Sebastian Kurz wollte den Unternehmer Siegfried Wolf als Öbag-Aufsichtsratschef.

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Eine neue Auswertung der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) gibt Einblicke in die enge Beziehung zwischen Unternehmer Siegfried Wolf und dem früheren Kanzler Sebastian Kurz. Letzterer wollte Wolf zum Aufsichtsratsvorsitzenden der Staatsholding Öbag machen, dem stand wohl ein Compliance-Problem im Weg: Wolf ist bzw. war ein enger Vertrauter des russischen Oligarchen Oleg Deripaska, dessen Unternehmen seit 2018 auf der US-Sanktionenliste stehen.

Wiederholt bat Wolf den damaligen Kanzler, diesbezüglich seine Kontakte spielen zu lassen. Ein zweites Thema, über das sich Kurz und Wolf immer wieder unterhielten, war die staatliche Industrieholding. Die war bekanntlich unter Türkis-Blau zur Öbag umgebaut worden, unter tatkräftiger Beteiligung des damaligen Generalsekretärs im Finanzministerium, Thomas Schmid, der dann erster Öbag-Chef werden sollte. Als Aufsichtsratsvorsitzenden wollte Sebastian Kurz seinen Vertrauten Wolf installieren.

Gut vernetzt in alle Richtungen

An ihm habe Kurz die vielen Erfahrungen geschätzt, die er etwa als Aufsichtsratsvorsitzender des Öbag-Vorvorgängers ÖIAG in den Jahren 2014 und 2015 gesammelt hatte, sagte der Ex-Kanzler bei seiner Einvernahme. Die WKStA ermittelt gegen Kurz wegen des Verdachts auf Falschaussage vor dem U-Ausschuss. Er soll das Parlament falsch über seine Involvierung in Postenbesetzungen bei der Öbag informiert haben. Kurz bestreitet das.

Einen guten Draht hatte Wolf aber offenbar zu beiden Koalitionspartnern: Während der Regierungsverhandlungen besprach der Unternehmer sowohl mit blauen als auch mit türkisen Verhandlern Pläne für die neue Staatsholding. Im Jänner 2018, also schon einen Monat nach dem türkis-blauen Regierungsantritt, wollte er mit Kurz einen Termin zum Thema Öbag vereinbaren: "Sag wann reden wir über die Beteiligungs AG?"

Wolf war überhaupt bestens vernetzt, im Inland wie im Ausland – und da vor allem in Russland. So war er bei einer Reise von Kurz nach St. Petersburg im Herbst 2018 dabei, wo ein Treffen mit Putin auf dem Programm stand. Laut einem OMV-Manager habe dessen Chef Rainer Seele für diese Reise "nominiert".

Er, Wolf und René Benko würden "im Kreis um Seb. (Sebastian, Anm.) und großer Chef" sein können, also offenbar im Kreise Putins. Wolf sagte laut einem Chat zu, plante "mit René" zu fliegen, woraufhin der OMV-Manager von seinen jüngsten Jagderfolgen mit Benko berichtete: "280 Enten, 80 Hühner, davon ich: 182 Enten und 40 Hühner" sei die Ausbeute gewesen. Was mit dem vielen Federvieh geschah, ist nicht überliefert.

Schwere Bedenken gegen Wolf

Im Herbst 2018 nahm die Öbag-Sache dann Fahrt auf: Am 2. Oktober fragte Kurz den Unternehmer: "Ist dir recht wenn wir uns heute bei dir oder bei mir im Büro treffen. Können da etwas ungestörter (...) reden." Am selben Tag schickte der damalige Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) die Telefonnummer vom FPÖ-nahen Manager Arnold Schiefer an Wolf. Dieser sei "unser Chefverhandler" zum Thema Öbag, "welcher das volle Vertrauen von mir und Norbert (Hofer, Anm.) genießt!"

Intern gab es schwere Bedenken gegen Wolf, der inzwischen wegen seiner Steuercausa zu noch mehr Bekanntheit gelangt ist. Damals war das Problem vor allem seine enge Beziehung zu Deripaska; außerdem wurde bereits in der Causa Eurofighter gegen ihn ermittelt – in der Sache wurde auch Wolfs Handy sichergestellt, daraus stammen einige der nun zitierten Chats. Sogar Schmids Assistentin warnte damals vor der "Außenwirkung", wenn man Wolf zum Aufsichtsratschef mache. Da müsse Kurz’ Kommunikationschef Gerald Fleischmann dann "viel erklären".

Deripaskas Sanktionen-Problem, das quasi auf Wolf als GAZ-Aktionär und Deripaska-Geschäftsfreund abfärbte, versuchte dieser jedenfalls mithilfe seiner türkisenen Freunde in den Griff zu bekommen.

"Sebastian guten Morgen – wenn du heute mit US redest dann sollten die uns bitte sagen was US noch von uns verlangt?", schrieb Wolf am 6. November 2018. Einen Monat später bat er Kurz dann sogar, den damaligen US-Finanzminister Steve Mnuchin oder Außenminister Mike Pompeo anzurufen: "Ich brauche nochmal deine Hilfe in meiner Angelegenheit." Auch während Kurz’ USA-Reise im Februar 2019 meldete sich Wolf wieder wegen der Sanktionen gegen Deripaskas Autokonzern GAZ, an dem auch Wolf beteiligt ist. "Lieber Sebastian – guten Morgen. Sag konntest du etwas erreichen? Bitte um Info – Danke Sigi", schrieb er am 21. Februar 2019. "Lieber Sigi! War sehr, sehr gut. Bitte lass uns direkt reden sobald ich in Wien bin. AL", antwortete der damalige Kanzler. Was "sehr, sehr gut" war, ist nicht überliefert. Fix ist jedenfalls, dass Deripaska nach wie vor auf der US-Sanktionenliste steht. Da halfen auch spätere Versuche nichts – noch im Jänner 2020, also bereits unter Türkis-Grün, bat Wolf, Kurz möge "noch einmal White House (...) bitte anrufen".

"Du Vorsitz, ich normales Mitglied"

Damals hoffte man aber offenbar noch, Wolfs Compliance-Probleme ließen sich rasch lösen. "Schlussendlich hat ja alles so geklappt wie von uns geplant oder? Du Vorsitz, ich mache normales Mitglied", schrieb Günther Helm, damals frisch nominiertes Öbag-Aufsichtsratsmitglied, an Wolf.

"Lieber Guenther es ist für 3 Monate bei mir anders – ich kann (darf) noch nicht!! (…) Wir reden wenn du zurück bist – ist aber alles abgesprochen", antwortete der. Mehr Details besprach Wolf mit Kurz. Der Industrielle hatte damals nämlich einen weiteren Aufsichtsratsposten im Auge: einen bei der Porsche Automobil Holding SE. Dafür ließ er laut einem Chat mit Kurz seine "Aktivitäten in Russland" prüfen.

Kurz drückte aufs Tempo: Wolf solle die Entscheidung Porsche "schnell machen. Und dann gleich unsere Sache auch. Wäre super im Doppelschlag". Daraus geworden ist dann nur ein Einfachschlag: Aufsichtsratsmitglied bei Porsche wurde Wolf, nicht aber bei der Öbag – und auch bei einem angedachten Beteiligungskomitee der Öbag landete Wolf nicht. Das könnte auch am Ende der türkis-blauen Koalition nach dem Ibiza-Video gelegen haben.

Kurz-Anwalt sieht Entlastendes

Und was bedeutet all das für die Causa Falschaussage rund um Sebastian Kurz? Da drehen sich die Ermittlungen ja um die Frage, ob Kurz der Strippenzieher hinter den Öbag-Personalien gewesen ist, das aber dem U-Ausschuss verschwiegen hat. Kurz betonte immer wieder, dass Finanzminister Hartwig Löger diese Entscheidungen getroffen hatte und Kurz’ Wunschkandidaten wie Wolf eben nicht bei der Öbag landeten. "Der Verdacht der WKStA, Kurz habe vor dem Ausschuss vorsätzlich falsch ausgesagt, indem er verneint habe, die politische Entscheidung über die Bestellung zum Öbag-Aufsichtsrat getroffen oder diese maßgeblich beeinflusst zu haben, fällt damit einmal mehr in sich zusammen", heißt es in einer Stellungnahme von Kurz’ Anwalt Werner Suppan.

Allerdings zeigen die Chats auch einige Vorgänge auf, über die Kurz vor dem U-Ausschuss nicht berichtet hat. Wolf selbst hat andere juristische Probleme: Er steht vor allem wegen des Verdachts auf Bestechung einer Finanzbeamtin im Fokus der WKStA. In den nun bekannten Chats mit Kurz wird seine Steuerangelegenheit kein einziges Mal thematisiert, die dürfte über Thomas Schmid und andere aus dem Finanzministerium gelaufen sein. (Renate Graber, Fabian Schmid, 24.3.2022)