Dass die Österreicher im Fall eines Angriffs ihr Land verteidigen, davon ist Verteidigungsministerin Tanner weniger überzeugt.

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Seit dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine wird die Neutralität Österreichs immer wieder zur Debatte gestellt. Eine Diskussion darüber braucht es nach Ansicht von Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) nicht. Gleichzeitig räumt sie in einem APA-Interview ein, die Ausgestaltung der Neutralität habe sich durch den EU-Beitritt sowie durch das Engagement in der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik "schon verändert".

Nicht der Zeitpunkt

Die Debatte über eine "verfassungsrechtliche Gegebenheit" brauche es jetzt nicht, betonte Tanner. "Wo man aber nicht schweigen darf, ist, wenn das humanitäre Völkerrecht verletzt wird." Dafür fand in ihren Augen der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell, der von russischen Kriegsverbrechen in der Ukraine sprach, klare Worte.

Österreich beteilige sich an 16 friedenserhaltenden Missionen. Dabei habe das Bundesheer auch teilweise das Kommando übernommen. "Da sieht man ja schon, dass das es eine Veränderung erfahren hat", ergänzte die Verteidigungsministerin mit Blick auf die Neutralität. Österreich werde auch an der neuen schnellen militärischen EU-Eingreiftruppe teilnehmen, die auf die bisher nie eingesetzten EU-Battlegroups aufbauen.

Russische Invasion

"Der 24. Februar ist nicht nur für uns, sondern für ganz Europa und darüber hinaus tatsächlich eine Zeitenwende, wo man sich insbesondere mit der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungsarchitektur sehr intensiv beschäftigen muss", betonte Tanner. Wichtig sei, dass die EU "mit einer Stimme" spreche. Die Erhöhung des EU-Verteidigungsbudgets der Mitgliedsstaaten, ihre einzelnen Fähigkeiten und gemeinsame Beschaffungen stimmen Tanner optimistisch.

Aber kann sich Österreich aktuell selbst vor einem Angriff schützen? "Falls das notwendig sein sollte, müssten wir das selbstverständlich tun, das ist ja unsere Kernaufgabe", antwortete Tanner. Die Frage, wie lange Österreich in so einem Fall durchhalten würde, müsste man allerdings einem Militärexperten stellen. Wenig überzeugt zeigte sie sich über die Motivation der Österreicher, ihr Land zu verteidigen. "Da gibt es schon einen Unterschied zwischen der Ukraine und uns", sagte Tanner mit Verweis auf Umfragen.

Man müsse den Österreicherinnen und Österreichern auch die Sorge vor einem weiter eskalierenden Krieg nehmen, betonte die Verteidigungsministerin. "Wenn man sich die Entwicklungen anschaut, dann sieht man schon, die Nato ist umsichtig und bedacht", fügte sie hinzu. Die Kriegsparteien seien Russland, die Ukraine und Belarus – und "Gott sei Dank" nicht das westliche Militärbündnis.

Gegen EU-Armee

Mit einer EU-Armee kann Tanner wenig anfangen. "Das sehe ich zum jetzigen Zeitpunkt überhaupt nicht." Sie wisse nicht, "was unter dem Begriff gemeint ist". Dass Österreich sein Bundesheer in eine zu erstellende Armee einbringe sei auf jeden Fall "unvorstellbar".

Was die schnelle Eingreiftruppe anbelangt, so gebe es für das Bundesheer viele Einsatzmöglichkeiten. Wann genau Österreich teilnimmt, sei noch nicht klar. Die schnelle Eingreiftruppe ist Teil des sogenannten Strategischen Kompasses, eine Art sicherheits- und verteidigungspolitische Doktrin für die EU, auf den sich die Verteidigungsminister am Montag einigten. Damit soll unter anderem festgelegt werden, welche Fähigkeiten die EU künftig im Bereich des Krisenmanagements haben muss.

Ukraine und Mali

Österreich prüfe unterdessen auch weitere humanitäre Hilfe für die Ukraine. Bisher wurden unter anderem medizinische Artikel, Helme und Schutzwesten zum Schutz der Zivilbevölkerung in das von Russland angegriffene Land geliefert. Es seien jetzt auch Lebensmittellieferungen im Gespräch, ergänzte die Verteidigungsministerin.

Was die EU-Trainingsmission EUTM in dem Krisenstaat Mali betrifft, zeigte sich Tanner abwartend. "Ich bin dafür, dass man die Situation in Mali wirklich sehr genau beobachtet", betonte die Verteidigungsministerin. Nachdem Frankreich angekündigt hat, seinen militärischen Anti-Terror-Einsatz in dem westafrikanischen Land zu beenden, prüft die EU, wie es mit der derzeit vom österreichischen Brigadier Christian Riener geführten EUTM weitergeht. Für viel Kritik im Westen sorgte unter anderem, dass mittlerweile russische Söldner – die sogenannte "Wagner"-Gruppe – und Militärs in Mali agieren. (APA, 23.3.2022)