Die britische Innenministerin Priti Patel, selbst Immigrantentochter, gilt als Hardlinerin in Flüchtlingsfragen.

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Vor dem Hintergrund harscher Kritik an mangelnder britischer Hilfe für ukrainische Flüchtlinge hat das Londoner Unterhaus am Dienstag über ein neues Grenzschutzgesetz beraten. Die Vorlage der konservativen Regierung unter Premier Boris Johnson sieht Gefängnisstrafen für "illegale Einwanderer" vor; auch soll Innenministerin Priti Patel die Möglichkeit erhalten, sogenannte Offshore-Asylzentren einzurichten.

Die konservative Parlamentsmehrheit hatte das umstrittene Gesetz im Herbst bereits durchgewinkt. Weil das Oberhaus aber nicht nur heftige Kritik übte, sondern auch mehrere Textänderungen durchsetzte, musste die Novelle erneut von der gewählten Kammer erörtert werden. Zu den Hauptkritikpunkten zählt die sofortige Inhaftierung von Asylbewerbern, die sich den Behörden ohne Visum präsentieren, sowie die Einrichtung von Flüchtlingszentren weitab der Insel.

Patel hatte unter anderem die zu den Resten des britischen Kolonialreichs zählende Ascension Island, auf Deutsch Himmelfahrtsinsel, im Südatlantik als Standort prüfen lassen. Die von London als Auffangstaaten ins Spiel gebrachten Länder Albanien und Ghana haben das Projekt empört abgelehnt.

Schlauchboote und Kajaks

Nachdem die beteiligten Regierungen andere Routen auf die Insel, etwa durch den Kanaltunnel zwischen Calais und Folkestone, erfolgreich gestoppt hatten, haben in den vergangenen Jahren immer mehr Migranten auf Schlauchboote und Kajaks gesetzt. An klaren Tagen mit ruhiger See wie derzeit schaffen bis zu 900 Menschen täglich die gefährliche Reise.

Die Überfahrten werden von skrupellosen Menschenhändlern zum Preis zwischen 3.000 und 7.000 Euro pro Person angeboten. Immer wieder kommt es dabei zu Todesfällen. Entweder kentern die überfüllten Boote in der rauen See, zumal sich im Ärmelkanal die Wetterverhältnisse rasch ändern können. Oder sie geraten in den Sog eines der riesenhaften Containerschiffe, die eine der meistbefahrenen Schifffahrtsstraßen der Welt passieren. Auf den Radarschirmen der turmhoch über dem Wasser liegenden Kommandobrücken sind die winzigen Gefährte oft gar nicht auszumachen. An seiner engsten Stelle zwischen Calais und Dover weist der Ärmelkanal lediglich eine Breite von 34 Kilometern auf.

Menschen aus der Ukraine und deren britische Verwandte und Bekannte beklagen seit Wochen die bürokratischen Hürden, die Patel den Kriegsflüchtlingen in den Weg legt. Als einziger Staat Westeuropas beharrt Großbritannien darauf, dass Einreisewillige vorab online ein Visum beantragen müssen. Die Bearbeitung verlief so schleppend, dass die viel kleinere Nachbarinsel Irland inzwischen mehr Ukrainer aufgenommen hat als die sechstgrößte Industrienation der Welt.

Absicherung gegen Nigel Farage

Die Ministerin rechtfertigt ihre harte Haltung, die sich im Gesetzesentwurf niederschlägt, mit der Behauptung, das bestehende Asylsystem sei "kaputt". Zukünftig sollen nicht nur verurteilte Menschenschmuggler automatisch lebenslange Freiheitsstrafen erhalten. Auch ihre Kundschaft, unabhängig vom Herkunftsland, soll im Knast landen. Dem "ekelhaften Geschäft krimineller Banden" müsse das Handwerk gelegt werden, fordert Patel: "Zugang zum Asylsystem sollte von der Notlage abhängen, nicht von der Zahlungsfähigkeit."

Die Immigrantentochter Patel hat von Johnson den schwierigen Auftrag erhalten, die rechte Flanke der Konservativen gegen Heckenschützen wie den Rechtspopulisten Nigel Farage abzusichern. Der zum TV-Prediger mutierte frühere Politiker wettert bei jeder sich bietenden Gelegenheit gegen die unkontrollierte Einwanderung. Allerdings liegt die Nachfolgeorganisation von Farages Ukip und Brexit-Party, "Reform UK", in Umfragen stets bei unbedeutenden vier Prozent. Auch liegt das Thema Immigration bei der Frage nach wichtigen Sachthemen weit hinter Aufregern wie den Energiepreisen oder dem krisenhaften Gesundheitssystem NHS.

Kosten als Argument

Vor den entscheidenden Abstimmungen am Dienstagabend forderten mehrere Dutzend Tories ihre Regierung zum Einlenken auf. Argumentiert wurde in gut britischer Manier vor allem mit dem Geldbeutel. So seien Flüchtlingszentren in Übersee schon deshalb falsch, weil sie furchtbar teuer würden, glaubt einer der Rebellenführer, der frühere Entwicklungshilfeminister Andrew Mitchell: "Da können wir die Asylbewerber gleich im Ritz-Hotel unterbringen und ihre Kinder aufs Internat Eton schicken."

Der erfahrene Parlamentarier und seine Kolleginnen wollen zudem die Initiative des Oberhauses im Gesetz verankern, wonach Migranten nach sechs Monaten Aufenthalt im Land eine Arbeitserlaubnis erhalten sollen. Das sei gut für die Menschen selbst, aber auch für den Arbeitsmarkt, hieß es in einem Brief an Premier Johnson, den 66 konservative Parlamentarier unterzeichnet hatten.

Wie unangenehm der Regierung das Thema ist, verdeutlichte die Reaktion von namenlosen Loyalisten, die am Dienstag von britischen Medien zitiert wurden: Die rebellierenden Fraktionskolleginnen würden "die Partei von Kriminellen" ergreifen, wenn sie der angeschlagenen Patel weiterhin Widerstand leisten. (Sebastian Borger, 22.3.2022)