Der Spitzer Heurigenwirt Helmut O. kam 2008 wegen der Vergiftung des Bürgermeisters von Spitz an der Donau, Hannes Hirtzberger, vor Gericht. 2009 wurde das Strafmaß von 20 Jahren auf lebenslang erhöht.

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Liegt ein bekannter, erfahrener Anwalt falsch? Oder müsste der Fall um den 2008 mit Strychnin vergifteten Bürgermeister von Spitz an der Donau, Hannes Hirtzberger (ÖVP), vor Gericht wiederaufgerollt werden? Ein Drei-Richter-Senat des Landesgerichts Krems hat dies abgelehnt. Seit Mitte Februar liegt der Akt beim Oberlandesgericht Wien, wo ebenfalls drei Berufsrichter darüber entscheiden müssen. Wann sie das tun, ist derzeit nicht absehbar.

Es ist der dritte Versuch, eine Wiederaufnahme in diesem spektakulären Fall zu erlangen. Jedes Mal war ein neuer Anwalt die treibende Kraft, zweimal blitzten die Anträge ab. Nun hat Dieter Böhmdorfer die Rechtsvertretung des zu lebenslanger Haft verurteilten Heurigenwirts aus Spitz, Helmut O., übernommen. Der ehemalige Justizminister (FPÖ) ist mit seiner Kanzlei eigentlich auf Wirtschaftscausen spezialisiert.

Warum nimmt er sich eines Falles an, der nicht in sein übliches Repertoire passt ? Böhmdorfer erklärt, er habe auf Bitte eines befreundeten Rechtsanwalts, der in den Ruhestand ging, den Akt angesehen. Dabei habe er festgestellt, "dass Handlungsbedarf besteht, weil offenkundig relevante Wiederaufnahmsgründe gegeben sind".

Das Gift und die Praline

Ein zentraler Punkt im Wiederaufnahmeantrag ist die Frage, wie viel Strychnin der damals 55 Jahre alte Hannes Hirtzberger tatsächlich zu sich genommen hatte. Es sei nämlich deutlich mehr Gift gewesen, als in die normalerweise mit Kirschlikör und Kirsche gefüllte Schokoladehülle gepasst hätte.

Zur Erinnerung: Hirtzberger war nach dem Verzehr einer mit Gift versetzten Mon-Chéri-Praline zusammengebrochen und ist seither ein Pflegefall. Bis dahin war er ein in der Gemeinde beliebter Bürgermeister gewesen, O. galt als Außenseiter.

Die Praline lag einem Kuvert bei, das am Autofenster des damaligen Ortschefs deponiert worden war. Am Tag nach dem Fund soll Hirtzberger sie verspeist haben, beim Joggen brach er zusammen. Im Billet waren DNA-Spuren von O. gefunden worden. Sein Sohn hat O. zusätzlich belastet: Der damals 23-Jährige gab an, O. habe ihn zu einer Speichelprobe genötigt.Außerdem habe O. mehrmals gedroht, Hirtzberger umzubringen. Als Motiv galten Streitigkeiten wegen einer Flächenumwidmung – dazu später. O. wurde zunächst zu 20 Jahren, 2009 dann rechtskräftig zu lebenslanger Haft verurteilt.

Mehr Strychnin?

O. argumentiert im Wiederaufnahmeantrag und in der Beschwerde ans OLG, dass nach Hirtzbergers Einlieferung ins Krankenhaus mehr Magensaft entnommen wurde, als Gerichtsgutachter Christian Reiter bei seinen in der Hauptverhandlung vorgelegten Analysen beachtet hatte. Reiter kam 2008 aufgrund einer Harnanalyse zu dem Schluss, dass rund 700 Milligramm Strychnin in Hirtzbergers Körper gewesen sein mussten. Neue Beweismittel – Gutachten, die Reiters Methodik in Zweifel ziehen, sowie das Krankenprotokoll von Hirtzberger – würden aber eine Menge von mindestens 952 Milligramm Strychnin ergeben, argumentiert O. Reiter zufolge passen maximal 881 Milligramm Strychnin in die Kirschpraline.

Mit 952 Milligramm werde aber deren "Fassungsvermögen eindeutig überschritten" und somit "kann das im Körper des Opfers … vorgefundene Strychnin nicht über eine Praline aufgenommen worden sein", heißt es denn in der Beschwerde ans OLG Wien.

War bei der Tat also alles anders abgelaufen?

Mit anderen Giftmengen wurde bereits zuvor bei Wiederaufnahmeversuchen argumentiert. Im ersten Wiederaufnahmeverfahren sowie in der aktuellen Ablehnung seien diese Argumente aber ohne Begründung übergangen worden, argumentiert O. Und weiter: Die Geschworenen hätten O. freisprechen müssen, wenn sie gewusst hätten, dass mehr Gift gefunden wurde, als in eine solche Praline passe. Bei den angenommenen Giftmengen geht man davon aus, dass die Kirsche in der Süßigkeit verbleibt –Reiter zufolge falle die Schokohülle sonst in sich zusammen.

Eine Frage der Geschicklichkeit

Weiters gibt O. an, er habe nicht über die motorischen Fähigkeiten verfügt, um die Süßigkeit derart zu präparieren. Hier wird ein handchirurgisches Gutachten beantragt. Reiter hatte 2008 festgestellt, es brauche keine "übermäßige Geschicklichkeit" dafür, die Praline mit Strychnin zu befüllen. Dem Gutachter zufolge wurden auch auf der Verpackung Strychninspuren gefunden sowie Superkleber. Aber es könne laut Reiter, so O.s Argumentation, "nicht ausgeschlossen werden, dass die gefundene Spur (von Strychnin, Anm.) von einer Kontamination im Mistkübel stamme".

Und das Motiv? "Umwidmungsproblematik", hatten die Geschworenen notiert. Helmut O. hatte Pläne für ein Thermalhotel im Ort, für die er eine Umwidmung von Weinbauflächen in Bauland gebraucht hätte. Es liege eine Absichtserklärung der Gemeinde von 2005 vor, die eine Unterstützung des von O. geplanten Projekts belege, argumentiert O. nun. Zeugen hatten das Verhältnis zwischen Hirtzberger und O. in der Verhandlung aber als problembehaftet beschrieben.

"Schlüssige Indizienkette"

Das laufende Verfahren wird vom Landesgericht Krems nicht kommentiert. Es heißt nur allgemein, dass bei einem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens geprüft werden muss, ob geeignete Gründe vorliegen. In Bezug auf die Strychnin-Menge werde "ein einzelner Aspekt aus einer umfassenden Beweislage angegriffen", wird das Gericht im Beschwerdeschreiben zitiert. Doch dies eigne sich nicht "zur Erschütterung des auf eine schlüssige Indizienkette gegründeten Ersturteils".

O.s Seite argumentiert: "Einem Wiederaufnahmeantrag ist stattzugeben, wenn sich nicht ausschließen lässt, dass man auf Grundlage der neu beigebrachten Tatsachen/Beweise zu einer anderen Beurteilung der Beweisfrage gelangt." Es werde im Zuge dessen aber nicht darüber entschieden, ob Voraussetzungen für einen Freispruch vorliegen. Das wäre – wenn – Gegenstand einer neuerlichen Verhandlung. (Gudrun Springer, 24.3.2022)