Fünf Gramm Plastik, etwa das Gewicht einer Kreditkarte – so viel Kunststoff gelangt durchschnittlich pro Kopf und Woche in den Magen-Darm-Trakt. Nun wurden die winzigen Partikel auch in menschlichem Blut nachgewiesen.

Foto: Vrije Universiteit Amsterdam

Geschätzte zehn Milliarden Tonnen Kunststoff hat die Menschheit seit Beginn der Massenproduktion dieses flexiblen, vor allem aber haltbaren Materials hergestellt. Der überwiegende Großteil des Plastikabfalls landet auf Müllhalden und in der Umwelt. Zu winzigen Partikeln zerrieben, ist Kunststoff mittlerweile an jedem Fleck der Erde zu finden: Allein in den Ozeanen sollen sich über 70 Millionen Tonnen Mikroplastik befinden. Die Atmosphäre ist ebenso voll davon wie die entlegensten Regionen an den Polen, auf den höchsten Berggipfeln und am Grund der tiefsten Tiefseegräben.

Welche Auswirkungen der allgegenwärtige Plastikstaub auf Organismen hat, ist bisher nur punktuell erforscht. Klar ist dagegen schon länger, dass Menschen, Tiere und Pflanzen Mikro- und vor allem Nanoplastik ununterbrochen über Flüssigkeiten, die Luft oder die Nahrung aufnehmen. Das untermauert auch die aktuelle Übersichtsstudie eines Teams der Med-Uni Wien. Die Forscherinnen und Forscher um Elisabeth Gruber und Lukas Kenner hoben in ihrer Arbeit vor allem die schiere Menge an winzigen Plastikteilchen hervor, die wir im Alltag schlucken: Fünf Gramm davon gelangen im Schnitt pro Woche in den menschlichen Magen-Darm-Trakt – das entspricht dem Gewicht einer herkömmlichen Kreditkarte.

Im Magen-Darm-Trakt ...

Unter Mikroplastik versteht man 0,001 bis 5 Millimeter kleine, zum Teil also noch mit freiem Auge sichtbare Partikel. Nanoplastik ist alles unterhalb von 0,001 Millimetern; in dieser Größenordnung bleibt es ohne Mikroskop unsichtbar. Hauptquelle der Kunststoffkontamination ist die Nahrungskette, und hier insbesondere Meerestiere und -pflanzen sowie Meersalz. Auch Flüssigkeiten können einen erheblichen Anteil beisteuern: Wer die empfohlenen 1,5 bis zwei Liter Wasser pro Tag aus Plastikflaschen trinkt, nimmt einer Studie zufolge allein auf diese Weise rund 90.000 Plastikpartikel pro Jahr zu sich. Bei Leitungswasser sind es weniger als halb so viele.

Über die gesundheitlichen Folgen liegen noch nicht viele handfeste Ergebnisse vor, doch die Überblicksarbeit von Gruber und Kenner im Fachjournal "Journal Exposure & Health" weist auf eine ganze Reihe von Risiken hin. So dürften Mikro- und Nanoplastikpartikel (MNP) im Magen-Darm-Trakt die Zusammensetzung des Darmmikrobioms verändern, was wiederum mit der Entstehung von Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes, Fettleibigkeit oder chronischen Lebererkrankungen in Verbindung steht.

Darüber hinaus habe sich gezeigt, dass MNP im Magen-Darm-Trakt unter bestimmten physikochemischen Umständen vermehrt aufgenommen werden. Dabei würden Mechanismen aktiviert, die an lokalen Entzündungs- und Immunreaktionen beteiligt sind; sogar an der Krebsentstehung könnten die Plastikteilchen über Umwege mitwirken, so die Forschenden.

... ebenso wie im Blut

Dass sich Mikro- und Nanoplastik in unseren Körpern weit über das Verdauungssystem hinaus verbreitet, zeigt das beunruhigende Forschungsergebnis einer Gruppe an der Vrije Universiteit Amsterdam in den Niederlanden. Der Ökotoxikologe Dick Vethaak, der auch an der Wiener Studie mitgearbeitet hat, und sein Team berichten im Fachjournal "Environment International" von der erstmaligen Entdeckung von Plastikpartikeln im menschlichen Blut. 80 Prozent der untersuchten Personen seien solcherart kontaminiert gewesen.

Für ihre Studie analysierten die Forschenden Blutproben von 22 anonymen Spendern, allesamt gesunde Erwachsene. Bei 17 von ihnen fanden sich Kunststoffteilchen mit einer Größe von nur 0,0007 Millimetern im Blut. Die Hälfte der Proben enthielt Polyethylenterephthalat (PET), das üblicherweise in Getränkeflaschen verwendet wird. In einem Drittel wurde Polystyrol entdeckt, was als Lebensmittelverpackung dient, ein Viertel der Blutproben enthielt Polyethylen, aus dem unter anderem Plastiktragetaschen hergestellt werden. Einige der Blutproben enthielten sogar zwei oder mehr Arten von Plastik.

Video: TED-x-Talks – Mikroplastik ist überall.
TEDx Talks

Grund zur Sorge

"Unsere Studie ist der erste echte Hinweis darauf, dass wir Polymerpartikel in unserem Blut haben – es ist ein bahnbrechendes Ergebnis", sagte Vethaak. Nun müssten die Untersuchungen fortgesetzt werden, bei mehr Menschen und in Hinblick auf andere Kunststoffarten, so die Wissenschafter. "Es ist sicherlich vernünftig, sich deswegen Sorgen zu machen", erklärte Vethaak gegenüber dem "Guardian". Vor allem, wenn man bedenke, dass laut einigen Studien die Menge von Mikroplastik im Stuhl von Babys im Vergleich zu jenem von Erwachsenen bis zu zehnmal höher sein kann. Verantwortlich dafür sei die Tatsache, dass Babys meist mit Plastikflaschen gefüttert werden.

"Die große Frage ist, was in unserem Körper mit all dem Plastik passiert", meinte Vethaak. "Sammeln sich die Partikel im Körper an? Werden sie zu bestimmten Organen transportiert? Und können sie auch die Blut-Hirn-Schranke passieren?" Dass die Mikro- und Nanopartikel an den Körperzellen nicht völlig spurlos vorübergehen, belegte eine Studie aus dem vergangenen Juli. Die beiden Physiker Jean-Baptiste Fleury von der Universität des Saarlandes und Vladimir Baulin von der Universität Tarragona, Spanien, stellten bei Laborexperimenten fest, dass Mikroplastik die Zellmembranen destabilisieren kann.

Ein rasch wachsendes Problem

Wie die Forschenden in der im Fachjournal "Pnas" veröffentlichten Arbeit nachwiesen, dehnen Mikroplastikpartikel die Membranen menschlicher roter Blutkörperchen und verringern dadurch deren mechanische Stabilität stark. Diese Beobachtungen würden deutlich darauf hindeuten, dass Mikroplastik zu Entzündungen in Zellen führen kann, so die Wissenschafter.

Die neuen Erkenntnisse zeigen, dass die winzigen Partikel durch unsere Organe wandern und theoretisch überall hingelangen könnten. "Daher sind detailliertere Forschungen darüber dringend erforderlich, wie Mikro- und Nanokunststoffe die Strukturen und Prozesse des menschlichen Körpers beeinflussen, wie sie Zellen transformieren und vielleicht sogar zur Entstehung von Tumoren beitragen können", sagte Vethaak. "Insbesondere angesichts des exponentiellen Anstiegs der Kunststoffproduktion – das Problem wird von Tag zu Tag drängender." (tberg, 25.3.2022)