In Brüssel demonstrierten zahlreiche Menschen mit einem Peace-Zeichen für ein Ölembargo gegen Russland.

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US-Präsident Joe Biden war bereits auf dem Weg in die belgische Hauptstadt, als Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg die Aufstockung verkündete: Die Nato wird ihre Truppenpräsenz in Osteuropa deutlich ausbauen. Die 2014 nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim durch Russland in den drei baltischen Republiken Estland, Lettland und Litauen sowie Polen stationierten vier Kampfeinheiten werden verdoppelt. Als neue Standorte sind die Slowakei, Ungarn, Rumänien und Bulgarien geplant.

Stoltenberg gab dies am Mittwoch im Vorfeld des Nato-Gipfeltreffens auf Ebene der Staats- und Regierungschefs am Donnerstag in Brüssel bekannt, an dem auch Biden teilnehmen wird. Danach wird der US-Präsident auch beim EU-Gipfel und bei einem Sondergipfel der G7-Staaten erwartet, der wichtigsten westlichen Industriestaaten, unter deutschem Vorsitz.

Gemeinsame Abstimmung

Bei allen drei Treffen wird der Krieg Russlands gegen die Ukraine im Zentrum stehen. Biden hat das Ziel, den Zusammenhalt der westlichen Verbündeten weiter zu festigen, die Sanktionen zu verschärfen beziehungsweise aufeinander abzustimmen, wie der deutsche Kanzler Olaf Scholz bei einer Rede im Bundestag bestätigte. 21 der 27 EU-Staaten sind gleichzeitig Mitglied der Nato.

Dem transatlantischen Bündnis gehören 30 Länder an, neben den USA auch Kanada und Großbritannien, das 2020 aus der EU austrat. Die militärischen Optionen und Vorbereitungen sollen eng miteinander abgestimmt werden. Beim EU-Gipfel in Versailles vor zwei Wochen wurde ohnehin beschlossen, die EU-Militärhilfe an Kiew – konkret: die Lieferung von Defensivwaffen – im Umfang von 500 Millionen auf eine Milliarde Euro aufzustocken. Die bündnisfreien und neutralen EU-Staaten wie Österreich ziehen da mit.

Von Ostsee bis Schwarzes Meer

Per Videokonferenz soll der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj zugeschaltet werden. Er fordert die Einrichtung einer Flugverbotszone durch die Nato. Ein möglicher Beitritt seines Landes, den der russische Präsident Wladimir Putin als Vorwand für seinen Angriffskrieg nahm, wird kein Thema sein.

Was nun die Präsenz der Nato an der Ostflanke betrifft, sprach Stoltenberg von einer "bedeutenden Vergrößerung". Rein zahlenmäßig wird die Verdopplung der Truppen in Osteuropa nicht riesig sein. Die bestehenden vier Battlegroups haben nur Bataillonsstärke von je 1000 Soldatinnen und Soldaten. Sie sind multinational zusammengesetzt. Insgesamt wären nach dem Beschluss der Verdopplung und neuer Standorte also 8000 Nato-Soldaten in Osteuropa stationiert, von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer. Zudem wird laut dem Generalsekretär auch die Präsenz von Luft- und Seestreitkräften erhöht.

An sich hält die Nato keine ständigen Truppen in den ehemaligen Staaten des Warschauer Pakts. Nach der Eskalation des Ukraine-Konflikts im Jahr 2014 wurde das geändert, sollte Russland damit demonstriert werden, dass die Nato zur Stelle sei, sollte der Kreml die "rote Linie" auf Nato-Gebiet überschreiten. Der US-Präsident betonte seit Beginn des Krieges vor vier Wochen, dass das Bündnis unter Führung der USA heute "jeden Zentimeter" seines Territoriums verteidigen werde.

Kein Militäreinsatz

Aber auch der Dreifachgipfel wird nichts daran ändern, dass die Nato-Staaten nicht daran denken, militärisch in der Ukraine einzugreifen. Das machte Kanzler Scholz im deutschen Bundestag deutlich: "Geschlossen wie nie werden wir in den kommenden Monaten die Verteidigungsfähigkeit der Nato stärken. Ich bin Präsident Biden sehr dankbar, dass er das mit seiner Reise unterstreicht." Aber: "Die Waffen müssen schweigen, und zwar sofort!"

Scholz versicherte Selenskyj, dass "die Ukraine sich auf unsere Hilfe verlassen kann". Die Sanktionen gegen Russland würden wirken. Sie seien erst der Anfang. Doch er machte auch deutlich, wo für Deutschland die roten Linien sind: Er höre natürlich die Forderungen nach einer Flugverbotszone über der Ukraine und einem Eingreifen der Nato, jedoch. "So schwer es fällt, wir werden dem nicht nachgeben." Seit 1945 habe es keine militärische Konfrontation zwischen der Nato und Russland gegeben, sagte der Kanzler: "Dabei muss es bleiben. Die Nato wird nicht Kriegspartei. Da sind wir uns mit unseren europäischen Verbündeten und amerikanischen Partnern sehr einig."

Die Westmächte warnen Putin davor, biologische oder chemische Waffen im Städtekampf in der Ukraine einzusetzen. Das Weiße Haus befürchtet das ganz konkret. Stoltenberg spricht von der "schwerwiegendsten Bedrohung der euroatlantischen Sicherheit seit Jahrzehnten". Die Nato warnt Moskau eindringlich vor dem Einsatz nuklearer Waffen. Dem Kreml müsse klar sein, dass er einen Atomkrieg niemals gewinnen könne.

EU zögert bei Sanktionen

Beim EU-Gipfel werden sich Gespräche hauptsächlich darum drehen, wie man bei den Wirtschaftssanktionen weitermacht. Der US-Präsident drängt auf harte Maßnahmen auch im Bereich von Öl und Gas, was Großbritannien unterstützt. Ganz auf dieser harten Linie sind auch osteuropäische EU-Staaten mit Polen an der Spitze.

Auf der Bremse stehen Deutschland und die Niederlande, die bei einem sofortigen Ausstieg beim Bezug von russischem Gas schweren Schaden für die Wirtschaft, eine Rezession in Europa, befürchten. Scholz versprach in Berlin: "Wir werden diese Abhängigkeit beenden, so schnell es geht." Aber von heute auf morgen könne Deutschland nicht auf russisches Gas und Öl verzichten. Hier liegt er auf einer Linie mit dem deutschen Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne). Dieser hat Putin am Mittwoch einen Bruch von Verträgen vorgeworfen – wegen der Ankündigung, dass Gaslieferungen künftig in Rubel bezahlt werden müssen. Auf der Suche nach einer Alternative war Habeck gerade in Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Deutschland will künftig von dort Flüssiggas und Wasserstoff beziehen.

Auch im Entwurf der EU-Gipfel-Erklärung ist nur die Rede davon, die "Abhängigkeit von russischen Gas-, Öl- und Kohleimporten so schnell wie möglich auslaufen zu lassen". Es wird betont, dass die EU "bereit bleibt, rasch mit weiteren koordinierten Sanktionen weiterzumachen". Aber das lässt bereits durchklingen, dass es in den EU-Staaten bereits eine gewisse Müdigkeit gibt, was das Wirtschaftsembargo betrifft. Manche Staaten plädieren dafür, nun erst einmal die Wirkung bisher verhängter Strafmaßnahmen zu prüfen. (Thomas Mayer, Birgit Baumann aus Berlin, 24.3.2022)