
In den Räumen des Bezirksmuseums Alsergrund finden am Montag, Mittwoch und Freitag Deutschkurse statt.
Ukrainisch hallt durch den Gang, als eine Gruppe junger Frauen um 15 Uhr im Erdgeschoß des "Alseums" auf Einlass wartet. Im oberen Stock knarzt der Parkettboden. Fünf Frauen schlendern mit Notizbüchern bepackt das Stiegenhaus hinunter, eine Handvoll Jugendlicher schlängelt sich an ihnen vorbei in den ersten Stock. Dort stehen schon die Nächsten. "Seit heute haben wir einen neuen Raum", sagt Natalia Lagureva – die Frau, die den Überblick hat – und zeigt den Ankommenden ihren neuen Lernort. Ab sofort wird im Sitzungssaal der Bezirksvertretung Alsergrund Deutsch gepaukt.
Rasche Transformation
Vom Bezirksmuseum zum Lernort: Die Idee dafür entstand vor zwei Wochen im Austria Center Vienna (ACV). Dort war die Russin Lagureva, die Vizedirektorin des Bezirksmuseums, als freiwillige Übersetzerin für ukrainische Flüchtlinge unterwegs. Weil die Nachfrage nach Informationen, Unterstützung bei Amtswegen und Lernkursen so groß war, wollte sie das Angebot ausweiten. Und verfasste am 13. März auf Facebook ein Posting – auf Russisch. "Natürlich war da der Gedanke, ob ich es auf Ukrainisch übersetzen soll", sagt Lagureva.
Das war aber gar nicht notwendig: Was mit einem Team aus zwei Personen – Lagureva und Direktor Willi Urbanek – und sechs Minigruppen startete, ist eine Woche später auf ein Team von neun bis elf Freiwilligen und 80 Teilnehmerinnen von jung bis alt angewachsen; mit Deutsch-Einstufung, Datenbank und Telegram-Kanal. Unterstützt werden sie dabei von Bezirksvorsteherin Saya Ahmad (SPÖ) und Buchhandlungen mit Materialien. Für Lagureva selbst bedeutet dieser Ort auch, "das Vertrauen wiederaufzubauen". Laut ihren Angaben warten derzeit 300 Ukrainerinnen und Ukrainer auf einen Kursplatz.
Das große Warten
Dass das Alseum derzeit überrannt wird, ist angesichts des offiziellen Angebots nicht verwunderlich: Dieses existiert bislang nur auf dem Papier. "Viele informieren sich bereits aktiv zum Deutschkursangebot", heißt es auf STANDARD-Nachfrage vom Österreichischen Integrationsfonds. (ÖIF). Zwar stehe beim ÖIF bundesweit neben Onlinekursen (siehe Infobox) bereits seit dem 14. März das Angebot offen. Benötigt wird dafür aber die blaue Aufenthaltskarte, der Ausweis für Vertriebene. Und dieser sei derzeit "seitens des BFA in Arbeit". Auch vom AMS heißt es, dass die Vermittlungen erst anlaufen.
Die steigenden Registrierungen ukrainischer Flüchtlinge dürften aber bald beim ÖIF ankommen: Laut Angaben des Innenministeriums haben sich bis dato 10.000 Menschen für die blaue Aufenthaltskarte registriert. De Zusendung des Titels erfolge dann "innerhalb weniger Tage", heißt es aus dem Innenministerium.
Zweiter Kurstag
Diese Wartezeit verbringen 15 Frauen an diesem Nachmittag im dritten Stock des Bezirksmuseums. Soeben waren die Zahlen dran, nun werden Standardsätze nochmals aufgefrischt, mit einer Vorstellrunde: "Ich heiße Oxana. Ich bin aus Kiew. Woher bist du?"
Oxana, die in ihrer Heimat im Marketing arbeitete, ist erst vergangene Woche mit ihren zwei Kindern und ihrer Freundin geflohen. "Wenn du rausgehst und siehst, wie sich deine Welt verändert hat und überall Männer in Uniformen, Waffen und zerstörte Häuser sind, dann bricht es dir das Herz", sagt Oxana nach dem Kurs. In Wien leben sie vorerst bei der Tochter ihrer Freundin, die hier studiert. Ob ihr Haus in Kiew noch steht, wisse sie nicht. "Wir hatten alles, und jetzt haben wir nichts." Wenn sie keine Kinder hätte, sagt Oxana, wäre sie in der Ukraine geblieben.
Beschäftigung und Ablenkung
Seit Oxana geflohen ist, verbringt sie keine ruhige Nacht. "Ich wache mindestens fünfmal auf und schreibe meinem Mann und meinen Eltern." Ihr Mann befinde sich derzeit in Lwiw, ihre Eltern im Zentrum der Ukraine.
Wie das Erlernen einer neuen Sprache in so einem Zustand möglich ist? "Wir versuchen uns einfach zu beschäftigen." Irgendetwas müsse sie ja tun, denn "nur zu Hause sitzen macht uns depressiv". Für ihre Kinder, die online unterrichtet werden, sucht sie nun eine Schule, "dann müssen sie nicht die ganze Zeit bei den Mamas zu Hause sitzen", lacht Oxana, die auf ihren Vertriebenenausweis wartet, um arbeiten zu können. Sie bete, dass endlich gute Nachrichten aus der Ukraine kommen.
Diese Hoffnung scheint die Frauen im Alseum zu einen: "Alle hoffen, dass sie bald zurückkehren", erzählt Natalia Lagureva. Gleichzeitig wollen die Frauen wissen, wo sie sich einbringen können. Das Deutschlernen erfülle daher den Zweck, sich abzulenken – und dann natürlich einen Job zu finden. Freiwillige für die Kurse seien deshalb nicht nur willkommen, "wir brauchen unbedingt mehr". (Elisa Tomaselli, 23.3.2022)