Applaus für den Videoauftritt des ukrainischen Präsidenten im Deutschen Bundestag.

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Ins Eck der Putin-Versteher: Dorthin hat eine heikle Debatte die Sozialdemokraten ein Stück weit gebracht. Auslöser war die Frage, ob der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj per Video eine Rede im Parlament halten soll. Nicht nur die FPÖ, auch die SPÖ habe sich aus "falsch verstandener Neutralität" gesperrt, hatte Neos-Vizeklubchef Nikolaus Scherak berichtet.

Die Sozialdemokraten versuchen seither, diese Behauptung zurechtzurücken – und vermuten im Hintergrund ein abgekartetes Spiel. Die Neos hätten sich vorab mit den Regierungsparteien abgesprochen, um SPÖ und FPÖ vorzuführen, so die Annahme. Ein Abgeordneter sagt: "Das war ein klassischer Leger."

Auffällig rasche Zustimmung

Der Verdacht nährt sich aus dem Ablauf der letzten Präsidialkonferenz, wo die Parteien wie üblich die Parlamentsarbeit abstimmten. Laut Gesprächsprotokoll, das dem STANDARD vorliegt, brachte Scherak die Idee auf, "dem ukrainischen Präsidenten oder einem anderen hochrangigen Vertreter" die Redemöglichkeit einzuräumen. Als erster stimmte Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka zu (ÖVP) und schlug den ukrainischen Botschafter vor. Peter Haubner und Jakob Schwarz, Vizeklubchefs von ÖVP und Grünen, sagten ebenfalls prompt Ja.

Das sei ungewöhnlich, so die Einschätzung aus der SPÖ: Schließlich würden derartige, nicht unheikle Fragen normalerweise erst in den Klubs diskutiert. Auch dass Haubner von einem "ukrainischen Wunsch" sprach, sei ein Hinweis auf eine vorangegangene Absprache.

Fakt ist laut Protokoll jedenfalls: SPÖ-Vertreterin Andrea Kuntzl hat den ukrainischen Videoauftritt nicht abgelehnt. Wie nachzulesen ist, habe sie Verständnis gezeigt, aber darauf hingewiesen, "dass diese Angelegenheit im Hinblick auf den Neutralitätsstatus Österreichs nicht spontan entschieden werden sollte". Auch die FPÖ-Teilnehmer sagten nicht dezidiert Nein, gaben sich jedoch skeptisch und mahnten zu einem "achtsamen" Vorgehen.

Das letzte Wort hatte Sobotka. Doch dieser rief die Parteien entgegen der Erwartung der Sozialdemokraten nicht etwa dazu auf, sich eine endgültige Meinung zu bilden, sondern erklärte die Causa für erledigt: Mangels Einigung werde der Vorschlag nicht weiter verfolgt. Dies zeige, dass politische Sticheleien das Ziel gewesen seien, heißt es aus der SPÖ: "Wenn es nur um die Show geht, dann macht man es genauso."

Sobotka will nicht allein entscheiden

Allerdings halten manche Genossen auch die offizielle Reaktion der eigenen Partei für befremdlich. Vizeklubchef Jörg Leichtfried stellte zwar klar, dass sich die SPÖ nicht gegen eine Einladung an Selenskyj wenden werde, doch entscheiden solle das der Nationalratspräsident. "Seit wann sind wir für Alleingänge Sobotkas?", fragt da ein Kritiker.

Der Angesprochene denkt allerdings ohnehin nicht an eine einsame Entscheidung, sondern beruft sich auf die Geschäftsordnung des Nationalrats. Der Präsident könne "herausragende Persönlichkeiten" nur "nach Beratung in der Präsidialkonferenz" einladen, heißt es dort. Sobotka interpretiert diesen Passus so, dass Einvernehmen zwischen den Parteien Voraussetzung sei.

Dazu dürfte es aber nicht kommen, denn die FPÖ hat sich mittlerweile klar deklariert. Es sei ein "Unding", dass in kriegerische Konflikte involvierte Staatsmänner in einer neutralen Republik Ansprachen halten, sagt Klubchef Herbert Kickl. Da sei es egal, ob es sich um Selenskyj, Putin oder sonst wen handle: "Das Parlament ist dafür die falsche Bühne."

Kriegsrhetorik im Hohen Haus

Vorbehalte bleiben trotz Leichtfrieds Zusage auch in der SPÖ bestehen. Es sei völlig klar, wer der Aggressor ist, lautet eine Meinung, aber natürlich verbreite die ukrainische Seite ebenfalls Propaganda. Aus Sicht der Verteidiger sei das ja verständlich – "doch die Frage ist, ob das Parlament dafür der richtige Ort ist".

"Kriegsrhetorik hat im Hohen Haus keinen Platz", sagt Wehrsprecher Robert Laimer und erinnert an Selenskyjs umstrittenen Auftritt im israelischen Parlament Knesset, wo dieser die Ukraine-Invasion mit dem Holocaust verglichen hatte. Österreich solle eine neutrale Haltung wahren, um sich später als Vermittler anbieten zu können, empfiehlt der Abgeordnete: "Wir sollten eine Einladung an Selenskyj deshalb nicht proaktiv verfolgen." (Gerald John, 24.3.2022)