
Das Offline-Reader-Projekt Kiwix verzeichnet derzeit starke Nachfrage aus Russland.
Mit wenigen Ausnahmen gibt es in der russischen Medienlandschaft nur noch Rundfunk und Zeitungen, die entweder direkt von Vertrauten der Putin-Regierung kontrolliert werden oder anderweitig auf Kreml-Linie gebracht wurden. Mehrere unabhängige Medien wurden in den vergangenen 20 Jahren entweder von den Behörden verboten oder ihnen durch Strafen und Gesetzesänderungen die Existenzgrundlage entzogen.
Der Informationsblackout hat sich seit dem Beginn der russischen Invasion in der Ukraine beschleunigt. Wer Kritik an dem Krieg übt oder diesen gar so nennt, dem drohen bis zu 15 Jahre Haft. Das entsprechende Gesetz soll demnächst zudem ausgeweitet werden. Gleichzeitig erschwert der Kreml den Onlinezugang zu Informationen abseits seiner eigenen Propagandamaschinerie. Nachdem der Betreiber Meta grobe Beschimpfungen in Richtung russischer Soldaten und Politiker für zulässig erklärt hatte, wurden zuletzt dessen Plattformen Facebook und Instagram für "extremistisch" erklärt. Mit einem Einspruch dagegen ist Meta vor Gericht abgeblitzt.
Auch einem Urgestein der Information im Internet droht in Russland nun eine Sperre. Weil die Betreiber der Wikipedia sich weigern, den russischsprachigen Artikel über die "Russische Invasion in der Ukraine (2022)" zu entfernen oder an die Sprachregelungen des Regimes anzupassen, hat die Medienbehörde Roskomnadsor bereits mit weiteren Schritten gedroht. Als Folge dessen versuchen nun zahlreiche Russen, die Inhalte der kollaborativen Online-Enzyklopädie herunterzuladen, berichtet Netzpolitik.org.
Urgestein
Die Wikipedia erfüllt viele Zwecke. Sie ermöglicht es, schnell Informationen zu einem Thema nachzuschlagen, und bietet oft einen Ausgangspunkt für Recherchen, auch weil die Autoren die Artikel häufig mit zahlreichen seriösen Quellen untermauern. Während durch die Art ihres Betriebs eine gewisse Anfälligkeit für Manipulationen gegeben ist, ist die Qualität der Beiträge oft besser als der Ruf der Plattform.
Bereits 2007 verglich etwa der Wissenschaftliche Informationsdienst der Stadt Köln im Auftrag des "Stern" die Wikipedia mit der Onlineversion des renommierten Brockhaus. In 43 von 50 Artikeln aus zehn Themengebieten gewann die freie Netz-Enzyklopädie damals den Vergleich. Laut dem Traffic-Analysedienst Alexa ist die Wikipedia die vierzehntbeliebteste Seite im Internet.
Massiver Ansturm auf Tool und Torrents
Zurück zu Russland. Die Entwickler des "Offline-Readers" Kiwix melden einen Nutzeransturm aus dem Land. Kiwix ermöglicht es, Webseiten über eine App herunterzuladen, um sie auch ohne Internetverbindung lesen zu können. Das kostenlose und quelloffene Programm, das für Windows, macOS, Linux, iOS, Android und als Browsererweiterung kostenlos zur Verfügung steht, wird auch von Freiwilligen eingesetzt, um Nachrichten und Informationen auf USB-Sticks ins abgeschlossene Nordkorea einzuschleusen. Auch die Wikipedia lässt sich direkt herunterladen.
Im März sei Kiwix von russischen Usern bereits fünfmal häufiger genutzt worden als noch im Vormonat, geben die Betreiber zu Protokoll. Downloads aus Russland weisen aktuell einen Trafficanteil von 42 Prozent auf. Der von Kiwix bereitgestellte Torrent der Wikipedia im Umfang von 29 GB verzeichnet eine rund 40-fache Steigerung der Nachfrage. (gpi, 23.3.2022)