Eine noch präzisere Zeitmessung ist für zahlreiche Anwendungen relevant, etwa in der Satellitennavigation oder der Medizin.

Illustration: Uni Innsbruck/Harald Ritsch

Die Quantenphysik hat zwar den Ruf, mysteriös und schwer fassbar zu sein, dennoch prägen ihre Anwendungen bereits unseren Alltag. Ein Leben ohne Quantenphysik, das hieße ein Leben ohne Smartphone, Computer oder Magnetresonanztomografie.

Im Gegensatz zu diesen etablieren Errungenschaften geht es Forschenden aktuell darum, quantenmechanische Wechselwirkungen gezielt auszunutzen, um neue Anwendungen wie Quantencomputer zu konstruieren. Diese Entwicklungen werden unter dem Schlagwort der "zweiten Quantenrevolution" subsumiert. Neben Quantencomputern zählt dazu die weitgehend abhörsichere Quantenkryptografie, aber auch sogenannte Quantensensoren. Dabei ist Innsbrucker Forschern nun ein Durchbruch gelungen, wie sie diese Woche im Fachblatt "Nature" berichteten.

Genaueste Taktgeber

Die genauesten Zeitmesser, die wir derzeit haben, und damit auch die genauesten Sensoren sind Atomuhren. Ihrer Genauigkeit liegt eine spezielle Eigenschaft von Atomen zugrunde: Wenn sie von einem Energiezustand zu einem anderen wechseln, strahlen sie elektromagnetische Wellen mit einer bestimmten Frequenz ab oder absorbieren diese. Um diesen Wechsel des Energieniveaus anzutreiben, werden zum Beispiel Laser oder Mikrowellen benutzt. Diese müssen dabei mit einer exakt auf die jeweilige Atomsorte abgestimmten Frequenz strahlen. Weicht die antreibende Frequenz vom Ideal ab, muss sie entsprechend angepasst werden.

"Üblicherweise liefert jedes einzelne Atom Information darüber, wie weit ich von der korrekten Frequenz entfernt bin – aber die Atome stimmen sich dabei untereinander nicht ab", sagt Christian Marciniak vom Institut für Experimentalphysik der Universität Innsbruck, der an der Studie zentral beteiligt war. Weltweit arbeiten Forschende daran, die Genauigkeit von Atomuhren weiter zu erhöhen. Die Innsbrucker Forscher haben nun demonstriert, wie das gelingen könnte, indem sie sich des Phänomens der quantenmechanischen Verschränkung bedienen. Durch die Verschränkung der Atome können die Physiker "pro Messung mehr Information darüber bekommen, in welche Richtung wir die Frequenz verbessern müssen", sagt Marciniak.

"Spukhafte Fernwirkung"

Bei der Verschränkung handelt es sich um eine spezielle Korrelation zwischen zwei oder mehr Teilchen, die dazu führt, dass, sobald man den Zustand eines Teilchens verändert, das Partnerteilchen eine korrespondierende Veränderung exakt im selben Moment erfährt. Albert Einstein sprach dabei von "spukhafter Fernwirkung", Erwin Schrödinger prägte dafür einst den Begriff Verschränkung. Keiner von beiden fand Gefallen an den verschränkten Teilchen. In den 1930er-Jahren arbeiteten sie daran, wie sich das Phänomen wieder aus der Physik eliminieren ließe, doch ohne Erfolg. Jahrzehnte später war klar, dass die Verschränkung nicht nur tatsächlich existiert, sondern dass sie gar die wesentliche Zutat für eine völlig neue Generation technischer Anwendungen ist.

Dass Atomuhren mithilfe der Verschränkung noch präziser laufen könnten, ist schon seit längerem bekannt. Bisher fehlte es aber an den Methoden, um das tatsächlich zu realisieren. Denn die Verschränkung ist ein sehr flüchtiges Phänomen, das leicht durch äußere Einflüsse gestört werden kann. Die Innsbrucker Forschenden nutzen nun das Wissen, das sie sich bei der Entwicklung von Quantencomputern angeeignet haben, um die erforderlichen maßgeschneiderten verschränkten Zustände zu erzeugen.

Den Naturgesetzen auf den Fersen

In einer Arbeit, die im Dezember im Fachblatt "Physical Review X" erschienen ist, haben Physiker um den Theoretiker Peter Zoller eine Kombination aus Quantenzustand und Messungen entwickelt, die für die Quantensensoren optimal ist – gleich ob eine Atomuhr, ein Massesensor oder etwa ein Magnetfeldsensor. "Wir beantworten die Frage, wie präzise ein Sensor mit den vorhandenen Kontrollmöglichkeiten sein kann, und liefern ein Rezept, wie dies erreicht werden kann", berichten Denis Vasilyev und Raphael Kaubrügger aus der Gruppe um Peter Zoller am Institut für Quantenoptik und Quanteninformation der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Innsbruck. Damit kann die Präzision des Sensors bis dicht an das nach den Naturgesetzen mögliche Optimum gebracht werden.

"Das ist ein theoretisches Konzept, aber wir haben experimentell gezeigt, dass es funktioniert und wir damit dicht an die absolute Grenze, die die Physik zulässt, herankommen", sagt Marciniak. Konkret haben die Physiker aus der Forschungsgruppe um Thomas Monz und Rainer Blatt an der Universität Innsbruck solche Frequenzmessungen auf einem Ionenfallen-Quantencomputer durchgeführt. Wie sie nun in "Nature" berichten, ist es ihnen gelungen, den Quantencomputer so zu programmieren, dass er selbstständig und ohne Vorwissen seinen optimalen Modus als hochpräziser Sensor findet. Die Forschungen wurden unter anderem vom Wissenschaftsfonds FWF, der Forschungsförderungsgesellschaft FFG und dem Quantum Flagship der EU finanziert.

Klassischer Computer vs. Quantencomputer

In einem nächsten Schritt wollen die Physiker ihr Konzept an einer Atomuhr praktisch realisieren. "Die Rückmeldungen von Leuten, die Atomuhren bauen, waren sehr positiv – aber Metrologen sind ein sehr konservativer Menschenschlag, was nicht weiter verwunderlich ist, weil ziemlich viel auf ihren Schultern ruht", sagt Marciniak. Neue Konzepte würden daher bei ihnen lange auf dem Prüfstand liegen.

Die praktische Realisierung des Ansatzes in einer Atomuhr würde nicht nur eine noch genauere Zeitmessung ermöglichen, sondern auch aus einem anderen Grund Wissenschaftsgeschichte schreiben: Seit Jahren wird insbesondere bei der Entwicklung von Quantencomputern die Frage diskutiert, ob diese einem klassischen Superrechner jemals überlegen sein könnten. Zunächst kursierte dafür der Begriff "Quantenüberlegenheit" ("Quantum Supremacy") – doch aufgrund der negativen politischen Konnotation von "Supremacy" und bedingt durch die Einsicht, dass dies womöglich nicht die entscheidende Fragestellung ist, hat sich nach und nach ein anderes Konzept durchgesetzt: der Quantenvorteil ("Quantum Advantage").

Ein realer Quantenvorteil

Beim Quantenvorteil geht es nicht darum, eine generelle Überlegenheit der Quantentechnologie gegenüber einem klassischen Computer zu demonstrieren, sondern einen Vorteil – etwa in Präzision oder Geschwindigkeit. Zwar konnten vereinzelt bereits Fallbeispiele für so einen Quantenvorteil gezeigt werden, dabei handelte es sich aber bisher um eher konstruierte akademische Probleme ohne praktische Anwendungen.

Durch die Realisierung des Innsbrucker Ansatzes in einer Atomuhr könnte sich das ändern: "Mit unserem Konzept wird es möglich, den Vorteil von Quantentechnologien gegenüber klassischen Computern an einem für die Praxis relevanten Problem zu demonstrieren", sagt Zoller. "Wir haben eine entscheidende Komponente von quantenverbesserten Atomuhren demonstriert. Der nächste Schritt besteht nun darin, dies in einer Atomuhr umzusetzen. Was bisher nur für Rechnungen fragwürdiger praktischer Relevanz gezeigt wurde, könnte schon in naher Zukunft mit einem programmierbaren Quantensensor erstmals demonstriert werden – der reale Quantenvorteil." (Tanja Traxler, 24.3.2022)