederum mit den bereits zuvor erwähnten Charakterwerten zusammenhängt.

Fazit: Altes Konzept in frischem Gewand

In der ersten Stunde des Spiels hört man gefühlt 20-mal Wörter wie "Arsch" oder "beschissen", und es gibt eine muskelbepackte männliche Fee, die den Skeletten ordentlich ins Maul haut – wer mit Gewalt in Spielen, mit Fäkalsprache und mit derbem Humor nicht klarkommt, der wird mit diesem Game nicht glücklich werden.

Aber wem schon die Borderlands-Spiele gefallen haben, der wird in Tiny Tina's Wonderlands ein Game finden, das die altbekannte Erfolgsformel in ein frisches Gewand steckt und wohl keinen Fan enttäuscht zurücklässt. Zwar wäre in Sachen Gameplay noch etwas Mut zu mehr Änderungen wünschenswert gewesen – aber vielleicht hebt man sich das ja auch für eine etwaige Fortsetzung auf. (Stefan Mey, 24.3.2022)

Hinweis im Sinne der redaktionellen Leitlinien: Tiny Tina's Wonderlands erscheint am 25. März. Ein Rezensionsexemplar wurde dem STANDARD von 2K zur Verfügung gestellt.