Spieglein, Spieglein an der Wand, wer bin ich wirklich? Oscar Isaac muss in "Moon Knight" als "Doppelagent" auch eine Menge Selbstgespräche führen.

Foto: Csaba Aknay / Marvel Studios

Bei Superhelden kommt es zwar öfters vor, dass sie sich mit fremden Identitäten tarnen. Doch Moon Knight geht über das gängige Prinzip ein gutes Stück hinaus: Denn Doppelrolle bedeutet in diesem Fall, einen Mann mit dissoziativer Persönlichkeitsstörung zu verkörpern. Der leicht verschrobene, tapsige Museumsshop-Angestellte Steven Grant hat ein zweites Ich, mit dem er sich denselben Körper teilen muss: einen ehemaligen Söldner, der im Auftrag von Khonshu, dem alten ägyptischen Gott des Mondes und der Rache, handelt. Oscar Isaac hat sich für die Marvel-Miniserie Moon Knight (ab 30. März auf Disney+) der Herausforderung gestellt, zwei völlig unterschiedliche Charaktere zu spielen, die langsam mehr übereinander herausfinden.

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STANDARD: In "Moon Knight" kann man Sie als Steven Grant zunächst in einem Part erleben, der auch Ben Stiller oder Hugh Grant gut anstehen würde. Sehen wir endlich den versteckten Komiker in Oscar Isaac?

Isaac: Bisher habe ich das in der Tat mehr für mich selbst oder auf der Schauspielschule gemacht! Bei jeder Rolle geht es für mich darum, herauszufinden, worin die eigentliche Spannung besteht. In einem besonders dramatischen Drehbuch suche ich oft nach dem Humor. Auch beim Thema dissoziative Störung und Superhelden war das so. Allerdings ist es eine andere Form von Komik als die, die man mit Marvel üblicherweise verbindet. Ironisch und selbstreferenziell, das hat man jetzt schon in rund 25 Filmen gemacht. Es war an der Zeit, einen anderen Zugang zu finden. Ich frage mich immer: Was würde Peter Sellers tun? Diesmal ging es darum, eine komische Figur zu erschaffen, die sich ihrer Komik gerade nicht bewusst ist.

STANDARD: Er weiß nicht, dass etwa der starke britische Akzent etwas gespreizt und albern klingt. War das eigentlich Ihre Idee?

Isaac: Ich las im Drehbuch, dass die Serie in London spielen wird. Der Grund war praktischer Art, es gab schon zu viele mit Schauplatz New York. Mir erschien das als gute Gelegenheit: Ich stellte mir diesen Engländer vor, der etwas merkwürdig ist. Er hätte gern mehr soziale Kontakte, weiß aber nicht, wie er das anstellen soll. Ich habe den Akzent bei meinen Kindern ausprobiert, die diesen Steven dann genauso mochten wie ich selbst. Ich musste ja acht Monate in dieser Rolle verbringen!

STANDARD: Als Ausgleich hatten Sie ja noch sein anderes Ich, den Geheimagenten.

Isaac: Der sollte wirklich ein Gegenpol sein. Da erschien mir das Klischee des dunklen, nachdenklichen Vigilanten perfekt. Aber wir brechen es schon dadurch auf, dass sich nun ein kleiner Engländer in ihm verbirgt. Die Herausforderung bestand aber in technischen Fragen: Die beiden Persönlichkeiten mussten ja auf durchaus physische Weise interagieren. Auch mit einem genauen Plan sollte es am Ende improvisiert und frisch aussehen. 80 Prozent von Stevens Dialogen entstanden aber wirklich spontan, für mich fühlte sich das wie ein neuer Muskel an, den ich endlich verwenden konnte.

STANDARD: Einmal abgesehen von der schauspielerischen Herausforderung – warum finden wir solche psychologischen Störungen in Film und Literatur so faszinierend?

Isaac: Für mich spricht es etwas an, das wir alle in uns tragen. Jeder von uns verkörpert mehrere Identitäten, ja nachdem, mit wem er zusammen ist. Zum Älterwerden gehört auch der Versuch herauszufinden, warum wir bestimmte Entscheidungen getroffen haben. Dabei findet man auch einiges über unbewusste Handlungen heraus. Das ist der Kern des Ganzen, der hier zum Extrem getrieben wird. Es ist eine Art Superkraft, die es wirklich gibt; ein Überlebensmechanismus, bei dem sich das Gehirn in mehrere Persönlichkeiten aufteilt.

STANDARD: Gab es etwas in der Recherche, das Ihnen besonders geholfen hat, sich diesem Geisteszustand anzunähern?

Isaac: Ja, etwa das Organisationsprinzip, das die Menschen erschaffen, um all ihre Alter Egos leben zu können. Manchmal hat das die Form von einem Schloss. Das ist ein weiterer interessanter Aspekt daran, dass alles so visuell daran ist. Das lässt sich gut mit der Symbolwelt der Comics vereinen.

STANDARD: Worin liegt für Sie überhaupt die Herausforderung, einen Marvel-Helden zu spielen – neben anderen Rollen wie jüngst dem Irakkriegsveteranen in "The Card Counter"?

Isaac: Für mich ist auch Moon Knight eine komplizierte Charakterstudie. Auf der größten Bühne, die es derzeit gibt, eben dem Marvel-Film.

STANDARD: Der Reiz liegt also in der Größe?

Isaac:The Card Counter hatte ein Budget von drei Millionen. Ich konnte mit dem großartigen Paul Schrader in Mississippi drehen. Natürlich fällt das Publikumsinteresse viel kleiner aus, aber man macht das mit dem allergrößten Ernst – und dann überträgt man dasselbe Ausmaß an Sorgfalt und Intensität auf etwas, das viel größer ist. Aber die Größe ist nicht das Zentrale, es ist derselbe Job.

STANDARD: Was macht "Moon Knight" im Marvel-Universum unverwechselbar?

Isaac: Ich würde tatsächlich sagen, es ist die erste legitime Charakterstudie von Marvel seit Iron Man. Robert Downey Jr. hat mit seiner Darstellung die Sprache dieser Filme miterschaffen – alles danach hatte etwas von diesem Tonfall, dieser Verspieltheit. Es fühlte sich wie eine richtige Person an, nun gab es die Chance, in diese kleinere Erzählform zurückzukehren. Wir erzählen eine psychologische Horrorgeschichte – allerdings mit leichter Hand. (Dominik Kamalzadeh, 25.3.2022)