"Schwarzmalerei ist der Versuch, den schlimmstmöglichen Fall in Betracht zu ziehen und sich darauf vorzubereiten": die deutsche Kulturwissenschafterin Eva Horn.

Helmut Grünbichler

Im Jahr 2014 annektierte Wladimir Putin die Halbinsel Krim. Nach einem Schockmoment und nur zögerlichen Sanktionen ging der Westen jedoch bald wieder auf Tuchfühlung mit dem russischen Regime. 2014 erschien auch das Buch Zukunft als Katastrophe (Fischer-Verlag) von Eva Horn. Die deutsche Kulturwissenschafterin, die an der Uni Wien unterrichtet, breitete darin ihre Theorie aus, wonach dystopische Katastrophenszenarien in der Kulturgeschichte zwar sehr präsent seien, in der politischen Sphäre aber kaum korrigierendes Handeln daraus entstünde. Mit Blick auf den Klimawandel, Pandemie und eben auch Putin sagt sie jetzt: Uns täte ein bisschen mehr Pessimismus gut.

STANDARD: Wir erleben in den letzten Jahren Wirtschaftskrisen, die Klimakrise, eine Pandemie und jetzt auch noch Krieg in Europa. Wie soll uns denn da ausgerechnet die Schwarzmalerei helfen können?

Horn: Schwarzmalerei ist ein Versuch, mögliche Zukünfte zu antizipieren und dabei eher vom schlimmsten möglichen Fall auszugehen. Das bedeutet nicht, dass diese Zukünfte dann auch eintreten werden bzw. dass man sich dem nun widerstandslos ergibt. Es bedeutet, den schlimmstmöglichen Fall mit in Betracht zu ziehen und sich darauf vorzubereiten.

STANDARD: Worauf zum Beispiel?

Horn: Denken Sie an Corona. Die WHO hat seit etwa zehn Jahren davor gewarnt, dass es eine große Pandemie geben könnte. Wir sind ein paarmal knapp daran vorbeigeschrammt, mit Sars, mit der Vogelgrippe und Ebola. Und trotzdem war niemand, auch nicht Europa, vorbereitet auf so einen Fall. Jetzt der Ukraine-Krieg: Der Westen hätte all die Jahre Putin gegenüber doch ein gutes Stück pessimistischer sein sollen. Dann hätten wir uns nicht so abhängig von russischem Gas gemacht. Man sollte sich also vielleicht ein bisschen mehr am Worst-Case-Szenario orientieren. Und nicht immer sagen: Das wird schon irgendwie alles gutgehen.

STANDARD: Es wird einem aber heute permanent positives Denken empfohlen. Die Ratgeberliteratur ist voll davon. Auch die Medizin empfiehlt den Optimismus. Liegen die alle falsch?

Horn: Ich bin keine Psychologin und weiß nicht, was eine gute Therapeutin dazu sagen würde. Aber es gibt in der Psychologie das Konzept des defensiven Pessimismus. Es bedeutet, dass man sich mental eher auf eine schwierige Situation oder ein schlechtes Ergebnis vorbereitet. Ich habe, glaube ich, alle Erfolge dadurch errungen, dass ich gedacht habe, das geht garantiert schief. Umso besser war ich dann aber vorbereitet.

STANDARD: Wenn man vom Schlimmsten ausgeht, kann es auch immer nur besser werden.

Horn: Ja, und Pessimisten wollen oft gar nicht recht haben. Ein pragmatischer Pessimist will möglichst Lügen gestraft werden. Es gibt einerseits die schädliche, selbsterfüllende Prophezeiung, es gibt aber auch die "self-defeating prophecy". Das bedeutet, vor etwas zu warnen, genau damit es nicht eintrifft. Das nenne ich Zukunftsgestaltung.

STANDARD: Wird nicht in der öffentlichen Debatte ohnehin dauernd Schwarzmalerei betrieben?

Horn: Ich habe den Eindruck, dass komplexe Probleme in der Politik eher nicht besprochen werden. In der Politik wird so getan, als wären die Lösungen einfach, und alles, was dem entgegensteht, ist einfach Dummheit oder Boshaftigkeit. Richtig komplizierte Probleme, für die es gar keine unproblematische Lösung gibt, werden eher unter den Teppich gekehrt. Schwarzmalerei besteht darin, die Kompliziertheit eines Problems ernst zu nehmen. Das heißt zu sagen: Es gibt jetzt keine supergute Lösung, sondern jede mögliche Lösung hat einen Preis. Und ich begründe in aller Ehrlichkeit, warum dieser Preis gezahlt werden muss.

STANDARD: Die Kulturgeschichte ist voll von dystopischen Erzählungen. Stellt die Kultur diese Fragen?

Horn: Dystopien in der Kultur sind eine Art Gegenerzählung zur optimistischen Fortschrittsgläubigkeit seit der Aufklärung. Es geht meist aber nur darum, wie man es überlebt, dass alles zugrunde geht. Bei Schwarzmalerei hingegen geht es darum, sich Gedanken zur Zukunft zu machen und ins Handeln zu kommen, bevor es zu spät ist. Greta Thunberg ist dafür ein gutes Beispiel.

STANDARD: Obwohl Pessimistin, richten Sie sich jetzt also doch nicht im Atombunker ein?

Horn: Nein, denn wenn ich immer nur denke, das Haus bricht gleich zusammen, dann kann ich nicht mehr handeln. Ich wünsche mir aber mehr Sicherheitsorientierung und Zukunftsplanung, nicht nur in Bezug auf Katastrophenschutz. Wir reagieren immer zu sehr aus der Hüfte heraus, nach dem Motto: Damit konnte ja keiner rechnen! Aber viele Probleme – auch Covid oder die Finanzkrise 2008 – konnte man eigentlich vorhersehen, und man hätte vorher handeln müssen. (Stefan Weiss, 24.3.2022)