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Manganknollen bestehen vorwiegend aus Eisen- und Manganverbindungen, daneben enthalten sie Kupfer, Nickel, Kobalt und Metalle der seltenen Erden. Unzählige der begehrten Knollen lagern am Meeresgrund, wo sie künftig geborgen werden sollen.

Foto: Reuters / Christ Helgren

Bergbauunternehmen wollen bald Manganknollen in der Tiefsee schürfen. In ihnen stecken wertvolle Metalle, die etwa für die Herstellung von Akkus verwendet werden.

Was der Tiefseebergbau für das dortige Ökosystem bedeutet, erforscht Matthias Haeckel vom Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel. Er koordiniert mit Mining Impact das weltweit größte unabhängige Forschungsprojekt zu den ökologischen Folgen des Tiefseebergbaus.

STANDARD: Was ist über den Lebensraum in der pazifischen Clarion-Clipperton-Zone, in der Manganknollen abgebaut werden sollen, bekannt?

Matthias Haeckel: Wir finden auf jeder unserer Forschungsfahrten bis zu hundert neue Arten, von Seesternen und Anemonen über Ruderfußkrebse und Fadenwürmer bis hin zu Mikroorganismen. Viele Tiefseelebewesen kommen überall in dieser 5000 Kilometer langen Bruchzone vor. Wir wissen aber bis heute nicht, wie diese Populationen zusammenhängen. Dazu kommt: Manganknollen selbst sind ein sehr artenreiches Habitat, darauf lebt einzigartige Fauna. Es ist wichtig für Schlangensterne und andere Tiefseelebewesen.

STANDARD: Kann man Manganknollen jemals ökonomisch sinnvoll und ökologisch vertretbar abbauen?

Haeckel: Ökonomisch sinnvoll wird man es bestimmt irgendwann hinbekommen. Ökologisch vertretbar finde ich das aber nicht. Bergbauunternehmen planen ihre Abbauoperationen dort, wo Manganknollen dicht an dicht legen. Damit sich das wirtschaftlich lohnt, muss man bis zu zweitausend Stück pro Sekunde ernten. Jedes Unternehmen müsste jedes Jahr pro Operation eine Fläche so groß wie München umgraben. Die Kollektoren würden den Meeresboden mitabtragen. Also auch die oberste Sedimentschicht in und auf der die meisten Lebewesen leben und die für das gesamte Ökosystem wichtig ist. Die wird aufgewirbelt, sinkt ab und begräbt Lebewesen weit über die Abbauflächen hinaus. Die Knollen, die man birgt, werden am Schiff gewaschen. Das Abwasser wird dann wieder eingeleitet. Damit zerstört man pro Jahr größere Flächen als jene, die im Regenwald gerodet werden.

STANDARD: Welche Folgen hat der Abbau für das Ökosystem?

Haeckel: Tiefseebergbau wird langfristigen Schaden anrichten. Ende der 80er- bis Anfang der 90er-Jahre erforschte das DISCOL-Projekt die ökologischen Folgen des Tiefseebergbaus. Dafür simulierte man im Peru-Becken das Umgraben von Tiefseeboden, auf dem Manganknollen liegen. Mit einer Pflug-Egge grub man eine Fläche von elf Quadratkilometern um. Ich habe meine Doktorarbeit im Rahmen des Projekts geschrieben. Es gab auch kleinere Experimente in der Clarion-Clipperton-Zone. Im Zuge von Mining Impact haben wir uns im Jahr 2015 angesehen, wie der Lebensraum in diesen Gebieten aussieht. Die Flächen sind bis heute nicht wieder besiedelt. Die Mikroorganismen bauen dort viel weniger organisches Material ab. Es wird bis zu 70 Jahre dauern, bis die Dichte an Mikroorganismen wieder hergestellt ist. Sie sind aber die Basis für das gesamte Ökosystem. Bis die Stoffflüsse wieder funktionieren, dauert es einige tausend Jahre.

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Der Tiefseebergbauroboter Patania II beim Testlauf in der pazifischen Clarion-Clipperton-Zone. Bei den dunklen Punkten im Lichtkegel handelt es sich um Manganknollen.
Foto: REUTERS/GSR

STANDARD: Letztes Jahr haben Sie den Test von Patania II, ein Tiefseebergbauroboter des belgischen Unternehmens Global Sea Mineral Resources (GSR), wissenschaftlich begleitet. Was waren die Erkenntnisse?

Haeckel: Die Sedimentwolke, die aufgewirbelt wurde, blieb in den unteren zehn Metern über dem Boden. Sie wurde durch die Strömung verteilt und sank bis zu 1000 Meter entfernt wieder ab, das sieht aus wie eine Schneedecke. Seesterne buddeln sich daraus wieder aus. Einige Schwämme und Korallen können ihre Oberfläche durch Schleim reinigen. Nach monatelangem Abbau schaffen sie das aber nicht mehr. Man muss wissen: Ein Großteil der Fauna am Tiefseeboden filtert seine Nahrung aus den Schwebstoffen im Wasser. Die Sedimentwolke verklebt ihre Filterorgane, weil die Sedimentkonzentration millionenfach höher ist als das klare Tiefseewasser. Wir wissen noch nicht, wie gut die Lebewesen damit klarkommen.

STANDARD: Gibt es genug Daten, um die Auswirkungen von Tiefseebergbau beurteilen zu können?

Haeckel: Es gibt 17 Explorationsgebiete, die jeweils von den Eigentümern der Lizenzen erkundet werden. Das bedeutet, es gibt wahrscheinlich schon genügend lokale Daten. Viele sind aber nicht öffentlich zugänglich. Dabei sind diese Gebiete nicht voneinander getrennte Ökosysteme. Das hängt alles zusammen. Wir wissen aber noch nicht, wie genau. Wir können nicht sagen, wie das gesamte Ökosystem in dieser Zone geschädigt wird, wenn mehrere Abbauoperationen gleichzeitig laufen. Wir Forscher vom Projekt Mining Impact und verschiedene NGOs fordern seit Jahren, dass alle Explorationsdaten zugänglich gemacht werden müssen.

STANDARD: Ein Großteil der Tiefseeforschung wird von der Industrie finanziert. Weil Forschung in diesen Tiefen kostspielig ist, sei das die einzige Möglichkeit zu forschen, argumentieren einige Wissenschafter. Wo stehen Sie in dieser Debatte?

Haeckel: Bevor man in der Tiefsee abbauen kann, müssen Unternehmen die Gebiete erst erkunden. Dafür werden Wissenschafter angeheuert und bezahlt. Die Daten bekommt die Firma. Das ist ein Graubereich, aber meistens geht es gut. Ich kenne aber Beispiele, wo das kanadische Unternehmen The Metals Company (TMC) nicht zugelassen hat, dass Daten veröffentlicht werden. Kollegen mussten Arbeiten wieder zurückziehen. Ob man so etwas mitmacht, muss jeder Wissenschafter für sich entscheiden. Ich verurteile niemanden. Von uns wird immer gewünscht, dass wir die Brücke zu den Firmen schlagen. Aber in dem Fall kann man dann in ein Spannungsfeld kommen. Ich habe die belgische Firma GSR davon überzeugen können, ihren Test von Mining Impact begleiten zu lassen. Das ist ein unabhängiges Projekt, wird von den Forschungsministerien gefördert. Alle Daten, die wir erheben, kommen in eine öffentlich zugängliche Datenbank. Das war für mich eine Grundvoraussetzung.

Matthias Haeckel erforscht unter anderem im Projekt Mining Impact die Folgen des Tiefseebergbaus für diesen submarinen Lebensraum.
Foto: Matthias Haeckel

STANDARD: Der Knollenabbau wird von der Internationalen Meeresbodenbehörde (ISA) reguliert. Sie könnte auf TMC-Initiative gezwungen werden, bis 2023 einen Mining-Codex zu verabschieden. Weiß man bis dahin, was der Abbau für das Ökosystem bedeutet?

Haeckel: Nein. Das wissen wir aber auch in dreißig Jahren noch nicht vollständig. Die Regularien müssen deshalb so gemacht werden, dass man sie anpassen kann, wenn man mehr weiß. Ich würde mir wünschen, dass man bis dahin Regeln vorgibt, die so restriktiv wie nur möglich sind. Aber ich glaube, das ist nicht der Ansatz der ISA.

STANDARD: Seitens von TMC heißt es, wir brauchen die Metalle, die in den Manganknollen stecken, um die Energiewende zu schaffen. Stimmt das?

Haeckel: Folgen wir dieser Erzählung mal. Für die Mengen, die wir benötigen, müsste man 20 bis 30 Operationen parallel durchführen – über die nächsten 20 Jahre. Das ist im Augenblick nicht ökonomisch. Auf dem Level wird das in den nächsten zehn Jahren auch technologisch nicht stattfinden können. Bei den derzeitigen Metallpreisen macht das Mangan etwa 70 Prozent des Wertes der Knollen aus. Mangan braucht niemand in diesen Mengen, so viel davon am Markt ließe den Manganpreis einbrechen. Viele NGOs gehen davon aus, dass Gerard Barron der Meeresbodenbehörde auch deshalb Druck macht, weil er vor kurzem an die Börse gegangen ist. Glaubt man, dass der Abbau der Knollen bald beginnen könnte, treibt das den Aktienkurs nach oben. (Laura Anninger, 28.3.2022)