Zwischen dem Nato-Hauptquartier in der Nähe des Brüsseler Flughafens und dem Ratsgebäude der Europäischen Union im Zentrum sind es einige Kilometer. In Normalzeiten läuft der Betrieb dieser beiden Organisationen weitgehend getrennt, pflegen die transatlantische Militärallianz und Union kaum direkte Kooperation.

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg (rechts), der länger im Amt bleiben wird, begrüßte seinen Gast Joe Biden.
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Der Krieg Russlands gegen die Ukraine mit Millionen Flüchtlingen hat diese traditionelle politische Rollenverteilung, die Lage in Europa, binnen vier Wochen tiefgehend verändert. Die drohende Gefahr, dass Kriegshandlungen über das riesige östliche Nachbarland am Schwarzen Meer hinaus auf EU- und Nato-Gebiet überschwappen könnten, hat die westlichen Partner zusammengeschweißt wie zuletzt nur die Terroranschläge von 9/11 in den USA 2001.

Treibende Kraft

Die EU erweist sich als Treiber bei Wirtschaftssanktionen gegen Russland bzw. Personen und Unternehmen, die für den Angriffskrieg verantwortlich gemacht werden – eng abgestimmt mit den USA. Die Nato übernimmt nach anfänglichem Zögern die Rolle, das Bündnisgebiet an der Ostflanke militärisch aufzurüsten, Waffenlieferungen an die Ukraine zu steuern – in Kooperation mit EU-Staaten.

Das zeigte sich am Donnerstag bei gleich drei hintereinander stattfindenden Gipfeltreffen von Staats- und Regierungschefs. US-Präsident Joe Biden, der den Nato-Sondergipfel angeregt hatte, um den Westen zu einigen und eine globale Allianz gegen die russische Aggression aufzubauen, nahm ebenso teil wie Japans Premierminister Fumio Kishida.

Letzterer war als Mitglied der G7-Staaten, der größten westlichen Industrieländer, in die EU-Hauptstadt gereist, um sich an der Debatte zur Ausweitung der Wirtschaftssanktionen zu beteiligen. An sich hat Deutschland gerade den G7-Vorsitz. Aus praktischen Gründen traf man sich jedoch gleich im Anschluss an den Nato-Gipfel in Brüssel, ungewöhnlich genug. Mehr als drei Dutzend Staaten waren vertreten, die 30 Nato-Mitgliedsstaaten und 27 EU-Länder (von denen 21 der Nato angehören) plus Japan.

Die Nato rüstet im Osten auf

Der Nato-Rat beschloss formell die von Generalsekretär Jens Stoltenberg bereits am Vortag präsentierten Pläne, wonach zu den bestehenden vier Kampfeinheiten zu je 1.000 Soldaten in Estland, Lettland, Litauen und Polen weitere vier Bataillone in Osteuropa aufgestellt werden. Sie sollen in Ungarn, der Slowakei, Rumänien und Bulgarien zum Einsatz kommen und dürften auf Dauer stationiert werden. Mit dieser "massiven Aufstockung" soll Moskau gezeigt werden, dass jeder Übergriff auf ein Mitgliedsland zu einer militärischen Konfrontation mit der gesamten Nato führen würde, wie Stoltenberg erläuterte. Der 63-jährige Norweger gab bekannt, dass er sein Amt um ein Jahr verlängert habe. Er wird nicht wie vorgesehen ab Oktober neuer Zentralbankchef in Norwegen, ist nicht verzichtbar.

In einer Erklärung des Nato-Rats wird Russland eindringlich vor dem Einsatz von Massenvernichtungswaffen in der Ukraine gewarnt, chemischen wie biologischen, wofür es laut dem US-Präsidenten Hinweise gebe. Dies würde "schwerwiegende Konsequenzen" nach sich ziehen. ABC-Spezialeinheiten des Bündnisses werden jedenfalls bereits aktiviert. Ein direktes Eingreifen in den Krieg "sowohl auf dem Boden wie in der Luft" schließt das Bündnis laut Stoltenberg aber aus.

Selenskyj fordert Waffenlieferung

Letzteres hat auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj nicht mehr gefordert, der beim Treffen per Video zugeschaltet war. In einem dramatischen Appell forderte er die Nato-Staaten aber auf, Panzer, Luftabwehrraketen, Treibstoff und Munition zu liefern. Selenskyj warnte davor, dass der russische Präsident Wladimir Putin nicht in der Ukraine stehen bleiben, sondern osteuropäische Staaten angreifen werde. Militärische Hilfe wurde der Ukraine auch zugesagt. Stoltenberg sagte dazu: "Wir ergreifen Maßnahmen, um die Ukraine zu unterstützen, aber auch zum Selbstschutz."

Auf G7-Ebene kam man überein, alles zu unternehmen, um zu verhindern, dass Russland die bereits verhängten Embargomaßnahmen der westlichen Staatengemeinschaft unterläuft. So soll jede Transaktion der russischen Zentralbank mit Gold mit Sanktionen belegt werden.

Russland hat Goldreserven in dreifacher Milliardenhöhe und könnte versuchen, diese zu verkaufen, um die Wirtschaft zu stützen. Der deutsche Kanzler Olaf Scholz erklärte als derzeitiger G7-Vorsitzender, dass die EU sich ganz bewusst entschieden habe, gegen Russland kein Öl- und Gasembargo zu verhängen. Dies würde die Wirtschaft in Europa in eine Rezession treiben.

Einheit

Nach dem G7- und Nato-Gipfel sprach sich Biden für einen Ausschluss Russlands aus der Gruppe der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer aus. Die Nato sieht Biden nach einem Monat Krieg in der Ukraine so geeint wie nie zuvor.

Am Abend nahm Biden an der Sitzung des Europäischen Rats teil, bei der es ebenfalls um die koordinierten Sanktionen gegen Moskau ging. Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) wird als einer von acht der 27 EU-Staats- und Regierungschefs in der Debatte mit Biden das Wort ergreifen und kündigte an, die Bedeutung des Westbalkans ansprechen zu wollen. Besonders dort bestehe die große Gefahr, dass Russland destabilisierend Einfluss ausübe, hieß es vom Kanzler vorab. (Thomas Mayer, 24.3.2022)