
Schon länger nicht mehr zu sehen gewesen: russischer Verteidigungsminister Sergei Schoigu.
"Der Minister hat viel zu tun." Er habe keine Zeit für Auftritte. Damit trat der Kreml am Donnerstag – genau einen Monat nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine – Spekulationen darüber entgegen, warum der sonst sehr geschäftige Verteidigungsminister Sergei Schoigu schon seit knapp zwei Wochen nicht mehr gesichtet wurde. Auch Berichten über Herzprobleme sollte man demnach keinen Glauben schenken.
Dazu veröffentlichte der Kreml ein kurzes, wackeliges Video der russischen Sicherheitsratssitzung, das Schoigu am Donnerstag auf Präsident Wladimir Putins Bildschirm zeigen soll. Die unabhängige Zeitung "Moscow Times" hegt Zweifel an der Echtheit der Aufnahme: Die Redaktion fühlt sich an eine Aufnahme vom 11. März erinnert. Das ist jener Tag, an dem Schoigu seinen letzten öffentlichen Termin wahrnahm.
Auch das US-Verteidigungsministerium hat mitgeteilt, dass man vergeblich versuche, auf höchster militärischer Ebene Kontakte herzustellen. In den vergangenen sieben bis zehn Tagen hätten Verteidigungsminister Lloyd Austin und Generalstabschef Mark Milley mehrfach versucht, mit ihrem russischen Kollegen Schoigu und seinem Stellvertreter, dem ebenfalls länger nicht mehr gesichteten General Waleri Gerassimow, zu telefonieren. "Wir konnten keinen von ihnen erreichen", so Pentagon-Sprecher John Kirby. "Ich möchte aber betonen, dass wir nach wie vor mit den Russen in Verbindung stehen." Das geschehe auf niedrigerer Ebene, etwa durch den Verteidigungsattaché an der US-Botschaft in Moskau.
Der enge Putin-Vertraute Schoigu hatte vor seiner bizarren Medienpause stets zu jenen gehört, die weiterhin betonten, dass die "Spezialoperation" nach Plan laufe. Vier Wochen nach dem Kriegsbeginn am 24. Februar lässt sich aber festhalten: Russland hat es bisher nicht geschafft, eine der Großstädte einzunehmen, und fliegt angesichts der ins Stocken geratenen Bodenvorstöße vermehrt Luftangriffe. Binnen 24 Stunden hat die Ukraine am Donnerstag mehr als 250 russische Angriffe aus der Luft gemeldet – 60 mehr als am Vortag.
Invasoren zurückgedrängt
Russland ist es zuletzt zwar gelungen, die Stadt Isjum einzunehmen. Nach westlichen Angaben hätten Truppen der Ukraine aber die russische Armee im Nordosten von Kiew zurückgedrängt. Statt 20 Kilometer vom Stadtzentrum stünden diese nun 55 Kilometer entfernt. Nicht voran kommen die Russen auch in Tschernihiw, in Charkiw im Landesosten und in der zu Wochenstart beschossenen Schwarzmeerstadt Odessa. Indes nutzt die russische Marine Berdjansk am Asowschen Meer zum Auftanken. Der Ukraine ist es nach eigenen Angaben gelungen, dort ein Schiff der russischen Schwarzmeerflotte zu zerstören. Bilder zeigten hohe Flammen und eine riesige Rauchsäule.
Die russische Armee konzentriere sich laut westlichen Lageberichten nun verstärkt auf Kämpfe in Luhansk und Donezk, sodass ukrainische Truppen nicht woanders eingesetzt werden könnten. Der Gouverneur von Luhansk meldete den russischen Einsatz einer Phosphorbombe. Dass diese nicht als Chemiewaffe gilt, ist global umstritten. In der Oblast Donezk versucht Russland weiter, etwa Mariupol zu erobern. Bis zuletzt kam kein Fluchtkorridor für Busse aus der belagerten Stadt zustande. Feuerpausen würden laut Augenzeugenberichten dazu genutzt, Leichen zu begraben. Am Freitag wurde bekannt, dass Behörden davon ausgehen, dass bei einem unlängst erfolgten Angriff auf das Theater der Stadt 300 Menschen starben.
Laut Uno sind in dem Krieg bereits mehr als 1.000 Zivilisten gestorben. Die Hälfte aller Kinder im Land sei auf der Flucht. Die WHO zählt mindestens 64 völkerrechtswidrige Angriffe auf Gesundheitseinrichtungen.
Eine klare Mehrheit der Länder der UN-Vollversammlung forderte Russland am Donnerstagabend dazu auf, die Feindseligkeiten, insbesondere gegen Zivilpersonen, einzustellen. Zudem verkündeten die USA und Großbritannien neue Sanktionen – etwa gegen die Söldnergruppe Wagner und die Stieftochter von Außenminister Sergej Lawrow in London. (Flora Mory, 25.3.2022)