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Die kleine Freiheitsstatue vor der französischen Botschaft in Washington, in die Nationalfarben der Ukraine gehüllt.

Foto: AP Photo/Manuel Balce Ceneta

Die Frage bekommt Jen Psaki in jüngster Zeit öfter zu hören, und ihre Antwort klingt immer ähnlich ausweichend. "Es gibt eine Reihe von Diskussionen", erwidert die Sprecherin des Weißen Hauses regelmäßig: "Aber die große, ganz überwiegende Mehrheit der Flüchtlinge möchte in ihren Nachbarländern bleiben."

Nur notdürftig lässt sich hinter dieser Formulierung das gewaltige humanitäre Dilemma verbergen, in dem die USA seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine stecken: Kein anderes westliches Land leistet so massive Militärhilfe für die Regierung in Kiew. Doch zugleich gibt kaum ein Bündnispartner bei der Aufnahme von Flüchtlingen ein so schlechtes Bild ab.

690 Geflüchtete in den USA

Rund zehn Millionen Menschen haben nach Schätzungen der Vereinten Nationen wegen des Krieges bereits ihre Wohnungen und ihre Heimat verlassen. Allein 2,1 Millionen entkamen dem Horror über die Grenze nach Polen. Hunderttausende fanden in Ungarn, Moldau, Rumänien, der Slowakei und auch in Österreich Zuflucht. In den USA sind nach offiziellen Zahlen seit Oktober gerade einmal 690 Geflüchtete aus der Ukraine aufgenommen worden. Die abweisende Haltung gegenüber Menschen in Not widerspricht nicht nur der Tradition des Einwanderungslandes, sondern auch der Ankündigung von Joe Biden. "Ich werde Flüchtlinge aus der Ukraine willkommen heißen", sagte der Präsident vor zehn Tagen. Das sieht auch eine Mehrheit der US-amerikanischen Bevölkerung so: Laut einer Umfrage von Yougov befürworten 54 Prozent die Aufnahme von Flüchtlingen, nur 25 Prozent sind dagegen.

Doch die Realität sieht anders aus. Zwar hat die Biden-Regierung nach dem Ausbruch des Krieges die Aufenthaltsgenehmigung für 30.000 Ukrainer verlängert, die schon in den USA leben. Doch das hilft den aktuell Schutzsuchenden nichts. Sie stoßen auf ein extrem bürokratisches System, dessen Regeln unter Ex-Präsident Donald Trump noch verkompliziert wurden, während die nötige Infrastruktur beschnitten wurde. Trump hatte den jährlichen Deckel für die Aufnahme von Flüchtlingen auf 15.000 gesenkt. Unter Biden wurde die Obergrenze zwar auf 125.000 angehoben, doch hereingelassen wurden in den ersten fünf Monaten des Haushaltsjahres nur 6500 Menschen aus der ganzen Welt.

Behörden überlastet

Verantwortlich dafür ist nach US-Medienberichten die Überlastung der Behörden, die noch mit der Erfassung der 76.000 afghanischen Übersetzer und Helfer beschäftigt sind, die jenseits der normalen Flüchtlingsverfahren ins Land kamen. Ohnehin dauert der Prozess mit Sicherheitsüberprüfungen, Gesundheitschecks und sonstigen Hürden in der Regel mehrere Jahre. Im Falle der Ukrainer arbeitet die von Kiew nach Moldau übergesiedelte Antragstelle offenbar zudem nur mit begrenzter Kapazität.

Alternativ bleiben Ukrainern und Ukrainerinnen nur zwei Wege, um in die USA zu kommen: Sie können nach Mexiko fliegen und an der Grenze Asyl beantragen, was Corona-bedingt derzeit aber nur in Ausnahmefällen bewilligt wird. Das haben offenbar bisher 1300 Männer und Frauen versucht. Oder sie können – falls ein naher Verwandter die US-Staatsbürgerschaft besitzt – ein Visum beantragen. Doch auch das dauert lange. So gibt es bei der US-Botschaft in Warschau nach Recherchen der Washington Post frühestens im September einen Termin für das dafür erforderliche Interview.

Der Biden-Regierung ist die Problematik wohl bewusst. Sprecherin Psaki verweist auf das vier Milliarden Dollar schwere Hilfspaket für die Ukraine, das der Kongress gerade verabschiedet hat und mit dem auch Nachbarländer unterstützt werden könnten. "Wir tun alles, was wir können, um zu helfen", sagte kürzlich auch Außenminister Antony Blinken und versprach, nach Wegen für eine Beschleunigung der Flüchtlingsaufnahme zu suchen: "Ich werde dazu demnächst mehr sagen." (Karl Doemens aus Washington, 23.3.2022)