Wolodymyr Selenskyj hielt eine eindringliche Rede vor den Abgeordneten des Deutschen Bundestags.

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"Ich wende mich an Sie, während Russland unsere Städte bombardiert und dabei alles zerstört, was in der Ukraine existiert. Alles. Wohnhäuser, Krankenhäuser, Schulen, Kirchen. Alles. Mit Raketen, Fliegerbomben, Raketenartillerie. Es ist schwer für uns, ohne die Hilfe der Welt zu bestehen."

Es waren ruhig gesetzte, drastische Worte, die der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj letzte Woche per Videozuschaltung an die Abgeordneten im deutschen Bundestag richtete. Zuvor hatte Selenskyj schon im US-Kongress, im Europaparlament, im italienischen Parlament und kürzlich in der israelischen Knesset leidenschaftlich um weitere allumfassende Hilfe gebeten. Als Zeichen der Solidarität mit der Ukraine sollte nun Selenskyj auch im österreichischen Parlament eine Rede halten. Darum entspinnt sich aber gerade eine österreichische Posse.

Die Neos hatten einen Auftritt Selenskyjs angeregt. Bei einer Präsidiale im Parlament war die FPÖ umgehend und strikt dagegen, die SPÖ zögerlich. Daraufhin setzte es in den sozialen Medien, aber auch vonseiten der Neos harte Bandagen vor allem gegen die Sozialdemokraten. Von "falsch verstandener Neutralität" war da die Rede. Am Mittwoch versuchte SPÖ-Vizeklubchef Jörg Leichtfried die Pferde wieder einzufangen.

SPÖ für Rede, aber ...

"Die Behauptung der Neos, die SPÖ habe eine Rede des ukrainischen Präsidenten Selenskyj im österreichischen Nationalrat abgelehnt, ist falsch", gibt Leichtfried schriftlich zu Protokoll. Es habe zum Thema lediglich eine "kurze politische Diskussion ohne Abstimmung oder Beschluss" gegeben. Die SPÖ habe darauf hingewiesen, dass Österreichs neutraler Status, auch als Vermittler, berücksichtigt werden müsse. "Klar ist: Österreich verurteilt den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine durch das Putin-Regime aufs Schärfste, denn Österreich ist niemals neutral gegenüber der Verletzung von Völkerrecht und Menschenrechten", erläuterte Leichtfried.

Die SPÖ sei keine große Bedenkenträgerin, wolle aber eben diskutieren, welche Auswirkungen eine Einladung ins Parlament haben könne. Sollte aber Präsident Wolfgang Sobotka eine Einladung aussprechen, werde sich die SPÖ nicht verschließen und eine Einladung an Selenskyj unterstützen, präzisiert Leichtfried, der sich in der Sache mit Parteichefin Pamela Rendi-Wagner abgestimmt hatte, im Gespräch mit dem STANDARD. Offensiver positioniert sich der Kärntner Landeshauptmann und Vizeparteichef Peter Kaiser. Er würde es in jedem Fall "begrüßen, wenn Präsident Selenskyj die Möglichkeit erhalten würde, im österreichischen Parlament zu sprechen", sagt Kaiser im Gespräch mit dem STANDARD .

Für die SPÖ liegt der Ball also bei Nationalratspräsident Sobotka, der nun entscheiden müsse. Dieser zeigt sich grundsätzlich dazu bereit, den ukrainischen Präsidenten einzuladen – aber nur, wenn "das Einvernehmen zwischen den Fraktionen hergestellt ist". Sobotka spielt den Ball also zurück zur SPÖ. Dort wird darauf verwiesen, Sobotka habe "immer wieder allein entschieden. So soll er es auch diesmal tun."

Irritation in ukrainischen Kreisen

Das Gezerre um eine Einladung Selenskyjs hat in offiziellen ukrainischen Kreisen einige Irritation und Enttäuschung, vor allem wegen der zaudernden SPÖ-Haltung, ausgelöst. Selenskyj sei durchaus bereit, und es sei auch in seinem Interesse gewesen, im österreichischen Parlament zu sprechen, heißt es.

Neben der politischen spielt aber auch die formalrechtliche Ebene in die Debatte hinein. Der Präsident des Instituts für Parlamentarismus, Werner Zögernitz, sieht weniger die Neutralität als Problem an, vielmehr lasse die Geschäftsordnung des Nationalrats eine solche Rede gar nicht zu. Denn es sei klar geregelt, wer im Nationalrat auftreten dürfe. Der Nationalratspräsident könne laut Geschäftsordnung Persönlichkeiten der europäischen und internationalen Politik – etwa den UN-Generalsekretär oder Präsidenten der EU-Institutionen – dazu einladen, in einer Sitzung des Nationalrats eine Erklärung abzugeben.

Selenskyj wiederum könnte nur im Rahmen einer informellen Sitzung eine Rede halten. Doch Zögernitz rät davon in den Oberösterreichischen Nachrichten ab: "Wenn das in Österreich gemacht wird, ist es ein Präzedenzfall. Wie verhindere ich dann, dass in Zukunft etwa der georgische, moldauische oder ein anderer Präsident im Nationalrat sprechen?"

In der Parlamentsdirektion wird darauf verwiesen, dass formal eine Videozuschaltung vor und nach der Sitzung oder in einer Sitzungsunterbrechung oder Pause möglich wäre. Aber: Letztlich sei das eine politische Entscheidung. (Walter Müller, 24.3.2022)