
Der Prozess gegen den 52 Jahre alten Herrn D., der versucht haben soll, auf der Straße seine in Scheidung lebende Gattin zu erstechen, stößt auf reges Medieninteresse.
Wien – "Das ist meine Frau! Sie hat mein Leben zerstört! Ich will sie umbringen!", schrie Novak D. am Morgen des 19. August, nachdem ihn Passanten überwältigt und fixiert hatten. Zuvor soll der 52-jährige Österreicher seiner 46 Jahre alten Frau auf einem Gehsteig nahe der U-Bahn-Station Pilgramgasse mindestens zwei Verletzungen mit einem Messer am Oberkörper zugefügt haben, weshalb er mit dem Vorwurf des Mordversuchs vor einem Geschworenengericht unter Vorsitz von Wolfgang Etl ist. Der Unbescholtene leugnet diesen Anklagepunkt: Er habe seine damals seit zwei Monaten getrennt von ihm lebende Gattin bloß "erschrecken" wollen, die Körperverletzung sei ein Unfall gewesen, behauptet er.
Rechtlich gesehen ist die Ehe der beiden in einem Limbus, selbst Verteidigerin Astrid Wagner, die D. schon bei seinem Scheidungsverfahren im Juni vertreten hat, muss selbst in den Unterlagen nachsehen. Tatsächlich ist das Paar noch verheiratet, am Bezirksgericht wurde damals vereinbart, dass D. bis Ende September aus der gemeinsamen Wohnung ausziehen müsse und anschließend die Scheidung finalisiert wird.
Laut Verteidigerin kein "böser Macho"
"Er war immer sehr gequält. Er war damals schon zerstört", erinnert die Rechtsvertreterin sich. Die dann versucht, das Bild ihres Mandanten bei den sieben Laienrichterinnen und dem einen Laienrichter geradezurücken: "Der 'böse Macho' – dieser Typ ist er sicher nicht", zeigt Wagner sich überzeugt. Seine Familie und seine Frau "waren sein Ein und Alles", sagt sie über den Mann, der aus einer früheren Beziehung zwei Kinder und mit seiner jetzigen Frau einen Sohn hat. Wagner bemüht sich auch, die Geschworenen von der Version ihres Mandanten zu überzeugen: "Er hätte sie mit dem Messer töten können, wenn er es anders gehalten hätte", behauptet sie.
Die Befragung des Angeklagten dauert zum Unmut des Vorsitzenden länger als geplant, da sich bereits bei der Überprüfung der Generalien herausstellt, dass der in Serbien geborene Angestellte kaum Deutsch spricht. Auf die Frage nach seinem Namen antwortet D. nur zögerlich, was Etl mit "Die Frage nach dem Namen ... – ich mein, Sie sind seit über 30 Jahren da!" quittiert, ehe er die Dolmetscherin um ihre Dienste bittet.
Der Angeklagte bleibt dabei. Er bekennt sich der Körperverletzung schuldig. "Beabsichtigt war es sicher nicht", stellt er dazu klar. Dass er auch in Richtung der eingreifenden Passanten Stichbewegungen gemacht hat, sieht er nicht als die angeklagte schwere Nötigung: "Ich habe das nur aus Angst gemacht."
In Ehe zunächst "alles schön"
Zunächst durchleuchtet der Vorsitzende das Privatleben des Angeklagten. Im Jahr 2000 lernte er das Opfer, eine gebürtige Slowakin, kennen, ein Jahr später heirateten die beiden, 2002 kam das Kind zur Welt. "Wie würden Sie die Ehe beschreiben?", fragt Etl. "Bis 2011 oder 2012 war für mich alles schön", lautet D.s Antwort.
Dann war der Angeklagte plötzlich überzeugt davon, dass seine Frau mit dem damals bei ihnen lebenden Sohn aus erster Ehe eine Affäre habe. "Als ich das angesprochen habe, hat sie zu streiten begonnen", sagt der laut dem psychiatrischen Sachverständigen Siegfried Schranz an einer "wahnhaften Störung bei paranoider Akzentuierung" leidende Angeklagte. Laut Staatsanwältin war D. "krankhaft eifersüchtig", habe nicht nur die Anrufliste seiner Frau kontrolliert, sondern sie auch mit den Einzelgesprächsnachweisen verglichen, um sicherzugehen, dass kein Gespräch aus der Liste gelöscht wurde.
Kaputte Kamera und Ortungs-Apps
D. selbst antwortet auf Etls Frage nach seiner Eifersucht zunächst mit: "Wenn du jemanden nicht liebst, bist du auch nicht eifersüchtig." Erst auf Nachfrage gibt er zu, Angst vor einem Seitensprung seiner Gattin gehabt zu haben. So stellte er eine Kamera in die Wohnung und erklärte seiner Gattin, dass er sie damit überwachen könne. "Ich habe in Wahrheit keine Kamera installiert, habe es ihr aber gesagt", weist der Angeklagte auf dir Funktionsuntüchtigkeit des Geräts hin. Ortungs-Apps habe er dagegen sehr wohl auf dem Mobiltelefon der Frau installiert.
Nach dem Auszug seines älteren Sohnes vermutete D., seine Frau habe eine Affäre mit dem Ex-Mann ihrer Arbeitskollegin. Was ein wenig verwirrend ist, da diese Frau in einer aufrechten Partnerschaft lebt. Warum er an diese Beziehung glaubte, kann der Angeklagte eigentlich nicht begründen.
Diese Arbeitskollegin war es auch, zu der das Opfer flüchtete, nachdem sie D. am 15. Juni eröffnet hatte, dass sie die Scheidung wolle. Der Angeklagte stieg unter anderem in das Google-Konto seiner Frau ein, um das Bewegungsprofil seiner Gattin zu rekonstruieren, er spionierte auch das Haus der Arbeitskollegin vor Ort aus.
Tatwaffe in Zeitungspapier versteckt
Am Morgen des Tattages wartete er laut Anklage bei der U-Bahn-Station, mitgebracht hatte er sein Klappmesser mit elf Zentimeter langer Klinge, das er in Zeitungspapier versteckt hatte. Als er seine Noch-Gattin, die auf dem Weg zur Arbeit war, entdeckte, folgte er ihr, soll sie an Arm oder Schulter gepackt und ansatzlos mehrmals zugestochen haben. Eine über zehn Zentimeter tiefe Stich- und eine vier Zentimeter lange Schnittwunde im und am Oberkörper links konnte der gerichtsmedizinische Sachverständige Christian Reiter feststellen, dazu kommt noch eine Abwehrverletzung an der linken Hand.
D. bleibt dagegen dabei – er habe mit seiner Frau nur reden wollen, dass Messer habe er dabeigehabt, um sie zu "schrecken". Wie sie zu ihren Verletzungen gekommen ist, kann er sich nicht erklären. Seine Vermutung: Er habe von einem Fußgänger einen Schlag auf den Hinterkopf bekommen, vielleicht sei er mit der gezückten Waffe nach vorn gefallen. Experte Reiter widerspricht: Die Wunden im Oberkörper der Frau deuten darauf hin, dass es zumindest zwei unmittelbar aufeinanderfolgende schnelle Angriffe gegeben hat. Er korrigiert auch Verteidigerin Wagner: Die Verletzungen seien zwar leicht, wäre das Messer beim Stich aber nur einige Grad anders eingedrungen, wären schwere bis lebensgefährliche Verletzungen die Folge gewesen. "Es war einfach Glück", hält Reiter fest, dass niemand so gezielt eine Waffe einsetzen könne.
Frau konnte sich durch Pfeffersprayeinsatz retten
Als Passanten, darunter Menschen aus dem ehemaligen Jugoslawien sowie Türken, der schreienden Frau zu Hilfe kamen, hielt D. sie mit seinem Messer auf Distanz. Die Verletzte ergriff die Chance zur Flucht, der Angeklagte rannte ihr nach. Nach einer kurzen Verfolgungsjagd schaffte die Frau es, ein Pfefferspray aus ihrer Handtasche zu kramen und D. damit einzunebeln. Er ging zu Boden, schleuderte aber selbst dann noch seine Waffe in Richtung der Frau, ehe er von den Zeugen auf dem Boden fixiert werden konnte.
"Das war das Schrecklichste, was mir in meinem Leben passieren konnte", lässt der Angeklagte seine Erfahrung mit dem Pfefferspray übersetzen, er beschwert sich auch, dass er bei der Fixierung ein Hämatom am Oberarm erlitten habe, das noch zwei Monate später schmerzte. "Sie stellen sich als Opfer dar", merkt der Vorsitzende an. "Haben Sie eigentlich Schuldgefühle? " – "Ja." – "Aber warum?" – "Das war wie ein Unfall, etwas, das passiert", meint der Angeklagte. Beisitzerin Anna Marchart platzt da fast der Talar-Kragen: "Es ist nichts passiert, SIE haben etwas gemacht! Erkennen Sie den Unterschied?", fragt sie ergebnislos.
"Ich war sein Besitz"
Frau D. schildert dann als Zeugin in Abwesenheit des Angeklagten die Beziehung gänzlich anders. Ihr Mann sei krankhaft eifersüchtig gewesen, habe sie ständig kontrolliert, Rechenschaft über ihren Aufenthalt verlangt und ständig Geschlechtsverkehr von ihr gefordert. "Ich war sein Besitz", fasst sie die Situation zusammen. Trennen habe sie sich aber nicht können: "Wohin sollte ich mit dem Kind gehen? Wenn ich zu Mama oder Bruder gehe, findet er mich und bringt mich um", sah sie sich damals ausweglos. "Ich habe auch vor meinen Verwandten immer verheimlicht, dass ich einen Psychopathen geheiratet habe", erklärt die Zeugin.
D. sei generell kontrollsüchtig gewesen, auch vom Sohn wollte er jede Bewegung wissen, selbst als dieser bereits volljährig war. "Er wollte bei seiner Freundin übernachten, und ich habe gesagt: 'Lass ihn gehen, er ist 18 Jahre alt'", erinnert die Frau sich. Die Reaktion des Angeklagten: "Du bist so eine Rabenmutter! Vielleicht nimmt er Drogen!" Dennoch verteidigt sie den Angeklagten mit einem seltsamen Argument: "Geschlagen hat er mich nie, nur ein paar Ohrfeigen."
Angeklagter sei ein "Mann mit zwei Gesichtern"
Auf die Frage einer Geschworenen, ob die Zeugin in den 20 Jahren Ehe nie die Polizei gerufen habe, antwortet das Opfer: "Wenn ich die Polizei einmal anrufe, gibt es kein Zurück mehr. Ich glaube, er hätte mich umgebracht." Außerdem hatte sie Angst, dass niemand ihr glauben würde. Denn: "Er war ein Mann mit zwei Gesichtern. Zu anderen war er immer nett und hilfsbereit."
Besonders schlimm sei sein Zustand mit Beginn der Covid-19-Pandemie in Österreich gewesen. "Er war ein ganz starker Impfgegner und hat gesagt, ich bin verrückt geworden, als ich chipisiert wurde", sagt die Frau und verrät, dass ihr Mann auch einem populären Verschwörungsmythos anhing. Sein Mobiltelefon wickelte er in Alufolie ein, um nicht abgehört zu werden, erzählt der Sohn, der als nächster Zeuge erscheint. Er beschreibt seinen Vater als "heißblütig" und aggressiv, wenn etwas nicht nach seinem Wunsch lief. Als Kind habe er einmal erlebt, dass sein Stiefbruder von D. mit einem Gürtel geschlagen wurde.
Opfer leidet noch immer
Dass der Angeklagte nicht nur sein eigenes Leben zerstört hat, sondern auch das seines Opfers, arbeitet Privatbeteiligtenvertreterin Sonja Aziz heraus, als sie Frau D. fragt, wie es ihr mittlerweile gehe. "Ich bin im Krankenstand, habe Albträume, Schlaf- und Essstörungen. Ich habe seit damals zwölf Kilo abgenommen", schildert die an einer posttraumatischen Belastungsstörung leidende Zeugin.
Der psychiatrische Sachverständige Schranz erklärt in seinem Gutachten, dass er D. trotz dessen erratischen Verhaltens für zurechnungsfähig halte. Eine ernsthafte psychische Erkrankung seien die wahnhaften Züge erst, wenn sie sich auf alle Lebensbereiche beziehen. Für eine Einweisung des Angeklagten in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher plädiert Schranz dennoch. Denn die Gefährlichkeitsprognose sei "insgesamt ungünstig", es bestehe bei D. ein sehr hohes Risiko eines ähnlichen Angriffs, falls er unbehandelt bleibe. Die Gefahr beziehe sich aber nur auf die Noch-Frau und den Sohn, ist der Fachmann überzeugt.
Das Verfahren endet mit einer Überraschung: Mit vier zu vier Stimmen spricht die Hälfte der Geschworenen D. vom Vorwurf des Mordversuchs frei. Da es keine Zusatzfrage zu Körperverletzung gab, hätte das keine Verurteilung bedeutet. Der Vorsitzende und seine beiden Beisitzerinnen sehen einen Irrtum der Laienrichter und setzen das Urteil aus. Der Fall muss also von einem neuen Senat wieder verhandelt werden. (Michael Möseneder, 22.3.2022)