Kilometerlange Staus bildeten sich auf den Straßen, die aus der unter Beschuss stehenden Stadt Mariupol führen.

Foto: Imago / Nikolai Trishin

Via "Le Parisien" wandte sich Olena Selenska an die Mütter der russischen Soldaten. "Eure Söhne töten Zivilisten in der Ukraine. (...) Putin hat euch eine Entschädigung für die Toten versprochen, aber wie lässt sich der Tod eines Kindes entschädigen?", sagte die ukrainische First Lady der französischen Zeitung.

Ob dieser Appell etwas bewirkt, ist fraglich. So oder so arbeitet Selenska aber derzeit daran, krebskranke Kinder aus der Ukraine und damit in Sicherheit zu bringen, während ihr Mann Wolodymyr Selenskyj offenbar einem Attentat entkommen ist. Die ukrainische Spionageabwehr hat eigenen Angaben zufolge eine von einem Geheimdienstler angeführte Gruppe von russischen Saboteuren im Dreiländereck zwischen der Ukraine, der Slowakei und Ungarn festgenommen, berichtete die ukrainische Nachrichtenagentur Unian. Demnach sollen die 25 Männer einen Anschlag auf den ukrainischen Präsidenten sowie eine Reihe von Sabotageakten geplant haben.

Mehrere Attentatsversuche

Dem Bericht zufolge wollte sich die Gruppe als Mitglieder der ukrainischen Territorialeinheiten ausgeben und so nach Kiew gelangen. Diese Angaben lassen sich genauso wenig überprüfen wie frühere von ukrainischer Seite bekanntgegebene Attentatsversuche auf Präsident Selenskyj.

In der Ukraine wurden die Kämpfe auf jeden Fall auch knapp einen Monat nach Beginn der russischen Invasion fortgesetzt. Beide Seiten meldeten dabei Gewinne an der Kriegsfront. Laut russischer Seite hätten sich Kämpfer der beiden selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk im Osten des Landes mehrere Kilometer in ukrainisches Gebiet vorgekämpft.

Treibstoff geht angeblich aus

Die Gegenseite dementierte dies und vermeldete ihrerseits erfolgreiche Angriffe auf russische Truppen, bei denen 14 Panzer zerstört worden sein sollen. Außerdem erklärte der ukrainische Generalstab, die russischen Einheiten hätten nur noch Treibstoff, Munition und Verpflegung für höchstens drei Tage.

Russland könne seinen Angriffskrieg in der Ukraine nicht gewinnen, zeigte sich UN-Generalsekretär António Guterres am Dienstag in New York überzeugt. "Die Ukraine kann nicht Stadt für Stadt, Straße für Straße, Haus für Haus erobert werden", sagte Guterres hinsichtlich des in vielen Landesteilen gestoppten Vormarschs der russischen Truppen. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow wiederholte am Dienstag, dass die "Spezialoperation", wie der Krieg in Russland genannt wird, nach Plan laufe – und dass Russland nur dann Atomwaffen einsetzen würde, wenn es seine Existenz bedroht sieht. Laut UN-Flüchtlingshochkommissariat UNHCR haben mittlerweile mehr als 3,5 Millionen Menschen die Ukraine verlassen.

Für die schwer unter Beschuss stehende Hafenstadt Mariupol forderte Vizeregierungschefin Iryna Wereschtschuk erneut sichere Fluchtkorridore. Wereschtschuk zufolge konnten am Dienstag lediglich Menschen in Privatautos die Stadt verlassen, einige Busse wurden dagegen aufgehalten. Die Verwaltung der umzingelten Stadt teilte mit, dass weiteres russisches Bombardement diese "in die Asche eines toten Landes" verwandle. Von Mariupol sei nach wochenlanger russischer Bombardierung "nichts mehr übrig, nur Ruinen", sagte Präsident Selenskyj und gab an, dass weiterhin 100.000 Zivilisten unter unmenschlichen Bedingungen ohne Wasser, Nahrung und Medizin dort ausharren müssten.

Ukrainische Behörden berichteten zudem von einer sich anbahnenden Hungersnot in der von Russland eingenommenen Stadt Cherson. Rund um das einstige Atomkraftwerk Tschernobyl sind laut dem ukrainischen Parlament sieben Brände ausgebrochen. Die Rada gab russischen Truppen die Schuld, die am 24. Februar die Kontrolle über das ehemalige AKW übernommen hatten. Seitdem erklärten die Behörden mehrmals, dass die Radioaktivität in den umliegenden Regionen unter den Grenzwerten liege.

Vor italienischen Abgeordneten

Auf dem diplomatischen Parkett setzte Selenskyj seine digitale Tour durch die europäischen Parlamente fort. Am Dienstag sprach er via Videoschaltung zu den italienischen Abgeordneten in Rom und forderte sie auf, mehr Druck auf Moskau auszuüben: "Die Invasion dauert fast einen Monat, und wir brauchen mehr Sanktionen, mehr Druck auf Russland." Italiens Premier Mario Draghi erklärte, man habe bisher 60.000 Flüchtlinge aufgenommen und außerdem Vermögenswerte von etwa 800 Millionen Euro von russischen Oligarchen beschlagnahmt. Er bezeichnete den ukrainischen Widerstand als "heroisch". Italien wünsche sich die Ukraine als EU-Mitglied und müsse dem Land Militärhilfe leisten, "um die Massaker zu stoppen". US-Angaben zufolge sollen noch in dieser Woche neue Sanktionen des Westens gegen Russland beschlossen werden.

Selenskyj telefonierte am Dienstag auch mit Papst Franziskus. "Der Papst sagte, dass der Heilige Stuhl für das Ende des Krieges betet und alles tut, was für den Frieden möglich ist", teilte der ukrainische Botschafter beim Heiligen Stuhl, Andreij Jurasch, auf Twitter mit. Bei dem Gespräch lud Selenskyj den Pontifex in die Ukraine ein.

Den Frieden betreffend zeichnete sich weiterhin keine diplomatische Lösung ab. Moskau forderte am Dienstag mehr Substanz in den direkten Verhandlungen mit Kiew über einen Waffenstillstand. Es ist nicht das erste Mal, dass sich der Kreml unzufrieden zeigt mit dem Gesprächsstil der Gegenseite. Dort bekräftigte Selenskyj seine Forderung nach direkten Gesprächen mit seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin. Dafür sei es laut Kreml aber noch zu früh, zuvor müsste es konkrete Verhandlungsergebnisse geben. Diesbezüglich erklärte Selenskyj, alle Verhandlungsergebnisse dem ukrainischen Volk zur Abstimmung vorlegen zu wollen.

Brisanter Bericht

Für Wirbel sorgte in Russland unterdessen ein Bericht auf der Webseite der Zeitung "Komsomolskaja Prawda", dem zufolge fast 10.000 Soldatinnen und Soldaten gestorben seien. Der Artikel wurde kurze Zeit später gelöscht, die Zeitung sprach von einem Hackerangriff. Der Bericht ist deshalb so brisant, weil Russland bislang kaum Angaben über die Zahl der getöteten Soldaten in der Ukraine macht. (Kim Son Hoang, 22.3.2022)