Brüssel/Wien – Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat nicht nur verheerende menschliche Folgen vor Ort, er wird auch im Rest der Welt wie ein Multiplikator den Schwächsten abermals zusetzen. Grund sind die in einer globalisierten Welt aufeinander abgestimmten Lieferketten, die aktuell aufgrund von Sanktionen, aber auch aufgrund zu erwartender Ernteausfälle in der Kornkammer der Welt, mehr als nur stocken.

Die Rechnung ist einfach wie brutal: Wo Krieg herrscht, kann schwer bis kaum Ernte eingebracht werden. Wo Krieg herrscht, hat man gerade andere Probleme, als ans Aussäen der nächstjährigen Ernte zu denken. Ein Drittel des weltweiten Weizens wächst jedoch auf den Feldern der beiden Kriegsparteien. Um Auswirkungen drohender Hungersnöte zu mildern, will die EU gegensteuern.

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Ein Drittel des weltweiten Weizens wird in Russland und der Ukraine produziert.
Foto: REUTERS/Amit Dave

So sollen etwa eigentlich für den Umweltschutz vorgesehene Ackerflächen von Bäuerinnen und Bauern vorübergehend genutzt werden dürfen, um Nahrungs- und Futtermittel anzubauen, wie die EU-Kommission am Mittwoch mitteilte – 500 Millionen Euro Finanzspritze, um Preissteigerungen bei Sprit und Dünger abzufedern inklusive. Wer Lebensmittel nachhaltig produziert, soll mehr bekommen. Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) begrüßte die Entscheidung. 9000 Hektar wolle man "so rasch als möglich" zur Bewirtschaftung freigeben. Auch von Landwirtschaftskammer-Präsident Josef Moosbrugger (ÖVP) kam Lob. Er kritisierte jedoch, dass die halbe Milliarde nur umgeschichtete Agrarmittel und "keine echte Unterstützung" sei. Die Landwirtschaftskammer gehe davon aus, dass von diesen 9.000 Hektar rund 5.000 Hektar tatsächlich beackert werden können. Die restlichen Flächen seien gar nicht wirtschaftlich nutzbar.

Mehr Fleischverzicht als Lösung?

Umwelt-NGOs und grüne Politikerinnen kritisieren die "kurzfristigen" Maßnahmen scharf und brachten viel eher Fleischverzicht ins Spiel. Das Getreide, das man anbauen und ernten kann, solle vermehrt direkt am heimischen Teller oder eben in bedürftigen Regionen landen und nicht in den Tanks und Futtertrögen Europas, forderten etwa Sarah Wiener und Thomas Waitz, beide für Österreichs Grüne im EU-Parlament. Knapp 71 Prozent der EU-Agrarflächen würden nur dafür genützt, die Mägen der Tiere zu füllen, die wir erst wieder verspeisen, rechnet etwa Greenpeace vor.

Die von der EU anvisierten Brachflächen zu nutzen, sei schon deshalb nicht sinnvoll, weil deren Bodenbeschaffenheit meist schlecht sei, sagte Wiener. Und überhaupt würde deren Nutzung das globale Weizenangebot gerade mal um 0,4 Prozent steigern, weil 95 Prozent aller landwirtschaftlichen Flächen in der EU ohnehin schon genutzt werden, hieß es von Greenpeace. Der Rest seien wertvolle Biodiversitätsflächen und unverzichtbare Lebensräume für Wildbienen oder Vögel. Die Grünen fordern deshalb, sich nicht von den "Lobbyisten der Agrarindustrie" vereinnahmen zu lassen und stattdessen vermehrt bei der Lebensmittelverschwendung anzusetzen, sodass ein stabiles, in sich geschlossenes, ökologisches Ernährungssystem verfolgt werde.

Viel importierte Düngemittel

In einem solchen System dürften auch in Krisenzeiten nicht die Pläne zur Reduktion von Kunstdünger ausgesetzt werden, damit spiele man Russland erst recht wieder in die Karten, weil sie am Gas zur Produktion des Kunstdüngers wieder verdienen, kritisiert Waitz und fordert mehr Gründünger. Mit 30 Prozent der Düngemittelimporte ist Russland wichtigster EU-Lieferant.

"Es ist wichtig, dass auf europäischer Ebene nicht überreagiert wird, es braucht keine Aufgeregtheit und künstliche Knappheitsszenarien, aus denen einige wenige Profit aus diesem Krieg ziehen würden", so SPÖ-Landwirtschaftssprecherin Cornelia Ecker. "Ich fordere Landwirtschaftsministerin Köstinger auf, sich dafür einzusetzen, dass mehr Lebensmittel-Getreide angepflanzt wird." (Fabian Sommavilla, 24.3.2022)