
Die russische Flagge wird man bei internationalen Sportveranstaltungen so schnell nicht wieder sehen.
Das Moskauer Luschniki-Stadion komplett gefüllt, auf dem Rasen intensive Zweikämpfe – und schlussendlich mit einem Sieg gegen Polen der vorletzte Schritt zur Winter-WM in Katar: So sah zumindest die russische Wunschvorstellung aus. Doch stattdessen blieb der Sbornaja in den Playoffs zur Weltmeisterschaft nur die Zuschauerrolle auf der heimischen Couch. Ein Schicksal, das die Fußballer derzeit mit nahezu allen russischen Sportlern teilen.
Doch statt den internationalen Bann nach dem Angriffskrieg auf die Ukraine still zu akzeptieren, schafft sich der russische Sport mit Gegenveranstaltungen und Provokationen derzeit eine Art Paralleluniversum. Dies gipfelte nun in der Absichtserklärung zur Bewerbung um die EM-Endrunden 2028 oder 2032.
"Negativer Trend"
"Wir wissen, dass unsere Chancen jetzt geringer sind. Aber wenn es eine Chance gibt, sollten wir es versuchen", sagte Alexander Djukow dem englischen "Telegraph". Die Situation sei "sehr dynamisch", führte der Chef des russischen Verbands RFS aus, der zugleich im Exekutivkomitee der Uefa sitzt: "Jetzt gerade gibt es einen negativen Trend, der sich aber auch wieder ändern kann."
Mit dieser Sichtweise steht er allerdings ziemlich isoliert und allein da. "Jenseits von Satire" sei dieser Vorstoß, betonte der britische Premierminister Boris Johnson bei Sky Sports UK.
"Es ist extrem seltsam, dass sie sich blamieren mit etwas, was klar zum Scheitern verurteilt ist", sagte der langjährige britische Verbandsboss David Bernstein. Der einstige Fifa-Vizepräsident Jim Boyce forderte eine "sofortige" Zurückweisung der Bewerbung – und er könnte damit Gehör finden. Denn die Uefa prüft nach dem Ausschluss aller russischen Vereins- sowie Nationalmannschaften nun auch eine Suspendierung des Verbandes.
Parallelwelt
Eine Bewerbung wäre dann faktisch nicht mehr möglich. Das Exekutivkomitee sei "in Bereitschaft", um "außerordentliche Sitzungen" einzuberufen, teilte die Uefa mit. Dabei werde es darum gehen, "die rechtliche und faktische Situation neu zu bewerten und gegebenenfalls weitere Entscheidungen zu treffen, auch im Hinblick auf die Interessenbekundung des Russischen Fußballverbands für die Ausrichtung der Europameisterschaft".
Abseits des Fußballs bastelt sich Russland im Sport ohnehin bereits seine eigene Realität. Parallel zur Eiskunstlauf-WM gibt es als Gegenveranstaltung den rein russischen sogenannten Channel One Cup in Saransk, bei dem unter anderem das 15-jährige Wunderkind Kamila Walijewa nach ihrem dramatischen Absturz bei Olympia aufs Eis zurückkehrt. Zuvor war nach dem Ausschluss von den Paralympics in Chanty-Mansijsk ein eigenes Wintersportfest für Menschen mit körperlicher Behinderung veranstaltet worden.
Sind bei den Gegenveranstaltungen auch die ebenfalls international gebannten Belarussen dabei, sprechen die Verantwortlichen gerne von Weltmeisterschaften. (sid, 24.3.2022)