Ashleigh "Ash" Barty setzt Prioritäten. Statt mit den Tennisbällen will sich die Australierin in Zukunft mit ihrer Familie und dem Golfschläger beschäftigen.

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Schett: "Ashleigh sieht sich als Mensch, der ein bisschen besser Tennis spielen kann."

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Am 29. Jänner hob Ashleigh Barty den Daphne Akhurst Memorial Cup in Richtung Himmel von Melbourne. Die 25-Jährige hatte die Australian Open in beeindruckender Manier gewonnen. Es war ihr dritter Grand-Slam-Titel. Keine zwei Monate später erklärt die Australierin als Nummer eins der Welt ihren Rücktritt. Die ehemalige österreichische Tennisspielerin Barbara Schett kennt die Hintergründe.

STANDARD: Für Außenstehende kommt der Rücktritt aus dem Nichts. Sie kennen Ashleigh Barty besser, sind Sie überrascht?

Schett: Nein. Ich dachte allerdings, sie würde erst mit Ende des Jahres aufhören. Es war immer klar, dass Ashleigh keine lange Karriere haben wird. Sie mag den Lifestyle als Tennisspielerin gar nicht. Sie liebt den Sport, das Drumherum hat sie immer gehasst.

STANDARD: Zum Drumherum gehören auch Ruhm und viel Geld. Nicht so schlecht, oder?

Schett: Beides hat für sie nie eine Rolle gespielt. Sie steht nicht gerne im Mittelpunkt, sie misst den Millionen keine besondere Bedeutung bei. Im Grunde verbringt sie lieber Zeit mit der Familie, auf dem Golfplatz und mit den Hunden am Strand. Das macht sie glücklicher als Siege.

STANDARD: Ist es nicht erstaunlich, dass eine Spielerin so viele Erfolge feiert, obwohl sie mit dem ganzen Zirkus nichts anfangen kann?

Schett: Ich finde das großartig. Sie hat sich nie besonders wichtig genommen. Ashleigh sieht sich als Mensch, der ein bisschen besser Tennis spielen kann. Sie hängt mit den Menschen ab, die ihr am Herzen liegen, nicht mit irgendwelchen Celebritys. Für mich ist das ein Zeichen großer Reife.

STANDARD: 2014 nahm sich Barty eine fast zweijährige Auszeit vom Tennis und spielte in der Cricket-Liga. Wie ist so ein Werdegang für die Nummer eins der Welt zu erklären?

Schett: Es ging ihr damals nicht gut, sie fühlte sich depressiv. In der Pause hat sie einiges über sich selbst gelernt. Sie hat damals aufgehört, sich über den Sport und den Erfolg zu definieren. Ihr Wohlbefinden sollte nicht mehr vom Abschneiden auf dem Tennisplatz abhängen.

STANDARD: Hatte sie mit dem Australian-Open-Triumph im Jänner alle Ziele erreicht?

Schett: Eigentlich war ihr großes Ziel Wimbledon, und dort hat sie 2021 gewonnen. Damals gingen ihr bereits Gedanken an einen Rücktritt durch den Kopf. Die Australian Open hat sie noch mitgenommen. Es ist etwas Spezielles, im eigenen Land zu gewinnen.

STANDARD: Sie hat Melbourne ohne Satzverlust gewonnen. War sie da am Höhepunkt ihres Schaffens?

Schett: Die Art und Weise, wie sie dieses Turnier gewonnen hat, war unfassbar. Ashleigh war so relaxt, als würde es um nichts gehen. Sie war in einem perfekten mentalen Zustand. Als sie den Pokal in die Höhe gehoben hat, ist ihr Australien zu Füßen gelegen.

STANDARD: Es war der erste Titelgewinn einer Australierin seit 44 Jahren in Melbourne. Wie ist sie mit diesem Erfolg umgegangen?

Schett: Seit den Australian Open hat man absolut nichts von ihr gehört. Keine Interviews, keine PR-Termine, gar nichts. Sie ist abgetaucht, hat alle Turniere abgesagt. Vermutlich war der Entschluss zum Rücktritt für sie dann relativ eindeutig.

STANDARD: Es wird also keinen Rücktritt vom Rücktritt geben?

Schett: Nein, sie kommt nicht mehr zurück. Das war es. Ich habe heute mit ihr hin und her geschrieben. Sie hat Pläne, freut sich auf die Zukunft. Sie sagt, der Zeitpunkt für den Abgang könnte nicht besser sein. Wie geil ist es, als Nummer eins und regierende Australian-Open-Siegerin aufzuhören?

STANDARD: Die wenigsten Sportlerinnen hören am Höhepunkt ihrer Karriere auf. Warum ist das so schwierig?

Schett: Weil du immer glaubst, es ist noch mehr drinnen. Du steckst dir immer wieder neue Ziele. Man weiß erst im Nachhinein, wann der Höhepunkt war. Die meisten verpassen den perfekten Zeitpunkt. Aber es gibt Gegenbeispiele: Flavia Pennetta hat 2015 nach ihrem Sieg bei den US Open aufgehört.

STANDARD: Wie wurde der Rücktritt von der australischen Öffentlichkeit aufgenommen?

Schett: Der Rücktritt ist natürlich das große Thema, die Menschen sind etwas traurig. Sie lieben Ash, weil sie dieses Bodenständige verkörpert. Man würde gerne mit ihr ins nächste Pub gehen. Ashleigh wiederum trinkt ihren Kaffee lieber allein, sie möchte nicht erkannt werden, sie lebt lieber unter dem Radar.

STANDARD: Trifft die Entscheidung unter den Fans auf Verständnis?

Schett: Die Menschen hier sind relativ entspannt. In Österreich oder Deutschland würde man sich wahrscheinlich fragen, ob die Frau den Verstand verloren hat. In Australien wird man sie immer positiv sehen. Ashleigh hat für große Erfolge gesorgt. Und man dankt ihr dafür.

STANDARD: Wie groß ist der Verlust für das Frauentennis?

Schett: Sehr groß. Ihr Spielstil, ihr Powertennis war auf der Tour einzigartig. Dazu viel Finesse, viel Variation, ein guter Stopp, ein feiner Rückhand-Slice. Es war eine Wohltat, ihr zuzusehen. Auch ihre Gelassenheit wird fehlen. Aber es werden andere kommen, es gibt viele Persönlichkeiten. Iga Świątek wird die nächste Nummer eins. Es geht weiter. Es ging auch ohne Boris Becker, Stefan Edberg, Steffi Graf oder Chris Evert weiter. Das ist der Lauf des Lebens. (Philip Bauer, 23.3.2022)