Die Politische Bildnerin Miriam Steinkellner beschreibt im Gastblog, wie Männlichkeitsbilder weitergegeben werden.

Männer weinen nicht. Wer ein tapferer Junge und später ein richtiger Mann sein soll, muss eigene Schwäche abwehren. Dies kann Ideologien attraktiv erscheinen lassen, in denen es keine Widersprüche gibt. Weder im eigenen Empfinden noch in der Welt.

Männerbilder und Männlichkeit unterliegen einem kulturellen Wandel. Anders gesagt: Was einst als besonders männlich galt, kann heute als veraltet erscheinen. Auch wenn ein soldatenhaftes Auftreten von Männern in der Öffentlichkeit zu weiten Teilen nicht mehr en vogue ist, wirken Anforderungen an Männer, kontrolliert und kontrollierend zu sein, fort.

Der Prozess der Mann-Werdung…

Als Babys und Kinder sind wir von elterlichen Bezugspersonen abhängig. Sie versorgen uns nicht nur mit Nahrung, Kleidung und Geborgenheit, sondern geben auch gesellschaftliche Normen, Werte und Erwartungen an uns weiter. Ein Kind wird je nachdem, ob es als Junge oder Mädchen erzogen wird, für unterschiedliches Verhalten gelobt oder sanktioniert. Jungen werden mit zunehmendem Alter für das Zeigen angstbesetzter Emotionen gemaßregelt. Denn „starke Buben weinen nicht“. Jungen lernen somit, dass sie für das Unterdrücken von Schwäche und Unsicherheit Anerkennung bekommen.

Hinzu kommt, dass in vielen Familien Frauen – meist zusätzlich zu ihrer Erwerbsarbeit – für die emotionale Sorgearbeit zuständig sind. Sie trösten, beruhigen und streicheln in Krisensituationen, während Väter häufig „emotional abwesend“ sind. Beispielsweise aufgrund von Überforderung, weil die Angst der Söhne Väter an ihre eigene verdrängte Angst erinnert. Während der Vater von Kindern als in-die-Welt-hinausgehende Person erlebt wird, repräsentiert die Mutter die „innere Welt“ der Emotionen und des Gehalten-Werdens. Männlichkeit wird für Jungen somit nicht mit Fürsorge und Sensibilität in Zusammenhang gebracht. Ganz im Gegenteil lernen sie: „Papa interessiert sich nicht für mich, wenn ich traurig bin und Angst habe. Also darf ich nicht traurig sein, wenn ich so sein will wie er.“ Somit wiederholt sich in der Erziehung der Kinder eine geschlechtliche Polarität: Durch Abwertung angstbesetzter Gefühle einerseits und die Verknüpfung von Fürsorglichkeit mit der Mutter und Weiblichkeit andererseits.

Nicht nur durch die eigenen Eltern werden Bilder von Männlichkeit an Kinder herangetragen, in denen Männer souverän, autonom und konkurrenzbetont erscheinen. Auch transportiert durch den furchtlosen Actionhelden, den draufgängerischen Aufreißer oder den erfolgreichen Businessmann auf der Leinwand lernen Jungs, dass sich „echte“ Männer – gegen die Konkurrenz anderer – durchsetzen.

"Echte" Männer setzen sich gegen andere durch.
Foto: istockphoto.com/de/portfolio/4PM_production

…und seine möglichen Folgen

In jugendlichen Krisenmomenten können solche Männlichkeitsbilder als Aufwertung dienen. Etwa wenn es darum geht, zu einer neuen, erwachsenen Identität zu kommen, bei Ausgrenzungserfahrungen in der Klasse oder Problemen in der Familie. Dabei treten verunsichernde Fragen auf: „Wer bin ich? Wer werde ich sein? Bin ich klein und unbedeutend? Bin ich schlechter als die anderen?“ Sich mit einem Bild zu identifizieren, in dem Männer stark und furchtlos sind, kann dabei helfen, eigene Verunsicherungen und Ängste abzuwehren und „nach außen“, zum Beispiel auf Frauen, zu verschieben. Damit bin nicht ich selbst ängstlich, sondern die anderen.

Rechtsextreme Ideologie bietet eine zugespitzte Variante dieser Männlichkeitsbilder. Hier haben Geschlechtervorstellungen, in denen es für Männer und Frauen eindeutige Plätze und Aufgaben in der Gesellschaft gibt, unhinterfragte Gültigkeit. Egal, ob durch intellektuelle oder körperliche Überlegenheit: Männer haben in rechtsextremer Ideologie einen Anspruch, zu dominieren. Auf der anderen Seite sollen sich Frauen als Mütter, Ehefrauen, Erzieherinnen und Pflegerinnen für das Wohl ihres unmittelbaren Umfeldes aufopfern. Auch rechtsextreme Männer sollen sich für „Volk und Vaterland“ aufopfern. Dabei stehe ihnen aber der Platz an der Spitze der Gesellschaft und Familie zu. Härte, Disziplinierung und Durchsetzungsfähigkeit sind dabei jene soldatenhaften Eigenschaften, die mit Männlichkeit in Zusammenhang gebracht werden. Als jugendlicher oder auch erwachsener Mann, bietet die Identifikation mit diesen Eigenschaften die Möglichkeit, sich passive Anteile in der eigenen Identität nicht eingestehen zu müssen. Anstatt überfordernde gesellschaftliche und geschlechtliche Anforderungen als Problem zu erkennen, werden diese überkompensiert – der „(r)echte Mann“ versucht, ihnen mit aller Härte zu entsprechen.

Rechtsextremismus als Männer- und Jugendproblem?

Über Musik, Diskussionen in Internet-Foren oder mit rechtsaffinen bis rechtsextremen Personen aus dem eigenen Umfeld, kommen die meisten Jugendlichen mit dieser Ideologie in Berührung. Trotz der Tendenz von Jugendlichen, sich in der Phase der Identitätsfindung besonders für vereinfachte Blicke auf Gesellschaft zu begeistern, kann auch eine spätere Ideologisierung und Verfestigung von menschenverachtenden Einstellungen erfolgen. Rechtsextreme Gewalt drückt sich, je nach Alter und Milieu, unterschiedlich aus. Nicht nur der kampfbereite jugendliche Skinhead, sondern auch der gebildete Familienvater und freundliche Großvater üben ideologische Gewalt aus, wenn sie menschenverachtende Parolen in ihrem Umfeld verbreiten.

Weder die Dominanz von Männern in der extremen Rechten, noch der hier aufgezeigte Zusammenhang von Männlichkeit und Rechtsextremismus dürfen allerdings darüber hinwegtäuschen, dass ebenso Frauen an der Abwertung anderer teilhaben. Auch rechtsextreme Mädchen und Frauen betrachten „ihr Volk“ und „ihre Nation“, als Teil einer „überlegenen Kultur“. Dieses Überlegenheitsdenken verteidigt die ungleiche Verteilung von Macht und Reichtum global, von der weiße Frauen ähnlich wie Männer profitieren.

Der gesellschaftliche Zwang, zu einer eindeutigen Geschlechtsidentität zu kommen, wirkt auf alle Menschen. Im Prozess der Mann-Werdung wird in besonderer Art die Unterdrückung passiver Anteile und angstbesetzter Emotionen gefordert. Bereits in dieser „normalen“ männlichen Sozialisation ist ihre Zuspitzung angelegt: im Bild eines Mannes, der Unsicherheit und Schwäche nur im „verweichlichten“ Anderen und nicht in sich selbst erkennen und zulassen kann. Entgegen dieser potenziell gewaltvollen Entsprechung männlicher Anforderungen gilt es, diese zu kritisieren und erst gar nicht zu versuchen, ihnen zu entsprechen: ein Prozess, der nur durch gesellschaftliche Veränderung gelingen, aber mit der eigenen Selbstreflexion beginnen kann. (Miriam Steinkellner, 29.3.2022)

Miriam Steinkellner arbeitet in einem Jugendzentrum für Mädchen* und in der Politischen Bildung an Schulen. Sie ist Mitglied von FemPI und dem Netzwerk für Demokratie und Courage und denkt viel nach über Geschlecht, Psychoanalyse und Pädagogik.

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